Die Danziger Chronik vom Bunde (Auszüge)
Abschnitte 20-29
© Mathias Nagel, Hamburg (2002)
- erstellt im Zusammenhang mit einem Hauptseminar an der Universität Hamburg im Sommersemester 2002 -
20. Konrad von Erlichshausen war der 27. Hochmeister, der ein weiser, frommer, sanftmütiger und gütiger Mann war. Im 6. Jahr seiner Regierung hatte der Bischof von Heilsberg, Herr Franz Kuhschmalz genannt, wegen eines Sees etliche Zwietracht mit Herrn Johann von Baysen, einem Ritter aus dem Osteroder Gebiet. Darum ließ der Bischof ihn vor den Hochmeister laden. Der Hochmeister sprach dem Ritter den See ab und dem Bischof zu, so daß sich der Ritter Johann von Baysen an dem Urteil nicht genügen lassen wollte und sprach: „Ich werde den See jetzt einfordern.“ Und er berief sich auf das Land und die Städte und das Recht des vorgenannten Bundes. Darauf antwortete ihm der Hochmeister: „Lieber Herr Johann, gebt Euch zufrieden! Wir wollen Euch den See viermal vergelten.“ Doch das wollte der Ritter nicht und trieb es soweit, daß das Gericht abgehalten wurde, woraus viel Ärger erwuchs.
21. Dies Gericht wurde so abgehalten, daß dort als Richter 2 Herren des Ordens, 6 von den geistlichen Prälaten dieses Landes, 6 von der Ritterschaft dieses Landes und 6 aus den Städten des Landes Preußen zu Gericht sitzen sollten.
22. Das erste und letzte Gericht des Bundes:
23. Item dieser Ritter, Herr Johann von Baysen, brachte es soweit, daß das Gericht zu Kulm abgehalten wurde, und zwar zum ersten und auch zum letzten Mal. Dort wurde die Sache wegen des Sees zwischen dem Bischof und Herrn Johann von Baysen verhandelt, so daß der See Herrn Johann von Baysen wiederum zugesprochen und dem Bischof abgesprochen wurde. Als nun dieser Fall abgeschlossen war, gab es viele, die gegenüber dem Orden insgesamt große und schwerwiegende Klagen erhoben, nämlich daß ihnen ihre Weiber und Töchter vergewaltigt wurden, und ein Teil ihrer Freunde umgebracht wurde, und sie nicht wußten, wo sie geblieben waren. Auch wurde ein Teil ertränkt, und einem Teil von ihnen wurde gegen alles Recht ihre Güter genommen. Auch beklagte Jakob Czan den Mord an Konrad Letzkau und an seinem Oheim Bartholomäus Grosse, und daß der Komtur zu Danzig mit den Seinen noch keine Genugtuung dafür geleistet hatte, daß sie ihn verräterisch ermordet hatten. Vielmehr hatten sie 14 Tage nach dem Mord an Bartolomäus Grosse seiner Hausfrau auch noch ohne jede Rechtsgrundlage all ihre beweglichen und unbeweglichen Güter genommen. Außerdem klagte er wegen seines Vaters, Peter Czan, der vom Orden in getreuem Dienst in die Neumark gesandt worden war, um dort ein Schloß - Küstrin genannt – zu bauen, was er auch tat. Und dabei war er gestorben, und der Orden hatte gegen alles Recht in Marienburg sein bewegliches und unbewegliches Gut an sich genommen, worüber er sich von Meister zu Meister, von Land zu Land und von Recht zu Recht beklagt hatte. Und weil ihm auch hier kein Recht widerfuhr, berief er sich an unseren gnädigen Herren, den Kaiser. Solche und andere schwerwiegende Klagen wurden hier alle gegenüber dem Orden erhoben, und die Ritterschaft und die Städte hätten es gerne gerichtet, wie es denn im Bund beschlossen war. Aber die Herren des Ordens standen im Zorn auf und verließen das Gericht, weil sie sich zu gut dafür zu sein dünkten, ihren Untertanen zu ihrem Recht zu verhelfen. Dies verdroß das Land und die Städte sehr, und sie unternahmen es umso fester, den Bund zu vollführen, dabei zu bleiben und in keiner Weise davon abzuweichen.
24. Dies bemerkten die Gebietiger und trieben noch mehr Übermut, Gewalt und Unrecht. Und was sie im Land Preußen nicht zuwege bringen konnten, das schrieben sie über See an König Christoph von Dänemark, der ihr Schreiben zum Anlaß nahm, ohne redlichen Grund viele Güter wider Gott und alles Recht zu nehmen.
25. Item solches und anderes Böses entstand viel im Land zu Preußen, und der Herr Hochmeister trachtete zusammen mit seinen Prälaten gar sehr danach, den Bund aufzulösen. Und man hätte lieber eine andere Verschreibung gemacht, die glimpflicher war. Das alles war aber nicht mehr möglich, so daß der Hochmeister erkannte, daß beiderseits viel Haß und Neid entstand, weshalb er sich sehr (darum bemühte, und vor lauter Mühsal nicht wußte, was er tun sollte, weil er wohl erkannte, daß daraus nichts Gutes entstehen würde. Damals gab es den guten Brauch und die Gewohnheit, daß wenn ein Hochmeister im Sterben lag, etliche seiner Gebietiger und Komture zu ihm gingen, um sich mit ihm zu beraten, wer ihm als neuer Hochmeister gut zu sein dünkte. Also taten sie es auch jetzt und gingen zu ihm an sein Bett und grüßten und sprachen: „Edler, gnädiger Herr Hochmeister, die Krankheit Eurer Gnaden tut uns leid, doch vertrauen wir auf Gott, daß er Eure Gnade verschonen wird.“ Der Hochmeister antwortete: „Der allmächtige, barmherzige Gott ist der Herrscher aller Dinge. Sein göttlicher Wille muß in Ewigkeit geschehen. Das Opfer des Todes seien wir alle schuldig. Gott füge einem jeden Menschen eine selige Stunde!“ Sie antworteten: „Edler, gnädiger Herr Hochmeister, Gott der allmächtige sendet einem Menschen die Krankheit, er kann ihm aber wohl auch die Gesundheit zurückgeben. Darum habt ein gutes Herz, es soll und will der allmächtige Gott wohl zu einer Besserung der Krankheit Eurer Gnaden kommen!“ Hierauf antwortete der Hochmeister und sprach: „Dies ist alles wahr, Ihr redet recht. Aber die Freude, die ich von Euch und anderen gehabt habe etc. Wären wir nicht krank, wir würden wohl krank werden. Mir ist so wohl, daß ich zu sterben begehre. Gott vergebe mir meine Sünde.“ Da sprachen sie: „Edler, gnädiger Herr Hochmeister, wenn Gott Euch von hinnen nähme, zu wem wollen Eure Gnade uns raten, den wir an Eurer statt zum Verweser dieses armen, betrübten Landes wählen sollen, was unbedingt Not täte?“ Der Hochmeister antwortete: „Ja, es wäre wohl sehr nötig, und man muß einen guten, weisen Verweser dieses armen Landes wählen, auf den man auch hören wird.“ Sie antworteten: „Gnädiger Herr Hochmeister, wir vertrauen Eurer Gnade, daß Ihr uns hierbei einen guten Rat geben werdet, den wir mit Gottes Hilfe befolgen werden.“ Der Hochmeister antwortete: „Auf daß ich Euch wohl riete: Nehmt Ihr Reuß von Plauen, so habt Ihr mit Sicherheit Krieg. Wenn Ihr meinen Vetter Ludwig nehmt, muß der so, wie Ihr wollt. Ich erlaube mir, Euch zu Herrn Wilhelm von Eppingen von Osterode zu raten. Der ist sanftmütig und weise. Aber was nützt es schon, es ist doch vergebens. Ich weiß wohl, daß sie zusammen in Mewe auf dem Schloß gewesen sind und sich dort verbündet haben. Und wer von ihnen Hochmeister wird, der soll auch den Bund beseitigen, selbst wenn man deshalb das Land verlieren wird. Gott gebe, daß es nicht geschehe! Aber es steht uns eine große Plage bevor. Das kommt von unserer großen Sünde, weil wir nicht auf Gottes Gebot achten und allesamt nach großem Übermut und Gewalt trachten. Wäre ich in eine Karthause gezogen, wäre mir viel besser zumute. Gott der Herr kehre den Jammer dieses armen, betrübten Landes, das unsere Vorfahren durch die Hilfe Gottes mit großer Mühe und Arbeit von den Heiden gewonnen haben und manchen stolzen Mann dabei verloren. Jetzt aber könntet Ihr es in gutem Frieden wohl erhalten und wollt es nicht. Also hat Gott es uns gegeben, und man sehe zu, daß es uns nicht wieder genommen werde!“
26. Item kehrte sich der Hochmeister wieder von ihnen ab, auf die andere Seite, und jammerte und seufzte gräßlich. Dann segneten sie ihn und gingen von ihm. Ein Teil von ihnen schlug die Augen nieder, und sie vergossen seufzend ihre Tränen und sprachen: „Der Herr Jesus und Maria, die Himmelskönigin, mögen uns beistehen!“
27. Item zu dieser Zeit gab es im Orden viele, die gern alles im Reinen gesehen hätten. Aber dies hintertrieben die Gebietiger als die mächtigsten unter ihnen, weil sie schon lange die Einwohner ihres Landes angreifen wollten, was der Herr Hochmeister aber nicht gestatten wollte. Und auch die Ritterschaft im Land war sehr erzürnt. Dies wußte der Orden wohl. Darum waren sie sehr betrübt und hätten gern alles im Reinen gesehen und lieber ihren Hochmeister behalten, bis dies verhindert worden wäre. Das war aber nicht mehr möglich.)1) betrübte, so daß er krank wurde und starb, nachdem er 10 Jahre im Amt regiert hatte. Und er liegt in Marienburg zu Sankt Anna begraben und ist auch der letzte Hochmeister gewesen, der in Marienburg begraben wurde. Dieser Hochmeister, Konrad von Erlichshausen, lag etliche Zeit krank, bevor er starb. In der Zwischenzeit versammelten sich die Gebietiger auf dem Schloß zu Mewe und verbanden sich, der eine dem anderen beizustehen, damit derjenige von ihnen, der nach dem Tod dieses Hochmeisters wieder zum Hochmeister gewählt wurde, den Bund beseitigen sollte, auch wenn man dabei das ganze Land Preußen verlor.
28. Ludwig von Erlichshausen war der 28. Hochmeister. Er war ein Verwandter des vorherigen Hochmeisters und wurde Anno Domini 1450 gewählt. Er war hochmütig und eigensinnig. Seine eigene Absicht dünkte ihm die beste zu sein, wodurch der deutsche Orden und das Land zu Preußen in große Not gerieten. Die Ritterschaft, das Land und die Städte wurden mißachtet. Kurz nach seinem Amtsantritt kam ein Legat hier ins Land, gesandt von Papst Nikolaus V., ein Bischof aus Portugal, der etliche Briefe und Bullen dabei hatte, die mit vielen und langen Worten besagten, dem Papst wäre zu Ohren gekommen, daß wir hier im Land zu Preußen Störenfriede des Gottesdienstes wären. Das Land und die Städte hätten nämlich einen Bund gegen ihre Herren, also den Orden, geschlossen, was doch gegen Gott und die Kirche wäre. Und der Legat gab vor, daß er deshalb ins Land zu Preußen gekommen war, um solche Dinge zu erforschen und dann dem Papst zu berichten oder den Bund durch das Recht zu verhindern und aufzulösen. Darum wandten sich das Land und die Städte an den Hochmeister und baten, daß er sie gegenüber dem heiligen Vater, dem Papst, verteidigen wolle, was der Hochmeister alles abschlug und sagte, es läge nicht in seiner Macht.
29. Desgleichen haben Land und Städte vom Orden wegen der vorgenannten Dinge auch viel Verfolgung und Verleumdung durch Briefe und Schriften vor dem Herrn Römischen König und vor den Herren Kurfürsten erlitten. Doch haben Land und Städte den Herrn Hochmeister allezeit gebeten, daß er sie gegenüber den vorgenannten Herren verantworten und vertreten wolle, was aber alles nichts half.
Inhaltliche Anmerkungen:
Vorlage: Scriptores Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft, herausgegeben von T. Hirsch, M. Toeppen, E. Strehlke, 5 Bde., Leipzig 1861-1874, Bd.4.
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