Die Lübecker Ratschronik (Auszüge zu 1454-1466)

Abschnitte 1755, 1759, 1771, 1785, 1792


© Mathias Nagel, Hamburg (2002)
- erstellt im Zusammenhang mit einem Hauptseminar an der Universität Hamburg im Sommersemester 2002 -


1755. Anno Domini 1454, nach dem Tag des Heiligen Christ1), entstand in Preußen zwischen den Herren des Ordens auf der einen Seite und den Städten und Freien des Landes auf der anderen Seite ein großer Krieg, weil der Orden jedes Jahr neue Anschläge erfand, womit sie zu Unrecht die Städte und die Freien überfielen – mit neuem Zoll und neuer Schatzung über das gewöhnliche Maß hinaus. Auch nahmen sie den Freien des Landes ihre Güter, anstatt sie zu beschützen, wie sie es (eigentlich) sollten. Darum klagten die Städte und Freien über den Orden vor dem Kaiser. Da erhielten sie (das Urteil), daß der Orden sie bei der alten Gerechtigkeit und Freiheit, die sie von vielen Kaisern hatten, belassen sollte. Später jedoch widerrief der Kaiser seine Sentenz und sein Urteil, das er über die Städte und die Freien getroffen hatte, und gebot ihnen, daß sie dem Orden untertänig sein sollten und sich mit dem Ordensmeister versöhnten. Also kamen sie häufig vor den Ordensmeister und vor die Höchsten des Ordens und baten, daß man sie bei der alten Gerechtigkeit und Gewohnheit beließe, weil sie es nicht auf sich nehmen konnten und wollten, daß der Orden sie jedes Jahr mit neuen Anschlägen belastete. Und wenn sie es nicht täten, so befürchteten sie, daß davon viel Böses und Verdruß nachfolgen werde, was man zuvor wohl hätte verhindern können. Also baten sie häufig und fielen nieder auf ihre Knie und legten ihr Haupt vor den Ordensmeister auf die Erde und lagen so lange Zeit, auf daß sie ihn zur Gnade und Barmherzigkeit bewogen. Der Ordensmeister antwortete jedoch stets, sie sollten so handeln, wie der Kaiser geurteilt hatte, und darüber hinaus wollte er keine Gnade gewähren. Darum wurden die Städte und die Freien des Landes einig und sandten am Sankt Dorotheen Tag2)  dem Ordensmeister ihre Briefe und kündigten ihm und dem Orden allen Dienst, alle Eide und Huldigungen auf, die sie dem Orden geleistet hatten, und entboten ihm, daß sie nach diesem Tag niemals mehr dem Orden unterstehen wollten. Als der Ordensmeister, und die bei ihm waren, die Briefe gelesen hatten, da entsandten sie Boten und wollten diejenigen warnen lassen, die auf den Schlössern waren, die bei den Städten lagen, damit sie die Schlösser bewachten. Aber die Boten wurden alle gefangen, und die Städte legten sich vor die Schlösser und verlangten von denjenigen, die darauf waren, ihre Übergabe. Und weil die Herren auf den Schlössern nicht darauf vorbereitet waren und nicht vermuteten, daß sich die Städte und die Freien vom Orden lossagten, so übergaben sie den Städten die Schlösser, um ihr Leben retten zu können. Auch flohen viele von den Schlössern, bevor die Städte dorthin kamen, und nahmen mit sich, was sie wegbringen konnten. Darüber verwunderte sich so mancher Mann sehr, weil es viele Schlösser gab, die von den Städten lange Zeit nicht gewonnen werden konnten. Und darum sagten viele Leute, es wäre einen Plage Gottes, daß sie so furchtsam wurden und von den guten festen Burgen flohen, weil Gott ihren Hochmut plagen wollte. Und als die Städte die Schlösser bekamen, da brachen sie viele von ihnen nieder. Besonders das Schloß bei Danzig machten sie dem Erdboden gleich, und die anderen bemannten sie, so daß der Orden nur noch Konitz behielt, wohin die Städte mit vielem Volk zogen. Auch sandte der König von Polen den Preußen sechstausend Mann zur Hilfe, die sich vor Konitz legten. Und die Herren von dem Orden wurden alle aus dem Land flüchtig außer denen, die auf der Marienburg und in der (Festung) Konitz saßen. Auf Marienburg waren, wie man sagte, über dreitausend Mann, die das Schloß verteidigten und ausfielen und -ritten und in der Umgebung großen Schaden verübten.
1759. [1454] Item im Sommer, nach Sankt Johannes Tag3), kam der König von Polen ins Preußische Land, und die Städte mit den Freien empfingen ihn mit großer Feierlichkeit und huldigten ihm und gelobten, daß sie auf ewige Zeiten bei ihm und seinen Nachkommen bleiben wollten, unter der Bedingung, daß er sie gegenüber dem Orden beschirmen und verteidigen sollte. Während die Städte hiermit beschäftigt waren, versammelte der Meister der Deutschen Lande zusammen mit den Herren, die aus Preußen geflohen waren, am Rhein viel Volk und zog damit nach Böhmen und Schlesien und besoldete dort Herren und Fürsten, Kriegsleute und Fußvolk, die mit ihm nach Preußen zogen, so daß sie zu Sankt Michaelis Tag4)  wohl 6000 Mann mitbrachten. Und als der König hörte, daß der Meister mit großem Volk kam, da zog er mit seinem Volk auf den Weg, wo sie herkommen mußten, und dachte, er könne es verhindern, daß sie ins Land kommen. Als aber die Anderen das vernahmen, da rüsteten sie sich zum Kampf und wollten dort hinein, auch wenn es dem König leid war, oder sie wollten dort weiter bleiben5). Also rückten sie gegeneinander vor und schlugen sich sehr, so daß beiderseits viel Volk tot blieb. Der Orden verlor einen Herzog aus Schlesien und auch viel anderes Volk. Allerdings wurde des Königs Volk am meisten geschlagen, weil sie ihnen an reisigem Volk überlegen waren. Als der König dann sah, daß sie ihm überlegen waren und sein Volk niedergeschlagen wurde, da verlor er die Hoffnung und nahm die Flucht, was niemand bemerkte, außer denen, die bei ihm waren. Und weil das Wetter heiß war, und er müde geworden war, so mußte er seine Rüstung ausziehen und warf sie an den Weg. Nachdem die Scharmützel geschehen waren und die Böhmen sahen, daß etliche von den Polen entflohen, folgten sie ihnen also nach. Und zwischen anderen Rüstungen, die weggeworfen waren, fanden sie des Königs Rüstung. Und als sie zur Teilung der Beute gingen, da wurde des Königs Rüstung mit zur Beute gebracht. Da ließen sich etliche dünken, daß es des Königs Rüstung wäre. Also fragten sie zur größeren Sicherheit die gefangenen Polen wegen dieser Rüstung. Und diese sagten, daß es des Königs Rüstung wäre, wie es allerdings um den König stünde, darüber konnten sie nichts sagen. Also entstand daraus in allen Landen ein großes Gerücht, so daß Herren und Fürsten sich untereinander schrieben, daß der König von Polen in Preußen geschlagen wäre. Später jedoch bewies die Wahrheit, daß er nicht geschlagen war, vielmehr war er auf diese Weise entkommen. Und dies Gerücht wurde dadurch sehr gestärkt, daß ihm zu der Zeit die Königskrone und viele andere Kleinodien, die er am Leib trug, und außerdem sein Tafelgeschmiede und alle Kleinodien, die er in seiner Kapelle zu haben pflegte, genommen wurden. Und nachdem diese Niederlage geschehen war, zogen der Orden und die Böhmen vor Konitz und vertrieben von dort die Polen und die Preußen, die davor lagen, und auch dort kam viel Volk zu Tode. Als danach dies Gerücht vor die Marienburg kam, da zogen diejenigen ab, die sie belagert hatten, denn sie wagten nicht, davor zu bleiben. Und der Orden bekam viele kleine Städte und Schlösser zurück, die sich ihm wieder unterstellten. Und dort setzten sie Hauptleute von den Böhmen ein, weil sie den Preußen nicht ganz trauten.
1771. [1455] Item in diesem Jahr entstand zu Königsberg in Preußen große Zwietracht, weil die alte Stadt entgegen dem Bündnis und Versprechen, das die Städte untereinander geschlossen hatten, sich wieder dem Orden unterstellte, nachdem ihnen der König (von Polen) nicht zur Hilfe kam. Und der Kneiphof blieb bei den Städten und wollte sich nicht wieder dem Orden unterstellen. Also kam der Orden wieder in die alte Stadt und auf das Schloß, und sie bauten das Schloß wieder auf und führten gemeinsam mit der alten Stadt lange Zeit Krieg gegen den Kneiphof und belagerten sie, so daß man dort weder hinein noch hinaus kommen konnte, und bestürmten die Stadt Tag und Nacht. Und es währte lange, daß sie sich nicht wieder dem Orden unterstellen wollten, weil sie ja hofften, daß der König von Polen und die anderen Städte ihnen zur Hilfe kommen würden. Als sie allerdings keine Hilfe bekamen und die Stadt nicht länger halten konnten, ließen sie den Orden unter der Bedingung hinein, daß der Orden sich nicht rächen und sie auch nicht mehr als die Bürger in der alten Stadt beschatzen sollte. Dies versprach der Orden fest einzuhalten, doch wurde es nicht gehalten, denn als sie Ihrer mächtig waren, da beschatzten sie die Bürger über die Maßen, so daß sie sechsmal in einem Jahr beschatzt wurden, und die armen Leute nicht viel behielten. Und zuletzt als sie hierüber unwillig wurden, da wurden Ihrer viele aus der Stadt vertrieben, und ihr Gut wurde ihnen genommen, und sie mußten außerdem versprechen und schwören, daß sie das Preußische Land verlassen und bei Lebzeiten nicht mehr dorthin zurückkehren werden.
1785. [1456] Item in diesem Jahr wurden in Preußen zwischen dem König von Polen und den Städten einerseits und den Böhmen, die die Marienburg innehatten, andererseits viele Tage abgehalten. Und der Gegenstand ihrer Verhandlungen war, wie man die Böhmen mit Geld für ihren Sold zufriedenstellen mochte, wofür sie dem Orden gegen den König von Polen und die Städte gedient hatten, denn es war so viel Sold geworden, daß der Orden sie nicht bezahlen konnte. Und dafür hatte ihnen der Orden das Schloß Marienburg als Pfand gegeben, und sie wußten keine Möglichkeit, wie sie es wieder auslösen konnten. Also boten die Böhmen dem König von Polen und den Städten an, ihnen das Schloß zu übergeben, wenn man ihnen ihren Sold gab. Und den rechneten sie auf hundert und vierzig tausend Ungarische Gulden. Also wurden viele Tage mit ihnen darüber abgehalten, wie man sie zufriedenstellen könnte, und zuletzt wurden sie einig, daß man ihnen diese genannte Summe zu einer genau festgesetzten Zeit termingerecht geben sollte. Und wenn sie das letzte Geld erhalten hatten, so sollten sie das Schloß dem König von Polen und der Stadt Danzig übergeben und aus dem Land abziehen. Dies versprachen sie sich gegenseitig, der eine dem anderen fest einzuhalten. Daraufhin erhob der Rat von Danzig eine Beschatzung in der Stadt, so daß ein jeder Mensch etwas dafür beisteuern mußte. Jedoch kam dann soviel dazwischen, daß dies Geld nicht zur festgesetzten Zeit ausgezahlt wurde, denn weder der König noch die Städte konnten ihren Teil zusammenbringen. Und daraus entstand in den Städten großer Unmut, weil es sich so lange verzog, daß kein Ende abzusehen war. Da erhob sich in Danzig die Bürgerschaft gegen den Rat, so daß die Bürgerschaft den Rat bis auf acht Ratsmitglieder absetzte, die sie beibehielten, zwei Bürgermeister und sechs Ratsleute. Und sie wählten aus der Bürgerschaft andere hinzu. Und die alten, die abgesetzt waren, legten sie in ihre Häuser und verlangten von ihnen Rechenschaft darüber, wo das Geld geblieben war, das sie in der Schatzung aufgenommen hatten. Doch kam alles wieder in Ordnung, weil die Bürgerschaft, als sie die Rechenschaft abgelegt hatten, (damit) wohl zufrieden war und sie alle wieder in den Rat aufnahmen. Allerdings waren darunter etliche alte Leute, die um Entlassung aus dem Rat baten. Auch wurden die neuen Ratsleute, die aus den Ämtern6)  gewählt waren, wieder abgesetzt. Derjenige, der für diese Taten und diesen Aufstand verantwortlich war, wurde flüchtig und lief weg. Zwei seiner Kumpanen wurden ergriffen und aufs Rad gelegt. Desgleichen begann sich auch zu Thorn die Bürgerschaft dem Rat zu widersetzen, und es gab, wie man sagte, in der Bürgerschaft viele, die sich darüber einig waren, daß sie die Stadt an den Orden verraten wollten. Allerdings wurde das dem Rat gemeldet, bevor es zur Ausführung kam. Da ließ der Rat über 70 Bürger aus der Bürgerschaft ergreifen, die schuldig waren, und die wurden alle geköpft.
1792. [1457] Item in diesem Jahr, zu Purificationis Mariae7), nahmen der König von Polen und die Städte in Preußen das Schloß Marienburg ein und gaben den Söldnern aus Böhmen, die dem Orden gedient hatten, ihren Sold, wofür ihnen der Orden zuvor das Schloß verpfändet hatte, weil der Orden ihren Sold nicht bezahlen konnte, wie auch im Jahr hier zuvor beschrieben ist. Der Sold belief sich auf hundert und vierzig tausend Ungarische Gulden. Außerdem mußten sie ihnen wohl noch zehn tausend Gulden dazugeben, damit sie (ihnen) das Schloß übergaben, weil der König und die Städte das Geld nicht rechtzeitig zum (festgesetzten) Termin auszahlten, wie sie dessen eins geworden waren. Vielmehr wurde das letzte Geld erst jetzt zu dieser Zeit ausgezahlt. Also wurde dem König und der Stadt zu Danzig (das Schloß) überantwortet. Jedoch blieb derselbe Ritter aus Böhmen, der dort für die Böhmen Hauptmann gewesen war, weiterhin Hauptmann des Königs und wurde des Königs Mann und huldigte ihm und gelobte, ihm treu zu sein. Auch lieh er der Stadt von Danzig dasselbe Geld, das er als seinen Anteil von der vorgenannten Summe bekam.



Inhaltliche Anmerkungen:

1) 1453 Dezember 25.
2) 1454 Februar 6.
3) 1454 Juni 24.
4) 1454 September 29.
5) = Im Land des Königs von Polen.
6) = Handwerkerzünfte.
7) 1457 Februar 2.



Vorlage: Die Chroniken der niedersächsischen Städte: Lübeck, 4. und 5. Band, herausgegeben von Friedrich Bruns, Leipzig 1910 und 1911 (= Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Band 30 und 31).


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