Handbuch zur Mittelalter-Numismatik

Allgemeines

© Sebastian Kubon

Lange Zeit wurde der Beschäftigung mit Münzen ein wissenschaftlicher Charakter nicht zugewiesen. Viele ältere numismatische Werke tragen auch das Wort "Münzbelustigung" im Titel. Die "Münzbelustigung" hatte schon im 16. Jahrhundert viele Freunde, war aber mehr ein Hobby des Sammelns und Betrachtens denn wissenschaftliche Betätigung. Dies ist heute anders und die Numismatik ist ein weitgehend autonomes Fach geworden mit eigenen Methoden und umfangreicher Fachliteratur.

Gegenstand

Mit welchem Gegenstand befasst sich aber die Numismatik? Die Antwort ist nicht so trivial wie sie auf den ersten Blick scheint. Namensgebend ist zwar die Münze (gr. nomisma), dennoch ist die gängige Gleichstellung von Numismatik mit Münzkunde zu eng, da es neben der Münze noch andere Formen des Geldes gibt, seien es Barren, Muscheln oder Banknoten, die untersucht werden können. Die Numismatik ist die Wissenschaft vom historischen Geldwesen in ihren historischen, ökonomischen, politischen, juristischen, kulturellen, technischen, sachlichen, chronologischen und geographischen Erscheinungsformen und Beziehungen. (Eine Ergänzung zur dieser Definition kann allerdings gemacht werden. Auch Medaillen, wie z.B. Orden und Verdienstzeichen, die keine geldwirtschaftliche Funktion haben, werden meist traditionsbedingt zum Forschungsgegenstand der Numismatik gezählt, da sie historisch und herstellungstechnisch aus den Münzen hervorgegangen sind. Eher selten wird die wissenschaftliche Untersuchung der Orden und Ehrenabzeichen als Phaleristik bezeichnet und nicht dem Untersuchungsgegenstand der Numismatik zugerechnet.)

Aufbau

Die Numismatik besteht aus Münzkunde, Münzgeschichte und Geldgeschichte. Die Münzkunde hat eher deskriptiven Charakter, da sie die Erscheinungsform, das äußere Bild der Münze, untersucht. Die Münzgeschichte untersucht die Münze als gewesenes Geld, betrachtet sie also unter dem volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt. Beschränkt man die Untersuchung nicht nur auf Münzen, sondern untersucht man auch andere Geldformen und Ersatzmittel des Geldes, dann erweitert sich die Münzgeschichte zur Geldgeschichte. Ob nun aber Medaillen, Münzen oder Geldformen anderer Art (z.B. Muscheln) zur Untersuchung herangezogen werden, hängt von der Forschungsfrage ab. Diese Einführung in die Numismatik beschränkt sich auf die Münzen des Okzidents bis zum Übergang zur Neuzeit.

Einsatz

Die Vorteile der Münze als Quelle sind evident: Es sind zeitgenössische Quellen aus erster Hand und sie haben, da sie von offizieller Seite stammen, oftmals eine höhere Aussagekraft als Quellen privater Natur. Münzen sind zudem eines der ersten Produkte, die in "Massenfertigung" hergestellt wurden und können u.U. auch zu statistischen Analysen herangezogen werden. Natürlich können Münzen besonders für ökonomische Fragen interessant sein, die in den geschriebenen Quellen oft nicht allzu viel Beachtung fanden. Die Schwierigkeiten im Umgang mit der Münze als Quelle sind allerdings ebenso offensichtlich: Münzen sind archäologische Objekte, die sich in der Regel nicht selbst erklären, so dass die Interpretation fehleranfälliger ist. Auch ist bei einer Interpretation zu beachten, dass Münzen ein Mittel der Propaganda sein können. Die Münze ist also eine Quelle, die für alle Zeiten untersucht werden kann, bringt aber doch dann die meisten Ergebnisse, wenn schriftliche Dokumentation spärlich überliefert ist und die Münze diese ersetzen muss. Besonderen Quellenwert haben Münzen für die Antike sowie das Früh- und Hochmittelalter. Insbesondere die Chronologie, die Personengeschichte und die Wirtschaftsgeschichte können von der Numismatik profitieren.

Die Aufgaben

Zu den wesentlichen, spezifischen Aufgaben der Numismatik gehören:

  • Die Erarbeitung der Prinzipien und Methoden zur Auswertung und Beschreibung von Münzen und Münzfunden.
  • Die Registrierung und Beschreibung der numismatischen Objekte sowie deren historische, geographische und metrologische Einordnung.
  • Die Erforschung der verschiedenen Erscheinungsformen numismatischer Objekte und der Gründe ihrer Entstehung.
  • Die Erforschung der Erscheinungen und Auswirkungen der Münzverschlechterung.
  • Die Erforschung der Metrologie der Numismatik.
  • Die Erforschung der Herstellungstechniken von Münzen sowie die Organisation des Münzbetriebs.
  • Die Erforschung des Münzrechts, der Münzgesetzgebung und der Münzkonvention.
  • Die Ermittlung der Verbreitung bestimmter Münztypen zur Erforschung wirtschaftlicher Beziehungen.
  • Die Erforschung ihrer Funktion als Medium für politische Programme und ihrer Funktion als Mittel der künstlerischen Gestaltung.

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