Biographien und Autobiographien

Biographien

Trotz ihrer antiken Tradition gab es im Mittelalter kaum Biographien. Bis in die Karolingerzeit haben sie überhaupt keine Rolle gespielt und auch danach kommen sie in der Regel nur vereinzelt vor. Zuweilen trugen Heiligenlegenden - besonders die Bischofsviten des hohen Mittelalters - historische Züge. Dennoch sind diese Quellen der Hagiographie zuzuordnen. Insgesamt ist keine homogene Quellengattung zu erkennen, sondern nur Einzelwerke mit individuellem Berichtshorizont, die eigentlich nur gemein haben, dass sie sich mit der Darstellung einer Person beschäftigen, deren Lebenszeit den Rahmen der Darstellung bildet.
Es ist bemerkenswert, dass nur wenige Könige eine Biographie erhielten. Einhard orientierte sich bei der Vita Karls des Großen an Sueton. Dabei interessierte Einhard aber mehr Karls historische Größe und Persönlichkeit als dessen Leben. Die Viten Ludwigs des Frommen waren stark hagiographisch ausgerichtet, zudem knüpften sie durch einen chronikalischen Bericht an einer annalistisch-chronistischen Geschichtsschreibung an. Die Viten Heinrichs II. hingegen waren reine Hagiographie. Auch Wipos Gesta Chuonradi (= Konrad II.) und die Gesta Frederici von Otto von Freising und Rahewin waren Tatenberichte (s.o.) und keine Biographien. Ähnlich sieht die Lage in Frankreich aus. Immerhin ist die Lebensbeschreibung Ludwigs VI., die von Suger in St. Denis verfasst wurde, als historische Biographie einzustufen. Der Pseudo-Turpin hingegen beschrieb Karl den Großen als epenhaften Kriegshelden und entfernte sich von dem wieder deutlich, was wir unter einer Biographie verstehen würden. In Italien sind allerdings für das 14. Jahrhundert Petrarca und Boccaccio anzuführen, die Biographien in Latein und der Volkssprache verfassten. In England schrieb Asser die Biographie Karls des Großen und auch Thomas Becket (ermordet 1170) wurden mindestens 10 Biographien gewidmet. Für Spanien ist El Cid zu erwähnen, der im Zentrum einer Mischung aus Biographie, Chronik, Heldenepos und Legende stand.

Autobiographie

Schon der Begriff Autobiographie ist modern und findet sich nicht im mittelalterlichen Sprachgebrauch. Beiläufige autobiographische Nachrichten sind hingegen nicht selten, während reine Autobiographien nur vereinzelt und in spezifisch mittelalterlicher Ausprägung vorkamen. In der Regel traten dabei zwei Ausprägungen auf: Die erste Variante beschrieb religiöse Erfahrungen als eine Art Seelengeschichte und folgte dabei der Bekehrungsgeschichte, den "Confessiones" (= Bekenntnissen) des Kirchenvaters Augustinus. Der Zweck war hierbei nicht die Abfassung einer Lebensbeschreibung, sondern es waren vielmehr moralische Absichten intendiert. In der zweiten Variante hingegen wurden die weltlichen Erfahrungen einer Person als Lebensgeschichte dargestellt. Das "wirkliche" Leben erhielt bei der Niederschrift durch die Auswahl, die Organisation und die Bewertung eine literarische Perspektive und Stilisierung, so dass bei der Auswertung Vorsicht angebracht ist. Besonders in der spätmittelalterlichen, volkssprachlichen Biographie wurde die Grenze zur Dichtung häufig überschritten. Autobiographien sind aber gerade vom spätmittelalterlichen Adel und Bürgertum in größerer Zahl erhalten. Insgesamt hat jede Autobiographie einen eigenen Charakter, so dass es, wie bei den Biographien, zumindest schwierig ist von einer homogenen Gattung zu sprechen.
Die oben angesprochen beiläufigen Selbstzeugnisse finden sich schon in Bedas "Historia ecclesiastica gentis anglorum" als Rückblick auf das eigene Leben, während Notker Balbulus aus seinem Leben als Sacherklärung berichtete. Die Autobiographien der ersten Variante waren inhaltlich eine Darstellung der "inneren" Entwicklung im Kampf um den Glauben, so dass die eigenen Verirrungen zur Belehrung anderer Menschen niedergelegt wurden. Beispielhaft für diese Variante stehen die Autobiographien von Otloh von St. Emeran, Guibert von Nogent und Hermannus, einem konvertierten Juden. Ebenso sind häufig Rechtfertigungen zu finden, so bei Rather von Verona, der um seine Bistümer Verona und Lüttich kämpfte, oder in Peter Abaelards "Historia calamitatum (= Katastrophengeschichte), der aufgrund seiner Beziehung zu seiner Schülerin Heloise nicht nur aus der Domschule vertrieben, sondern auch entmannt wurde. Sehr aufschlussreich sind auch die "Commenatrii rerum memorabilim" des Enea Silvio Piccolomini bis in die Zeit seines Pontifikats. Nicht nur Karl IV. war autobiographisch tätig - er verfasste eine Selbstdarstellung und einen Rückblick auf die frühen Jahre - auch Friedrich III. und Maximilian I. engagierten sich schriftstellerisch. Maximilians lateinisch-diktierte Autobiographie blieb zwar ein Konzept, ging aber teilweise in seine deutschen Werke ("Freydal", "Teuerdank" und "Weisskunig") ein, die er diktierte und nach ihrer Abfassung redigierte. Das Leben und die Taten des Kaisers wurden in ihnen allegorisch vorgestellt. Im Italien der Renaissance besann man sich auch in den Autobiographien auf antike Vorbilder. Ausgebildet wurde die Fähigkeit zu einer differenzierteren Selbst-Analyse. Im römisch-deutschen Reich war man hingegen stärker auf die Um- und Außenwelt ausgerichtet. Neben dem Interesse an der Person fanden auch Informationen über die Menschen und die Welt jenseits des eigenen Erfahrungshorizonts große Aufmerksamkeit.

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