Die Lübecker Ratschronik (Auszüge zu 1454-1466)

Abschnitte 1898, 1908


© Mathias Nagel, Hamburg (2002)
- erstellt im Zusammenhang mit einem Hauptseminar an der Universität Hamburg im Sommersemester 2002 -


1898. [1465] Item in diesem Jahr wurde zwischen dem König von Polen und den Städten in Preußen einerseits und den Herren des Ordens andererseits ein Tag aufgenommen1). Dieser Tag wurde durch die Bemühungen und Kosten des ehrbaren Rats von Lübeck mit Erlaubnis der anderen Seestädte aufgenommen, und sie wollten versuchen, ob sie Frieden machen und den schweren, jämmerlichen Krieg versöhnen konnten, den der König von Polen und die Preußischen Städte 10 Jahre lang gegen den Orden geführt hatten. Daraufhin segelten die Sendboten des Rats von Lübeck, also Herr Heinrich Castorp, Bürgermeister, Herr Heinrich Lipperade, Ratsmann und Kämmerer, Herr Heinrich von Hachede, Ratsmann und Doktor im weltlichen Recht, Meister Johann Bracht, Sekretär des Rates, nach Ostern an Sankt Jürgens Tag2)  von der Trave aus in einem neuen Holk, der vorher noch nicht zur See gefahren war. Und außerdem hatten sie 2 mit wehrhaftem Volk wohl bemannte Schnicken dabei und verfügten etwa über anderthalb hundert Männer. Auch hatten sie auf ihre Kosten den ehrsamen Vater und Herren in Christo, Bischof Arnold von Lübeck, dabei, sowie 2 Domherren, also Meister Albert von Rethem und Meister Albert Krummendieck. Außerdem hatten sie Herrn Cord Schellepeper, Ratsmann zu Lüneburg, und viele Kinder guter Leute dabei, die (auch) dazu beitragen wollten und alle auf Kosten des Rats mitfuhren. Und als sie in die See kamen, holte sie Herr Ulrich Malchow, Bürgermeister von Wismar, mit einer Schnicke ein. Und sie kamen in Danzig zusammen, wo sie bis Dienstag nach Corporis Christi3) blieben, bevor sie in Erfahrung bringen konnten, wo der König und der Orden den Tag abhalten wollten. Allerdings vernahmen sie während der Zeit wohl, daß er zu Thorn oder dort in der Nähe stattfinden sollte.
Also fuhren am Dienstag nach Corporis Christi die Sendboten der Stadt Lübeck zusammen mit denen von Wismar, Rostock und Lüneburg mit 32 Wagen von Danzig aus los, und viele von ihnen ritten zu Pferd oder gingen zu Fuß zur Stadt Thorn. Und sie fuhren durch ein armes, verdorbenes und verheertes Land, so daß sie dort weder Kirchen und Klausen noch Katen oder Häuser sahen, die unversehrt waren. Vielmehr sahen sie viele Städte, Schlösser, Klöster und Dörfer, die verbrannt und verheert waren. Und darin fanden sie viele arme Leute, die Jammer, Hunger und bittere Not litten, so daß dort viele vor Hunger und Not starben, sowohl junge als auch alte. Und dies sahen sie vor ihren eigenen Augen, mit Mitleid und Betrübnis. Am Sonntag danach kamen sie nach Thorn4), und deshalb wurde die ganze Stadt sehr erfreut, weil sie hofften, daß sie guten Frieden machen würden, was jedoch leider nicht geschah. Auch flog ein großer Bienenschwarm mit ihnen in die Stadt und setzte sich an ein Eckhaus gegenüber ihrer Herberge, was viele Leute sahen und bemerkten, denn der Schwarm wurde verscheucht und verjagt und nicht gefangen. Vielmehr verschwand er, so daß man nicht wußte, wo er abgeblieben war. Genauso waren auch die Mühen und Kosten der ehrbaren Sendboten verloren und zunichte geworden, weil sie keinen Frieden bewirkten. Auch wurde ihnen kein besonderer Dank zuteil, besonders von den Polen.
Die Sendboten lagen 8 Tage zu Thorn und waren damit beschäftigt, wo sie die Sendboten des Königs und des Ordens zusammenbrachten. Denn die Polen lagen zu Britzk5)  im Polnischen Land, 7 Meilen von Thorn, und wollten dem Preußischen Land nicht näher kommen, und desgleichen lagen die Sendboten des Ordens zu Kulm im Preußischen Land, auch 7 Meilen von Thorn, und wollten ebenso dem Polnischen Land nicht näherkommen. Also wurden die Sendboten der Seestädte darüber einig, daß sie nach Kulm zu den Sendboten des Ordens (folgende Personen) sandten, nämlich Meister Albert von Rethem, Domherr und Kantor zu Lübeck, Herrn Heinrich von Hachede, Ratsmann und Doktor im weltlichen Recht, sowie Meister Johann Bracht, Sekretär des Rats zu Lübeck, und von den Sendboten des Ordens begehrten, daß sie nach Thorn kommen wollten. Und als sie nach Kulm kamen, da wurden sie gütlich empfangen, und die Sendboten des Ordens dankten ihnen und den ehrbaren Städten, die sie ausgesandt hatten, gütlich und freundlich, besonders der ehrbaren Stadt Lübeck, als einer Begründerin und Stifterin ihres ganzen Ordens. Danach klagten sie sehr, daß sie sich mehr als 10 Jahre lang in schwerem Streit und Krieg befunden hatten, worum sich weder Papst und Kaiser noch irgendwelche Edlen oder Unedlen geschert hatten, außer dem ehrbaren Rat zu Lübeck, dem sie deshalb allezeit für die Güte, Gunst, Kosten und Mühe, die sie dem Orden geopfert hatten, danken wollten. Und sie gaben eine gütliche Antwort, daß sie gern nach Thorn kommen wollten. Zuletzt kamen auch die Sendboten der Stadt von Riga und der Stadt von Dorpat und desgleichen die Sendboten von beiden Parteien, also der Bischof von Leslau, Präsident des Königs von Polen, mit vielen anderen Prälaten. Seitens des Ordens kam Herr Jodocus, Bischof von Ösel, mit Herrn Heinrich Reuß von Plauen, Komtur zu Elbing, sowie viele andere Komture und Herren.
Danach traten die Sendboten der Städte zusammen, um Klage und Antwort anzuhören. Somit war dort ein Doktor, der für den König und die Polen das Wort führte, der klagte das Anrecht ein, das das Reich von Polen auf das Land von Preußen haben sollte, und sagte, es hätte vormals eine Herrschaft unter einem Polnischen Herren namens Leche gegeben, nach dem die Polen in vielen Chroniken Lechiten genannt wurden. Und er überreichte 15 auf Latein geschriebene Artikel, denen zufolge das Reich ein Anrecht auf das Land zu Preußen hatte, und bat die Schiedsherren, daß sie als rechtschaffene Richter und Schiedsherren dem Orden das Preußische Land aberkannten und es seinem gnädigen Herren von Polen zusprachen, weil der ein Anrecht auf das Land hatte. Darauf antwortete seitens des Ordens Herr Jodocus, der Bischof von Ösel, und widersprach all seinen Ausführungen über das Anrecht der Polen auf das Land zu Preußen, und begründete das Anrecht ihres Ordens damit, daß sie das Preußische Land zum einen Teil von den ungläubigen Heiden mit dem Schwert gewonnen und zum anderen Teil von christlichen Herren mit ihrem Geld erworben hatten, und wieder ein anderer Teil wäre ihnen für ihren treuen Verdienst als eine innige geistliche Gabe gegeben worden. Und er bewies diese Begründung mit vielen wahrhaftigen Historien und Chroniken. Auch sagte er, daß sie das Land viele Jahre in Ruhe, ohne Anfechtung seitens des Königs von Polen, besessen hatten, was er wohl kaum hingenommen hätte, wenn er auf das Land irgend ein Anrecht gehabt hätte. Und diese auf Latein geschriebenen Artikel übergab er den Schiedsherren. Als sie danach lange miteinander verhandelt hatten und sich nicht einigen konnten, da wurden beide Seiten von den Schiedsherren gefragt, ob sie auch zum Nachgeben in Dingen bereit wären, über die man verhandeln mochte, damit man zu einem guten Abschluß käme. Darauf antworteten die Herren vom Orden und sagten, obwohl sie von den Polen sehr großen Schaden genommen und erlitten hatten, wollten sie dennoch um eines guten Kompromisses und des Friedens willen den Schaden gerne erduldet haben, und sie verschmerzten es insofern, wie die Polen ihr Land räumen und ihnen ihre Städte und Schlösser zurückgeben wollten, die ihnen abgezwungen waren. Darauf antworteten die Polen und sagten, weil sie ein großes Anrecht auf das Preußische Land hatten, sollte der Orden es räumen und ihnen übergeben, und dann wollten sie bei ihrem gnädigen Herren, dem König, um ein in Polen gelegenes Land, Podolien genannt, ersuchen, womit Seine Gnade den Orden belehnen sollte. Und weil es ein wüstes Land war, hielten die Herren vom Orden das für unannehmbar und betrachteten es als eine große Verhöhnung. Auch erschien es den Schiedsherren vollkommen unredlich, daß sie ohne Schwertschlag6) ein bebautes Land, worin sie noch 35 gemauerte Städte und 48 feste und wohl gebaute Schlösser innehatten und behaupteten, für ein wüstes Land, Podolien genannt, aufgeben sollten. Damit sie jedoch sahen und bemerkten, daß die Herren des Ordens Liebhaber des Friedens waren, wollten sie die hiernach genannten Lande, Städte, Schlösser und Leute, die sie bis zu der Zeit besessen hatten, dem König übergeben und abtreten: also das Kulmer und das Michelauer Land mit den Städten, Schlössern und Leuten, die darin gelegen sind, sowie Danzig, Thorn und Elbing. Außerdem wollten sie den König als Beschirmer ihres Ordens annehmen und ihm jedes Jahr Tribut und Waffenfolge leisten. Über diese Zugeständnisse hinaus gedachten sie keine Lande, Städte oder Leute mehr zu abzutreten. Hierauf wollten die Sendboten des Königs nicht eingehen, sondern sie wollten außerdem das ganze Pommerellenland und Marienburg mit dem ganzen Kammergericht haben. Und erst wenn sie diese Lande im voraus in Besitz genommen hatten, wollten sie freundliche Verhandlungen und Gespräche gemeinsam darüber abhalten, was mit dem Preußischen Land und dem Hinderland, und was der Orden sonst noch im Besitz hatte, geschehen sollte. Daraufhin ging dieser große, kostspielige Tag ohne Ergebnis auseinander, denn als die Schiedsherren von ihnen keine weiteren Angebote mehr erhielten, verließen sie Thorn und fuhren die Weichsel hinunter und kamen ungehindert zurück nach Danzig und segelten von Danzig aus in ihren Schiffen wieder nach Lübeck.
1908. [1466] Item zu Michaelis7)  wurde in Preußen der Krieg zwischen dem Orden und dem König von Polen ausgesöhnt, der beinahe 13 Jahre gedauert hatte und in dieser Weise ausgesöhnt wurde, daß der Orden Königsberg, das Hinterland und das Hockerland mit allen Städten und Schlössern behalten sollte, ausgenommen das Stift von Heilsberg, das mit etlichen Städten und Schlössern, die dazu gelegt wurden, unter dem König von Polen bleiben sollte. Außerdem sollte der König das Kulmer und das Michelauer Land und die Pommersche Seite (des Landes) mit Marienburg und Danzig und allen Städten und Schlössern, die darin liegen, mit aller Freiheit und allem Zubehör erhalten. Auch mußte der Meister von Preußen versprechen, dem König treu und hold zu sein und keinen Krieg gegen das Reich zu beginnen aber auch keinen Krieg gegen einen anderen Herren ohne Wissen und Erlaubnis des Königs zu führen. Ferner mußte der Orden versprechen, daß sie niemand mehr aus fremden Landen kleiden8)  sollten oder wollten, sondern nur noch aus Preußen und Polen. Auf diese Zusagen hin nahm der König den Meister in seinen Rat auf, so daß derjenige, der Meister ist, auch im Rat des Königs sein und versprechen und schwören soll, daß er dem König treu und hold sein will. Also hat der Orden schlecht Krieg geführt, weil sie vorher frei und des ganzen Landes mächtig waren. Nun jedoch sind sie zur Hälfte unfrei und behaupten (nur noch) den kleinsten Teil des Landes. Und dies kam von ihrem eigenen Hochmut und ihrer eigenen Gier, weil sie hochmütig und übermütig waren und die Städte sehr bedrückten und Frauen und Jungfrauen kränkten, die Kinder guter Leute waren. Auch waren sie gierig und nahmen hohen, außerordentlichen Zoll, während sie außerdem noch Kaufleute waren, denn sie hatten ihre eigenen Schiffe und sandten ihre eigenen Güter nach Flandern, Holland und England. Und damit schädigten sie die Städte und den Kaufmann so lange, bis die Städte es nicht mehr länger hinnehmen wollten und sich aus diesen Gründen gegen den Orden stellten, wie hier zuvor, im 54. Jahr, geschrieben steht.


Inhaltliche Anmerkungen:

1) 1464 April  26.
2) Vgl. den vorangegangenen Abschnitt, bei dem es sich offenbar um eine kürzere Darstellung dergleichen Gesandtschaft handelt.
3) 1464 Juni 5.
4) 1464 Juni 10.
5) = die polnische Stadt Brzesc.
6) Kampflos.
7) 1466 September 29.
8) In den Orden aufnehmen.



Vorlage: Die Chroniken der niedersächsischen Städte: Lübeck, 4. und 5. Band, herausgegeben von Friedrich Bruns, Leipzig 1910 und 1911 (= Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Band 30 und 31).


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