Die Lübecker Ratschronik (Auszüge zu 1454-1466)

Abschnitte 1800, 1801, 1814, 1818, 1831, 1844, 1845, 1860, 1875, 1880, 1884.


© Mathias Nagel, Hamburg (2002)
- erstellt im Zusammenhang mit einem Hauptseminar an der Universität Hamburg im Sommersemester 2002 -


1800. [1457] Item in diesem Jahr sagten sich die Stadt vor der Marienburg und auch die Stadt von Kulm wieder vom König von Polen und den anderen Städten los und ließen den Orden entgegen ihrem Eid, den sie dem König von Polen und auch den anderen Städten geleistet hatten, wieder in ihre Städte. Und als der König das sah, daß sie so untreu waren und kein Versprechen hielten, da sandte er wohl sechstausend Mann in das Land, die in der Umgebung verbrannten und verheerten, was da war. Und danach ritten etliche von ihnen auf die Marienburg, und etliche legten sich mit der Stadt Danzig vor die Stadt bei der Marienburg, wo der Orden viele Leute hinein geführt hatte. Und sie beabsichtigten, sie gegen den Willen des Königs und der Städte wohl zu behalten. Den Verlauf hiervon magst Du im nächsten Jahr suchen.
1801. [1457] Item in diesem Jahr, als Junker Mauritius, König Christians Bruder, und die Dänen aus Schweden wieder nach Hause kamen, da hätten sie gerne auf der See etwas zur Aufbesserung der Winterkost mitgenommen. Also begegneten ihnen dort zwei große Holke, die in die Westsee1)  fahren sollten. Diese zwei Schiffe griff Junker Mauritius mit den Dänen und mit dem Volk des Meisters aus Livland, das zu der Zeit bei ihm war, an und wollte sie nehmen. Allerdings setzten sich die guten Leute zur Wehr und schossen mit vielen Büchsen in die Schiffe der Feinde. Also schossen sie durch ein Schiff hindurch, das dem Meister von Livland gehörte, und wer darauf war, den ergriffen sie. Auch richteten sie in den anderen Schiffen großen Schaden an und trafen Junker Mauritius selbst vor den Kopf, so daß er niederstürzte, und alle Mann glaubten, er wäre tot. Und dabei gerieten sie so sehr in Not, daß sie Gott dafür dankten, daß sie von den Schiffen kamen, die sie (eigentlich) einnehmen wollten, und segelten zurück nach Stockholm. Dort blieb er solange, bis er wieder gesund wurde. Doch hatten sie großen Schaden genommen, denn als sie ihr Volk überschlugen, da waren über vierhundert Mann verloren, die totgeschlagen wurden und ertranken und auch ergriffen wurden. Die Schiffsherren allerdings, die den Dänen diesen Schaden zugefügt hatten, segelten wieder nach Danzig, denn ihre Schiffe waren sehr zerschossen, und sie mußten sie reparieren lassen. Da gaben sie dem Rat zu Danzig die Gefangenen, die sie ergriffen hatten. Darunter waren vier Herren aus dem Orden, die der Rat von Danzig behielt, und die anderen wurden geschatzt. Auch gab der Rat von Danzig den Schiffsherren und Mannschaften ein herrliches Geschenk für ihren Schaden und für ihre Arbeit. Und als die Schiffe wiederhergerichtet waren, da segelten sie, wohin sie (eigentlich) wollten.
1814. [1458] Item in diesem Jahr hatte sich ein Haufen Seeräuber versammelt, etwa 70 Deutsche und Dänen. Diese verübten auf See großen Schaden und nahmen alles, was sie kriegen konnten. Darum entsandte der Rat zu Lübeck Ratsleute, etliche Bürger und außerdem zweihundert Mann auf See. Doch konnten sie die Seeräuber nicht stellen, sie bekamen nur ein Schiff, worin etliche waren, die sie ergriffen und nach Lübeck brachten. Jedoch wurden sie wieder freigegeben, weil die guten Leute des Königs sie als ihre Knechte verteidigen wollten. Als allerdings die anderen Seeräuber, wegen denen sie ausgezogen waren, vernahmen, daß man sie suchte, da segelten sie nach Königsberg in Preußen, und wollten sich dem Orden zur Seite stellen, um gegen die Preußischen Städte rauben zu können. Auf diesem Kriegszug verloren sie einen Anker. Als sie daher vor die Weichsel kamen, da ließ sich der Hauptmann mit einem anderen Schiff nach Danzig übersetzen, wo er einen neuen Anker kaufen wollte, und zwang den Schiffsherren dazu, daß er ihm schwören mußte, ihn nicht zu melden. Als er jedoch dorthin kam, da wurde es offenbar, und der Rat ließ ihn ergreifen und entsandte reisige Leute zu Schiff und ließ (auch) die anderen (von dort), wo sie lagen, in die Stadt holen. Und als die Räuber sahen, daß sie gemeldet waren, und man sie verfolgte, da wären sie gerne geflohen, nur wollte ihnen der Wind nicht dienen. Auch waren sie umzingelt, daß sie nirgends entkommen konnten. Also wurden sie ergriffen und alle vor Danzig geköpft.
1818. [1458] Item in diesem Jahr wurde in Preußen zwischen dem Orden und denen, die es mit dem Orden hielten, einerseits und dem König von Polen und den Preußischen Städten andererseits ein Waffenstillstand und Frieden in dieser Weise vereinbart, daß der Frieden von Sankt Margareten Tag2)  an gelten sollte. Unterdes sollte man von beiden Parteien 16 Personen wählen, bei denen alles Recht liegen sollte, und was die beschlossen, das sollten sie zu Sankt Jürgens Tag3)  (als Urteil) aussprechen, und damit sollte jedermann zufrieden sein. Falls sie in diesen Dingen nicht einig werden konnten, so sollte der Frieden gleichwohl von Sankt Margareten Tag an gelten, und während der Zeit sollte der hochgeborene Fürst Herzog Albrecht von Österreich die Sache entscheiden, denn bei ihm sollte alles Recht liegen, wenn diese 16 sich nicht einigen konnten. Und was er in diesen Dingen beschloß, das sollte er zu Sankt Margareten Tag (als Urteil) aussprechen, und damit sollten beide Parteien zufrieden sein. Dies wurde wohl vereinbart, nur wurde es wegen des Ordens nicht wohl eingehalten. Also blieb das ohne Ergebnis.
1831. [1460] Item zu Sankt Michaelis Tag4)  nahm die Stadt von Danzig merklichen Schaden, weil ihnen vermittelst eines falschen Verräters entboten und weisgemacht wurde, daß der Komtur von Elbing mit nur kleinen Volk nicht fern von der Stadt wäre. Darum wollten sie nun selbst (gegen ihn kämpfen) und somit dem Krieg ein Ende bereiten, denn wenn sie ihn hätten, so wäre der Krieg vorbei. Also glaubte der Rat dem Verräter, der die Botschaft brachte, und sie geboten den Bürgern, daß sie ausziehen sollten, und sandten auch etliche aus dem Rat mit, weil sie (gemäß) den falschen Worten des Verräters, der den Komptur ausgemacht hatte, glaubten, daß er nur ein kleines Volk hätte. Darum warteten sie nicht solange, bis sie sich versammelt hatten, vielmehr hastete einer vor dem anderen (dorthin), weil sie nicht wußten, daß der Komtur mit großem Volk auf sie lauerte. Also gerieten sie, ehe sie sich versahen, in seine Fänge, und wurden wie die Hühner aufgegriffen, so daß er etwa 400 fing und totschlug. Unter denen, die erschlagen wurden, war ein Ratsmann, und zwei Ratsmänner wurden gefangen. Als die nachrückenden Bürger dessen gewahr wurden, daß sie verraten waren, da zogen sie sich wieder zurück. Und diese selben Gefangenen schatzte der Komtur gnädig und nahm nur wenig Geld. Allerdings mußten sie alle versprechen und schwören, daß sie ihm und dem Orden treu und hold sein wollten. Nur die Ratsleute behielt er gefangen.
1844. [1461] Item in diesem Jahr, zu Assumptionis Mariae5), kam der König von Polen mit großem Volk ins Preußische Land, und jedermann meinte, er wollte dem Krieg ein Ende machen und das Land nicht eher verlassen, bevor er alle Städte und Schlösser gewonnen hatte, was jedoch nicht geschah, weil er (nur) sechs Wochen im Lande blieb und überhaupt nichts erreichte und dann wieder nach Hause zog. Danach ging das Gerücht, daß er nicht gekommen wäre, um Städte oder Schlösser zu gewinnen, sondern deshalb, um seine Ehre wiederherzustellen. Denn ihm wurde häufig vorgehalten, daß er zu Beginn des Krieges vom Feld floh, als er das erstemal nach Preußen kam. Denn damals schlug ihn der Orden im Kampf zurück, und sie fingen sein Volk und nahmen ihm alle seine Kleinodien, und er entging nur knapp der Gefangennahme, wie hier zuvor Anno 54 geschrieben ist. Und das wurde ihm vorgehalten, weil viele Leute meinten, es wäre seiner Ehre schädlich, daß er vom Feld floh. Deshalb kam er zu dieser Zeit an denselben Ort zurück und entbot dem Orden, wollten sie mit ihm streiten, so sollten sie zu ihm kommen, er wolle dort auf sie warten. Und als er dort 6 Wochen gelegen hatte, und niemand kam, der mit ihm streiten wollte, da zog er wieder nach Haus.
1845. [1461] Item in diesem Jahr, nach Michaelis6), gab es in Danzig einen Aufruhr und großen Streit, und das kam so zustande: (Immer) wenn der Rat von Danzig innerhalb des Rats beschloß, daß sie gegen die Herren vom Orden ausziehen oder etwas anderes gegen den Orden unternehmen wollten, wurde es dem Orden häufig gemeldet und verraten. Und davon nahm die Stadt großen Schaden, weil dadurch (viele) gefangen und erschlagen wurden, und niemand wußte, woher der Verrat kam. Also wurde den Ratsleuten ihr Schreiber verdächtig, der mit ihnen zusammen im Ratsstuhl saß. Darum wurde er ergriffen und so lange gepeinigt, bis er gestand, daß er der Urheber des Verrats war und es häufig weiter gemeldet hatte, wenn sie ausziehen wollten. Denn er war dem Orden günstig gesonnen und hätte die Stadt gerne an den Orden verraten, wenn er gekonnt hätte. Auch sagte er, daß es von derselben Gesinnung in der Stadt Ihrer wohl noch mehr gab. Darum ließ der Rat viele Bürger ergreifen, die sie im Verdacht hatten, und setzten sie in die Türme und ließen sie peinigen. Und die dort gestanden, ließen sie zusammen mit dem Schreiber töten, und die unschuldig waren, wurden wieder freigelassen.
1860. [1462] Item in diesem Jahr, zu Michaelis7), hatten die von Danzig mit dem Orden und den Fremden, die dem Orden dienten, einen Streit. Und da gab Gott der Stadt von Danzig den Sieg und die Oberhand, so daß sie das Feld behaupteten und über tausend Männer von der Partei des Ordens totschlugen. Und mit ihnen wurde der oberste Hauptmann, der fremden Kriegsleute erschlagen, der Ritter Herr Fritz Rubenecker, und viele andere gute Leute. Auch wurden viele gefangen, sowohl Kriegsleute als auch Bürger von Königsberg und von den anderen Städten, die es mit dem Orden hielten.
1875. [1463] Item in diesem Jahr, zu Sankt Margareten Tag8), hatten sich zu Danzig viele Bürger in der verwerflichen Absicht zusammengerottet, daß sie den Rat totschlagen wollten. Und dieses böse Vorhaben wollten sie am Sankt Margareten Tag während der Hochmesse vollbringen, wenn der Priester das Heilige Sakrament des Leichnams unseres Herren Jesu Christi hochhielt, und alle Leute dorthin sahen. Dann wollten sie in die Kirche kommen und den Rat im Ratsstuhl erschlagen, wo der Rat zu stehen pflegte. Da gab es einen guten Mann, dem diese große Bosheit bekannt war, und den erbarmte dieser ungeheuerliche Mord an Unschuldigen. Und er ging vor die Bürgermeister, denen der Jammer widerfahren sollte, und sagte: „Liebe Herren, seht Ihr Euch nicht gut vor, so seid Ihr in einer Stunde alle tot”, und meldete den Herren das böse Vorhaben und dessen Anstifter. Da sandten die Ratsleute sofort ihre Diener und ließen die Anstifter ergreifen und ließen sie peinigen. Da gestanden sie sogleich die Wahrheit und sagten, daß sie sich wohl vier Jahre mit der Absicht herumgetragen hatten, den Rat zu erschlagen. Und jedesmal kam etwas dazwischen, so daß sie es nicht tun konnten. Auch gestanden sie, daß wenn sie den Rat erschlagen hätten, so wollten sie den Ordensmeister von Preußen in die Stadt gelassen haben, der ihnen hierzu geraten und den Anstiftern versprochen hatte, daß wenn sie den Rat erschlagen hätten, sie ihre Häuser und alle ihre Güter bekommen sollten. Auch hatte er ihnen versprochen, daß er die Stadt und die Bürger nicht schädigen und keine Rache verüben wollte. Statt dessen wollte er die Stadt in Gnade aufnehmen und ihr alle alten Privilegien halten. Und damit wurden die armen Leute betrogen. Da fragte der Rat, wer diejenigen wären, die sich mit ihnen in dieser Sache verbündet hatten. Daraufhin nannten sie viele Leute beim Namen, und viele konnten sie nicht nennen. Doch gestanden sie, daß es über vierhundert waren. Da ließ der Rat die obersten, die sie genannt hatten, ergreifen und ließ etliche öffentlich hinrichten. Auch ließen sie etliche heimlich hinrichten, und es liefen viele von ihnen aus der Stadt weg. Außerdem ließ der Rat ausrufen: Falls sich jemand schuldig wüßte, sollte er sich aus der Stadt davonmachen. Denn es erbarmte den Rat, daß man Ihrer so viele töten sollte. Jedoch wurden über sechzig von ihnen geköpft. Sofort danach zogen die von Danzig zusammen mit dem reisigen Volk, das ihnen der König von Polen gesandt hatte, nach Mewe und belagerten es zu Land und zu Wasser und lagen bis zum Neujahrstag9) davor. Da eroberten sie die Stadt und das Schloß, wie hiernach im nächsten Jahr geschrieben steht.
1880. [1464] Anno 64, am Neujahrstag10), übergaben die guten Leute, die das Schloß und die Stadt Mewe innehatten, sowohl das Schloß als auch die Stadt in die Hände der von Danzig, die lange Zeit davor gelegen hatten, unter der Bedingung, daß sie unter Erhalt ihres Leibes und Gutes vom Schloß und auch aus der Stadt abziehen mochten. Also nahmen die von Danzig das Schloß und die Stadt ein und bemannten sie so, wie es ihnen für das Land gut dünkte.
1884. [1464] Item in diesem Jahr wurde zwischen dem König von Polen und dem Orden von Preußen und auch den Preußischen Städten ein Tag aufgenommen. Dieser Tag kam vermittelst der Anstrengungen des Rates von Lübeck zustande. Also segelten 3 Wochen nach Ostern11)  die Bürgermeister und 2 Ratsmänner von Lübeck nach Danzig und hatten den Bischof von Lübeck und 2 Domherren dabei, die auf ihre Kosten mitfuhren. Auch sandten die anderen Seestädte ihre Sendboten ebenfalls dorthin, um zu sehen, ob es nicht möglich war, zwischen den vorgenannten Herren und Städten Frieden und Eintracht zu stiften. Und als sie nach Danzig kamen, hielten sie sich dort lange auf, bevor sie wußten, wohin der König kommen wollte, denn der König und auch der Meister vom Orden wollten nicht zusammenkommen. Also entschloß sich der König, daß er sein Lager zu Britzk12)  in Polen nahm, 7 Meilen von Thorn entfernt. Und die Herren vom Orden nahmen ihr Lager in Preußen auf der anderen Seite von Thorn, ebenfalls 7 Meilen von Thorn entfernt. Also nahmen der Bischof und der Rat von Lübeck und auch die anderen Seestädte, die den Tag anberaumt hatten, ihr Lager zu Thorn, in der Mitte (zwischen beiden Parteien). Und dorthin sandten der König und desgleichen die Herren vom Orden ihre Sendboten. Als dann der Bischof und die Seestädte mit beiden Parteien sprachen und es gerne gesehen hätten, daß der König einen Teil des Landes und auch der Orden einen Teil erhalten hätte, da wollten sie beiderseits darauf nicht eingehen. Denn der König und die Städte von Preußen wollten den Orden aus dem Land haben, und der Orden wollte im Land bleiben und die Schlösser und Städte und alles, was der König vom Orden hatte, zurück haben. Zuletzt jedoch kam es dazu, daß der König einräumte, daß der Orden im Land blieb und einen Teil des Landes erhielt, und der Orden ebenfalls einräumte, daß der König auch einen Teil des Landes erhielt. Darüber allerdings, was und wieviel der eine oder der andere haben sollte, konnten sie sich nicht einigen. Denn der Orden wollte das Schloß Marienburg, sowie etliche Städte und Schlösser, die der König bereits hatte, zurück haben, und darauf wollte der König nicht eingehen. Außerdem wollte der König viel Land haben, das der Orden noch hatte, und darauf wollte der Orden nicht eingehen. Also konnten der Bischof und die Seestädte zu der Zeit keine Einigung zwischen beiden Parteien erreichen und fuhren über(-s Meer) zurück nach Hause und hatten Mühe und Kosten verloren. In welcher Weise der Krieg jedoch ausgesöhnt wurde, findest Du hiernach Anno 66.

Inhaltliche Anmerkungen:

1) = Nordsee.
2) 1459 Juli 13.
3) 1459 April 23.
4) 1460 September 29.
5) 1461 August 15.
6) 1461 September 29.
7) 1462 September 29.
8) 1463 Juli 13.
9) 1464 Januar 1.
10) 1464 Januar 1.
11) 1464 April 22.
12) = die Polnische Stadt Brzesc.



Vorlage: Die Chroniken der niedersächsischen Städte: Lübeck, 4. und 5. Band, herausgegeben von Friedrich Bruns, Leipzig 1910 und 1911 (= Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Band 30 und 31).


Zur vorigen Seite / zur nächsten Seite / zurück zur Startseite.