Handbuch zur Mittelalter-Numismatik

Die Münze als Quelle

© Sebastian Kubon

Die Münze verfügt über zwei Grundeigenschaften: Sie hat die Funktion eines Geldmittels und sie verfügt über einen Mediencharakter, durch den z.B. politische Programme verbreitet werden können. Auf Münzen des römischen Kaiserreichs befinden sich z.B. die Begriffe "pax" (dt. Frieden), "concordia" (dt. Eintracht) etc. Die Münze wird als Quelle besonders für die Epochen herangezogen, in der die schriftliche Überlieferung lückenhaft ist. Sie wird als Bestätigung, Korrektur oder Ergänzung eines Befundes herangezogen. Zu den folgenden Forschungsgebieten kann die Numismatik Ergebnisse liefern:

Geld-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Da die Münze die Funktion eines Geldmittels hat, kann durch sie der Zustand der Volkswirtschaft erschlossen werden. So können die technische Machart, die Metallmischung, die Emissionsstärke, die Verteilung im Geldverkehr und die Mischung der Währungen etwas über Wohlstand, Krise oder Niedergang der Ökonomie aussagen. Ebenso können hierzu auch einzelne Münzen durch ihre Bilder und Inschriften wichtige Aussagen liefern. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Erkenntnisse können des Weiteren aus der Geldbewegung ermittelt werden.

Politische Geschichte und Ideengeschichte

Münzen können durch ihr Bild und ihre Inschriften Erkenntnisse zur politischen Geschichte, die u.U. nicht durch andere Quellen bekannt sind, ermöglichen. Sie berichten von Münzherren, Münzorten und damit auch von Herrschaftsverhältnissen. Auch sind oft ideengeschichtliche Erkenntnisse aus Münzen zu erlangen. Sie halten Nachrichten z.B. über Religion, Umbrüche aller Art und weltanschauliche Dinge bereit.

Verfassung und Verwaltung

Auf antiken Münzen war häufig zu erkennen, ob ein Staat eine monarchische oder republikanische Verfassung hatte. In Monarchien wurden auf Münzen Mitregenten und Thronfolger vorgestellt. Herrscher führen denn auch oft ihre Titel (und ihr Wappen) auf der Münze, so dass man erkennen kann, welche Gebiete zu dessen Reich gehörten (oder auf welche Gebiete Anspruch erhoben wurde). Ebenso können Münzen Informationen über die mit der Münzprägung beauftragten städtischen Verwaltungsbeamten und deren Amtszeit entnommen werden.

Schrift und Sprache

Münzen können der Sprachwissenschaft Nachrichten über den Sprachbestand, über Provinzialismen, Dialekt- und Vulgärformen liefern.

Religionsgeschichte und Mythologie

Religion und Religiöses spielten bei den Bildern immer eine große Rolle. Mythologische Bilder sind selbstverständlich am häufigsten auf antiken Münzen zu finden, während sie auf Münzen des Mittelalters eher selten vorkommen und auf neuzeitlichen Münzen wieder zunehmen. Auf antiken Münzen ist das gesamte Spektrum der Götterwelt abgebildet, während auf mittelalterlichen Münzen das Kreuz zu finden ist. Aufgrund des im Islam bestehenden Bilderverbots sind auf islamischen Münzen (fast) nur Wort und Schrift abgebildet.

Kulturgeschichtliche Aspekte, Antiquarisches, Realienkunde, Sitten und Bräuche

Besonders Münzen der römischen Republik bieten reichhaltiges Bildmaterial, auf denen Handwerkszeug, Waffen und Gerät abgebildet sind. Kleine Szenen, die Kampf, Jagd und Spiele darstellen, zählen auch mit zu den Gebieten der politischen Geschichte, der Religionsgeschichte und der Rechtsgeschichte. Die mittelalterlichen Münzen sind eher arm an solchen Darstellungen. Seit der Renaissance nehmen solche Motive aber wieder zu und besonders die Medaillen des 18. und 19. Jahrhunderts bieten wieder reichhaltige Informationen zur Sachkultur von allen Lebensbereichen. Besonders viel wird zur Industrialisierung berichtet.

Kunst und Kunstarchäologie

Da Münzen Objekte der Kleinkunst sind, bietet sich für die Kunstwissenschaft und die Kunstarchäologie der Vergleich an. Im Allgemeinen laufen die Entwicklungen bei den Münzen mit denen der großen Kunst parallel, dennoch ist manchmal eine Vorreiterfunktion und auch manchmal ein Hinterherhinken festzustellen. So sind die Herrscherbildnisse der Antike und der Renaissance für die Ikonographie von besonderem Erkenntniswert.

Feldarchäologie (Grabungsarchäologie)

Auch die Archäologie kann aus der Numismatik Nutzen ziehen. Die Numismatik stellt für die Stratigraphie (Lehre von der Gesteinschichtung bei Ausgrabungen) mit Münzinhalten Datierungswerte bereit. Die jüngste Münze gibt Hinweise für die Datierung der Schicht.
Erkenntnisse lassen sich auch aus der Art der Münzfunde und deren Zusammensetzung gewinnen. Einzelfunde haben einen eher geringeren Erkenntniswert als z.B. eine größere Anzahl von Münzen, die in Gräbern gefunden wurden, und die u.U. den Schluss zulassen, dass diese Münzen zu jener Zeit in Umlauf waren. Viel wichtiger sind jedoch Schatzfunde bzw. Hortfunde, die in der Vergangenheit absichtlich, z.B. in Kriegs- oder Unruhezeiten, versteckt wurden. Diese kann man in verschiedene Kategorien einteilen: Massenfunde, die nur wenige unterschiedliche Gepräge enthalten und Mischfunde, in denen viele Gepräge mit jeweils wenigen Stücken vertreten sind. Weiterhin unterscheidet man nach der Herkunft der Münzen, ob es Lokal-, Heimat- oder Auslandsfunde sind. Mischfunde mit Münzen aus verschiedenen Ländern nennen sich internationale Funde. Des weiteren gibt es auch Hacksilberfunde, in denen neben Hacksilber nicht nur "normale" Münzen, sondern auch eingeschnittene oder geteilte Münzen nicht in ihrer Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel, sondern wegen ihres Metallwertes gesammelt wurden.

Historische Geographie, Handelsgeographie und Siedlungsgeschichte

Durch Münzfunde können ehemalige Siedlungsplätze wiederentdeckt werden. Dadurch können nicht nur Erkenntnisse für die Archäologie, sondern auch für die historische Geographie und die Siedlungsgeschichte gewonnen werden. Aber nicht nur durch Münzfunde, auch durch Überprägungen und Münzimitationen (man übernimmt das Gepräge einer bekannten und geschätzten Münze, z.B. die Lilie des Floren von Florenz) können Verbreitungsgebiete erschlossen werden.

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