Die Danziger Chronik vom Bunde (Auszüge)

Abschnitte 1-19


© Mathias Nagel, Hamburg (2002)
- erstellt im Zusammenhang mit einem Hauptseminar an der Universität Hamburg im Sommersemester 2002 -


1. Die Edlen des Landes, besonders die im Kulmer Land und die von Thorn, waren zur Zeit der Weihnachtsfeiertage wegen etlicher Dinge, die sie zu tun hatten, zu Kulm zusammengekommen. Auch hatten viele von der Zwietracht des Ordens gehört und klagten unter sich über den Übermut und die Übeltaten des Ordens, die den Rittern, Knechten und Lehnsleuten hier im Lande, den Bürgern in den Städten, den Landleuten, Kaufleuten, Dienstboten, Jungfrauen und Frauen, zu Wasser und zu Land, Geistlichen und Weltlichen, widerfuhr, denen allen große Gewalt und Belästigung vom Orden geschehen war. Sie klagten auch, daß ihren Eltern, Brüdern, Freunden und den Ihren seitens des Ordens vieles entgegen ihren Rechten, Privilegien und Freiheiten erwiesen wurde und geschehen ist, wie denn in vielen Gegenden von den Einwohnern des Landes geklagt wurde, daß sie ihre Freunde zu Gast gebeten und dann schändlich ermordet und getötet hatten. Etliche wurden ohne Grund geköpft, anderen nahm man ihre Güter, und viele wurden um ihrer Weiber willen ertränkt, und ihre Weiber und Töchter mit Gewalt zu ihrem Willen gezwungen. Außerdem haben sie ihre Freunde zu Land und Wasser verkauft, und auch dem Kaufmann ist am Strand offensichtlich große Belästigung widerfahren. Auch wurden etliche ermordet, so daß es Gott erbarmte, was doch vormals nicht zu sein pflegte. Denn Herr Heinrich Dusemer und Herr Winrich von Kniprode und auch die anderen frommen Hochmeister und Herren, denen Gott gnädig sei, beschützten die Unseren und vermehrten dies gute Land mit großer Treue und Recht und leisteten ihnen Tag und Nacht Beistand. Sie halfen, die Städte zu befestigen und zu bauen. Gab es dort einen armen Mann, halfen sie ihm, daß er bei Ehren blieb und nicht verdarb. Gab es jemanden, dem Gewalt geschah, setzten sie sich mit Leib und Gut für ihn ein. Sie meinten es mit dem Land mit ganzer Treue gut. Den Kaufmann beschirmten sie und belästigten niemand. Frauen und Jungfrauen ließen sie bei Ehren. Wie es aber nun gehalten wird, das ist offensichtlich. Sie sagen, daß sie uns mit dem Schwert gewonnen haben. Aber nun trachten sie danach, daß, wenn sie uns und die Städte gar im Grund verderben könnten, sie es nicht unterließen. Weil wir nun aber sehen und hören, daß sich unsere Vorfahren gegenüber ihnen nichts haben zu Schulden kommen lassen, während sie uns und den Unseren alle Tage täglich unsere Privilegien und Rechte brechen, so ist es offensichtlich. Auch wenn ihre Vorfahren einen Teil des Landes zum Christenglauben gebracht haben, mit welcher Hilfe ist das geschehen als mit der Kraft und Macht unserer Eltern, die sie danach auch noch offensichtlich mit großer Macht beim Land erhalten haben? Außerdem haben sie uns treulos gemacht, indem sie uns dazu1) zwangen, als der Frieden zwischen dem König von Polen und uns geschlossen wurde. Dazu hat uns der Hochmeister Ulrich von Jungingen gebracht, daß er gegen unseren Willen gebrochen wurde, wodurch wir unsere Freunde im Kampf verloren, und der König von Polen deshalb schier das Land eingenommen hätte, wenn nicht unsere Vorfahren und wir sie noch dabei erhalten hätten. Nun sehen und hören wir alle Tage von ihnen große Gewalt und großes Unrecht, was sich uns in Anbetracht unseres Verdienstes nicht länger zu erleiden geziemt, und was wir nicht mehr ertragen wollen.
2. Item solche vorgenannten Geschichten und dergleichen, die den Edlen, der Ritterschaft und denen von Thorn und vom Kulmer Land geschahen, und die sie unter sich verhandelten, die währten vom 39. Jahr bis ins 40. Jahr. Somit wurden sie einig und brachten es an die ganze Ritterschaft und alle Städte im Lande und wollten eine Verbindung und Verschreibung anberaumen. Und das wurde weiter an alle Städte und an die Ritterschaft geschrieben. Und sie wollten es weiter an den Herrn Hochmeister bringen, wie es auch geschah. Und sie hofften, daß eine solche Verbindung bekannt und billig sein mochte, mit ihrer Ehre und Treue vor Papst, Kaiser, Königen und Fürsten wohl dabei bleiben zu können. Und [sie verhandelten darüber,] wie sowohl geistlich als auch weltlich zu handeln sei - wenn es mit rechter Ehre gestattet sein mochte -, damit eine solche Vereinigung oder Verbindung besiegelt würde, was auch alles allein um der Übergewalt willen geschah, so daß die nicht mehr geschähe, und Gott dadurch gelobt wurde, und das gute Land zu Preußen umso besser in größerem Frieden verbleiben mochte, es wäre zu Wasser oder zu Land, damit es auch in fremden Ländern lieblich anzuhören wäre2).
3. Item als nun eine solche Verbindung oder Vereinigung gegründet war, wurde es vor den Herrn Hochmeister und den ganzen Orden gebracht, daß sie eine solche Verschreibung mit annehmen wollten, was jedoch dieses Mal nicht geschah. In der Zeit waren aber der Hochmeister und seine Gebietiger nicht einträchtig. Das kam wegen der Schwaben, Bayern und Franken, denn ein Gebietiger sollte nur von dort sein, also von solchen Zungen und ihresgleichen. Und es geschah auch häufig im Land zu Preußen, daß wenn jemand vor einem Gebietiger oder Komtur etwas zu tun hatte und dann fühlte und hörte, daß ihm Unrecht geschah, und er sich dann an den Herrn Hochmeister berief, wie es in alten Zeiten zu sein pflegte, der Gebietiger oder Komtur ihn dann vor den Kopf stieß und sprach: „Sieh hier her! Hier sitzt der Hochmeister, ich will Dir Hochmeister genug sein. Sperr den Hundsbuben ein!“
4. Solches geschah oft und viel, und es gelangte zu der Zeit auch häufig vor den Hochmeister, so daß der Hochmeister erkannte, daß sie nicht viel auf ihn achteten, weil sie sich so gut wie der Hochmeister selbst zu sein dünkten, wo er doch der oberste Fürst des Landes sein sollte. Und sie regierten gleich ihm, so daß der Hochmeister zu der Zeit ihren Hochmut und ihre Hoffahrt wohl sah. Und innerhalb des Ordens war eine solche Zwietracht, daß der Hochmeister und etliche vom Orden aus den Konventen es gern gesehen hätten, den Bund mit zu gestatten und zu besiegeln. Doch wurde es nicht beschlossen, weil die Gebietiger darauf nicht eingehen wollten. Der Hochmeister Paul von Rusdorf, nicht groß von Person, war ein kluger und scharfsinniger Mann. Und es verdroß ihn sehr, daß er zwar Hochmeister sein sollte, seine Gebietiger jedoch über ihn bestimmten, was aber keineswegs billig war. Auch wußte er wohl, daß wenn sie einen gewählten Hochmeister hatten, der so wie sie wollte, sie ihn Hochmeister bleiben ließen. Wollte er aber nicht so wie sie, warfen sie ihn ab und wählten nach ihrem Belieben einen anderen, was zuvor nicht zu sein pflegte, außer es gab einen triftigen Grund
5. Item war es in der Vergangenheit im Land zu Preußen auch üblich, daß man alte, vernünftige und redliche Männer in den Orden zu wählen pflegte, und zwar aus Westfalen, vom Rhein, aus dem Stift von Hildesheim, aus Münster, aus Braunschweig und überhaupt aus Sachsen. Auch gab es redliche, wohl geborene Leute in Preußen, die den Orden begehrten, und die man aufnahm. Diese und solche meinten es treu mit dem Land und sahen auch auf die Gebrechen des Landes und sorgten mit Leib und Gut dafür. Damals pflegte man die vermaledeite Hoffahrt, Gier, Unkeuschheit, Bosheit und andere schlimme Sünden zu vermeiden und zu fliehen, und man nahm auch keine Kinder oder jungen Knechte in den Orden auf. Vielmehr sah man zuerst auf ihre Vernunft und Weisheit und urteilte nicht nach der Lage der Gunst, des Adelsstandes oder der Verwandtschaftsverhältnisse, so daß kein Eigennutz dabei anerkannt wurde. Damals halfen uns noch offensichtlich Gott und die reine Jungfrau Maria. Aber nun sei es Gott geklagt, wo wir es im Land auch hinwenden, da plagt uns Gott. Das kommt alles von diesen hohen Zungen3), weil die zuallererst die große Hoffahrt, den Hochmut, die Gier, den Eigennutz und die Gewalt in das Land nach Preußen gebracht haben. Das sei Gott geklagt! Ist da noch ein frommer Mann im Orden, der vernünftig und redlich ist und Gutes und Rechtmäßiges will, den wirft man in den Konvent. Falls man es aber nicht mit Recht hinbekommt, daß man ihn ganz in den Konvent bringt, so versetzt man ihn in ein Gebiet des Landes an der Grenze und räumt ihn so aus dem Weg, damit sie umso besser ihren Willen behalten mögen.
6. Somit war zu der Zeit zwischen ihnen große Uneinigkeit und Zwietracht, und eine solche Verbindung der Ritterschaft im Kulmer Land und von Thorn und von Kulm blieb bestehen. Zuerst wagten sie es nicht, dem Hochmeister und seinen Gebietigern eine solche Verbindung öffentlich anzuzeigen, weil es im Orden viele von den hohen Zungen gab, also von den hoffärtigen Schwaben, Bayern und Franken, denen es sehr zuwider war. Doch gab es auch viele, die es gern sahen4), und auf dem Schloß Marienburg geschahen solche und andere schwerwiegende Dinge, [die zeigen,] daß sie darüber nicht einig waren: Denn es wurde vor dem Gemach des Hochmeisters eine Schrift gefunden, in der vom Konvent in solchen und dergleichen Worten Folgendes geschrieben war:
„Das mag niemand ein Gebietiger sein,
er sei denn Bayer, Schwabe oder Frankelein.“
Solche und andere Zwietracht wurde zu der Zeit von vielen ihrer Männer und Diener ausgekundschaftet.
7. Item kurz hiernach, zu Sankt Antonius Abend im selben 40. Jahr5), gab es auf dem Schloß Marienburg zwischen den Gebietigern und dem Konvent einen großen Streit. Und man glaubte eine Weile, sie hätten sich untereinander ermordet, so daß der Herr Hochmeister, Herr Paul von Rusdorf, sich auf einen Schlitten unter einem Sperrlaken6) [versteckt] begab und hastig über das Eis nach Danzig aufs Schloß jagen ließ. Auch wurden etliche aus der Gemeinde7) von Danzig, die vor der Stadt unterwegs waren, dessen gewahr, daß der Hochmeister so heimlich zur Stadt jagte, was er der Stadt von Danzig und dem Rat nicht entboten hatte. Darum wurden der Rat zu Danzig und die ganze Gemeinde sehr erschrocken und wußten nicht, was es bedeutete. Daraufhin wurde die ganze Gemeinde entboten, die auch zusammenkam, und es wurde ihnen mitgeteilt, daß in der Vergangenheit ihre Bürgermeister und Ratsleute in gutem Vertrauen vom Orden aufs Schloß entboten wurden, wo ihnen durch schmählichen Mord ihr Leben genommen wurde. Somit vereinigten sie sich, um sich davor zu bewahren, und damit der Eine dem Anderen lebendig oder tot beistand. Denn wenn der Hochmeister in die Städte kam, war es üblich, daß man es bekanntgab, und man pflegte ihn in die Stadt zu holen, wie man es bei einem Landesherren zu tun pflegt. Am anderen Tag danach sandte der Herr Hochmeister in die Stadt, daß der Rat zu ihm aufs Schloß kommen sollte. Das aber wollte die Gemeinde dem Rat nicht gestatten. Statt dessen verlegten sie dem Hochmeister den Tag in die Heiligen-Geist-Kirche, wo sie auch mit dem Komtur und etlichen Herren des Ordens zusammenkamen, um miteinander zu reden. Und dort fielen viele scharfe Worte, und die ganze Gemeinde war im Harnisch. Schließlich wurde es mit vielen Worten und Unterredungen erreicht, daß etliche aus dem Rat und auch von der Gemeinde zusammen mit dem Komtur aufs Schloß zum Hochmeister gesandt wurden. Dort legte ihnen der Herr Hochmeister dar, was der Grund dafür war, warum er nach Danzig gekommen war, nämlich daß der Hochmeister wegen vieler Auseinandersetzungen Land und Städte anrufen wollte. Und dabei wurde ein Tag anberaumt und vereinbart, der am Sonntag Reminiscere8) zu Elbing abgehalten werden sollte.
8. Item auf diesem vorgenannten Tag wurde der Tag auf den Sonntag Judica9) zu Marienwerder verlegt. Da wurde dem Herrn Hochmeister mit seinen Gebietigern und allen Mitgliedern des Ordens, der Ritterschaft, dem Land und den Städten geboten und vorgehalten, daß sie darauf sannen und danach trachteten, gute Mittel und Wege zu finden, daß das gute Land zu einer guten Eintracht gelangen möge, damit dem Armen wie dem Reichen Recht geschehe, so daß uns Gott helfe, und Maria, die himmlische Königin, Beistand und Hilfe leiste, und Gott darin gelobt werden möge, wie es auch in der Vergangenheit gewesen ist.
9. Item kamen zu Marienwerder Land und Städte zusammen, und dort wurde vom ganzen Land, der Ritterschaft und den Städten in Preußen eine Vereinigung oder Verbindung schriftlich aufgesetzt und vollkommen bestätigt. Der Orden hing einen Brief an den Bundbrief, es mit ihnen zusammen einzuhalten, und 29 Männer aus dem Orden sowie alle Gebietiger und Amtsherren hingen ihre Siegel daran. Er wurde auch zum Römischen König gesandt, der ihn ebenfalls bestätigte und besiegelte. Und er wurde von aller Ritterschaft, dem Land und den Städten gutgeheißen, abgefaßt und besiegelt, dessen Wortlaut hiernach folgt.
10. (Hiernach folgt die Vereinigung, Verschreibung oder Verbindung, die gemeinsam von der Ritterschaft, dem Land und den Städten dieses Landes zu Preußen tausend vierhundert 40 Jahre nach Christi Geburt gemacht und besiegelt wurde:)10) ( ... )
11. Item haben auch die kleinen Städte in Pommerellen besiegelt, nämlich Dirschau, Mewe, die Altstadt Danzig, Neuenburg, Stargard, Lauenburg, Leba, Hela und Putzig.
12. Item die Ritter und Knechte des Danziger, Lauenburger und Putziger Gebiets.
13. Item die Stadt Marienburg, Marienwerder, Bartenstein, Bischofsburg, Friedland sowie das Land und die Städte von Tuchel.
14. Philipp von Beiseleden und Peter von Tolkemit im Gebiet von Balga für sich und ihre Erben.
15. Item aus dem Bistum von Heilsberg die Ritter und Knechte und alle Städte miteinander, so Heilsberg, Wormditt, Rößel, Guttstadt, Wartenberg, Sensburg, Bischofstein, Allenstein, Frauenburg und Mehlsack.
16. Item Christburg, Domenau und Stuhm, diese Städte haben alle am Tag Johannes des Täufers11)  besiegelt.
17. (Item von dem Brief, den der Orden an diesen Bund mit angehängt hat, was der enthält, und wie sie sich darin verschrieben haben, das steht nicht hierin. Aber sie wurden zusammen zum Römischen König, Herzog Friedrich von Österreich, gesandt, der ihn zuließ und ebenfalls sein Siegel an diesen Vereinigungs- oder Bündnisbrief hing, daß er mit Recht wohl bestehen dürfe, weil er doch zu keinem anderen Zweck geschlossen wurde, als allein um der Übergewalt willen, damit die nicht mehr geschähe.
18. Dies ist alles zu den Zeiten des Hochmeisters, Paul von Rusdorf geschehen. Er unternahm es in seiner Vollmacht, daß er seine Gebietiger und Amtleute häufig von einem Gebiet in ein anderes versetzte und hatte in 12 Jahren 6 Marschalle. Zu seinen Zeiten kam Anno Domini 1433 aus Polen ein Volk des Herrn Königs zusammen mit den Ketzern auf der pommerschen Seite nach Preußen, und sie verbrannten und verdarben dort den größten Teil dieser Gegend, also die Klöster Pelplin, Oliva und das Jungfrauenkloster Zuckau. Die brannten sie ganz ab und kamen auch bis vor Danzig und lagen dort bis zum dritten Tag. Aber sie kamen nicht in die Stadt oder ins Schloß und zogen wieder aus dem Land. Und dies wurde der Ketzerzug oder die Ketzerzeit genannt.)12)
19. Dieser Hochmeister behielt das Amt 19 Jahre und wurde durch seine Gebietiger von seinem Amt abgesetzt und starb zu Marienburg, bevor ein anderer Hochmeister gewählt war, und liegt zu Marienburg begraben.



Inhaltliche Anmerkungen:

1) = Zum treulosen Bruch des Friedens (dazu unten).
2) = Damit der Orden in anderen Ländern einen guten Ruf genoß..
3) Gemeint sind die in oberdeutscher Mundart redenden Zuwanderer, insbesondere die Ordensbrüder, aus Süddeutschland.
4) = Das Zustandekommen des Bundes.
5) 1440 Januar 16.
6) = Ein Tuch, das man ausspannt (über Tische, Betten  oder Wagen etc.).
7) = Die nicht dem Rat angehörende Bürgerschaft.
8) 1440 Februar 21.
9) 1440 März 13.
10) Nur in St. und Eb.
11) 1440 Juni 24.
12) Vollständig nur in St.



Vorlage: Scriptores Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft, herausgegeben von T. Hirsch, M. Toeppen, E. Strehlke, 5 Bde., Leipzig 1861-1874, Bd.4.


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