Rechtsquellen im weltlichen Raum 4

Coutumes, Weistümer und Rechtsprechungsakten

Erst zum Spätmittelalter hin wurde das bisher mündlich überlieferte Gewohnheitsrecht mehr und mehr schriftlich fixiert. In Frankreich wurden im 10. und 11. Jahrhundert daher die Coutumes die wichtigsten Rechtsquellen, die die Leges und Kapitularien weitgehend ersetzten. Die für diese Quellen typische stetige Entwicklung wurde von der Obrigkeit hingegen kaum beeinflusst. Die königliche Gewalt beschränkte sich auf die Anwendung und verzichtete auf Gestaltung und Weiterentwicklung. Im Großen und Ganzen sind es Rechtsgewohnheiten, die sich durch dauernde Anwendung begründeten. (Diese Definition wurde im Laufe des Mittelalters natürlich ausdifferenziert.) Es gibt zwei Arten von Gewohnheiten: die bekannten (coutumes notoires) und die unbekannten (coutume privées) Coutumes. Während jene für die Anwendung vor Gericht relativ unproblematisch waren, musste die Existenz unbekannten Coutumes bewiesen werden. Hierbei war die Zeugenbefragung am üblichsten. In der Frühzeit waren aber auch Eid und gerichtlicher Zweikampf möglich. Aufgrund der mündlichen Überlieferung kam es häufig zu Unsicherheiten, so dass einige Rechtsgelehrte versuchten, das Gewohnheitsrecht privat zu fixieren. Aufzeichnungen solcher Art hatten seit dem 13. Jahrhundert einen großen Erfolg. Der Anwendungsbereich war eigentlich territorial ausgerichtet. Bei einer höheren Mobilität der Gesellschaft entstanden allerdings schnell Probleme, die durch Ausnahmen geregelt wurden. Trotz der Fixierung blieben aber Unsicherheiten bestehen. Zahlreiche Gesuche an den Königshof führten dazu, dass Karl VII. sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts bemühte, die schwersten Mängel zu beheben. Er veranlasste die Aufzeichnung der Coutumes, die dann vom höchsten Gericht durch eine Bestätigung und eine anschließende Publikation autorisiert wurden. Eine Weiterentwicklung des Rechts blieb dennoch möglich. Die Aufzeichnungstätigkeit wurde erst durch Karl VIII. formalisiert, indem er genaue Regeln zur Aufzeichnung einführte. Das dadurch entstandene Corpus konnte nun auch studiert werden. Die erreichte Vereinheitlichung führte aber auch zu einem Verlust der Anpassungsfähigkeit. Besonders für die rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen haben die Coutumes einen großen Quellenwert.
Der Begriff Weistümer umfasst eine Vielzahl mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Quellen. Gemeinsam ist allen die Art Entstehung, die durch eine gerichtsförmige Weisung durch rechtskundige Männer einer Rechtsgemeinschaft erfolgt ist. Die mittelalterliche Vorstellung war, dass es eine vorgegebene Ordnung gab, so dass das Recht nur gefunden und gewiesen werden musste. (Es war weiterhin wandelbar, was durch die Vorstellung einer besseren Rechtsweisung begründet wurde.) Die Weisung selber zeigt den Rechtszustand, der auf dem Konsens der Rechtsgenossen basierte. Im engeren Sinn betreffen die hoch- und spätmittelalterlichen Weistümer hingegen den bäuerlichen Lebensbereich. (Im engsten Begriffverständnis gab es Weistümer allerdings nur am Mittelrhein und an der Mosel. In der Regel werden aber auch Quellen ähnlichen Inhalts darunter subsumiert, die regional unterschiedliche Bezeichnungen haben, wie z.B. Rodel und Offnung. Legt man dieses Verständnis zu Grunde, dann finden sich Weistümer vom Mittelrhein bis zur Schweiz und Niederösterreich.) Weistümer sind aus der Urteilsfindung des ländlichen Gewohnheitsrechts entstanden, indem die Rechtskundigen der dörflichen Rechtsgemeinschaft befragt wurden. Im Prinzip wurde dabei das alte Recht der Bauern aufgezeichnet. Geregelt wurden die rechtlichen Verhältnisse der bäuerlichen Bevölkerung, die besonders die Beziehungen vom Grundherrn und der bäuerlichen Genossenschaft betrafen. Zentral waren die Bestimmungen zu Abgaben, Frondiensten, Nutzungsrechten an Wald, Wasser etc. und die Vorschriften, die die Besetzung, das Verfahren und die Teilnahmepflicht am grundherrlichen Hofgericht regelten. Selten sind Regelungen, die die Verhältnisse verschiedener Herrschaftsträger (Vogt und Grundherr etc.) zueinander thematisieren. Es finden sich zahlreiche nicht systematisierbare Einzelregelungen. Die Weistümer geben viel Aufschluss über Aspekte des bäuerlichen Lebens und Brauchtums, soweit sie die öffentliche Ordnung tangierten. Des Weiteren beinhalten sie Informationen zur bäuerlichen Wirtschaft und dem Verhältnis der Dorfgemeinde zum Herren.
Inhaltlich verwandt sind Akten der Rechtsprechung. Vor allem in Italien sind schon früh Urkunden des Königsgerichts überliefert. Ansonsten bleibt die Überlieferung solcher Akten bis ins 13. Jahrhundert selten. Noch später setzt die Überlieferung von Gerichsturteilen in Serienform ein. Diese Serien - wie z.B. die Magdeburger Schöffenspruchsammlungen - sind allerdings weder systematisch noch vollständig.

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