Die mittelalterliche Geschichtsschreibung in Epochen

In Ergänzung zu den eben beschriebenen Genera soll hier ein kurzer Abriss der Geschichtsschreibung vorgestellt werden. Es folgt keine Literaturgeschichte, sondern der Versuch, die grundsätzlichen Veränderungen zu skizzieren.

Die Zeit der Völkerwanderung

Am Anfang des Mittelalters begegnen uns zwei Arten historiographischer Werke: Zum einen hatte sich die christlich-biblische Heilsgeschichte in spätantiker Tradition der Weltchronistik bemächtigt und zum anderen gab es die Geschichtserinnerung der germanischen Völker. Die germanische, mündliche Überlieferung volkssprachlicher Geschichtsdichtung erfuhr erst im 12. Jahrhundert eine Verschriftlichung; vorher gab es aber schon die spätrömische Darstellung germanischer Geschichte. Vorbildcharakter hatte die Gotengeschichte Cassiodors (bzw. Jordanes'), der selbst kein Gote war. Auch die Frankengeschichte Gregors von Tours hatte seine Wurzeln in der "reströmischen" Bildung der ehemaligen gallischen Provinzen, der christliche Weltgeschichtsvorstellungen beigefügt wurden. Laut Franz-Josef Schmale ist ein entscheidenes Kennzeichen des Übergangs von der antiken zur mittelalterlichen Geschichtsschreibung die wachsende Verengung und Regionalisierung der Werke. Dies zeige, dass die für erinnerungswürdig befundene Gemeinschaft oder Institution und ihr Wirkungskreis begrenzter geworden sei.

Die Zeit der Karolinger

In der Zeit der Karolinger waren die Klosterannalen von großer Bedeutung, und sie erfuhren in den Reichsannalen als gleichsam "offizielle" Darstellung der Ereignisse eine neue Qualität. Einhard verewigte Karl den Großen in einer Biographie und Nithart machte sich in vier Büchern Gegenwartsgeschichte um die Dokumentation der Reichsteilungskämpfe zwischen Ludwig den Frommen und dessen Söhnen verdient. Zuweilen sind nun auch Laien an historiographischer Produktion beteiligt. Diese Entwicklung wurde durch die karolingische Renaissance, die u.a. die antike und patristische Überlieferung nutzte, wenn nicht gar erst ermöglicht so doch wenigstens begünstigt. Die Geschichtsdichtung des Volkes blieb in der Regel mündlich und wurde nicht fixiert. Im Schrifttum insgesamt nimmt die Historiographie neben der Theologie einen wichtigen Platz ein. Nach Herbert Grundmann ist sie zu diesem Zeitpunkt nicht so stark "kompilatorisch-rezeptiv", sondern war eigenständig und persönlich geprägt. Neben der in den Klöstern gepflegten Annalistik waren die Weltchronistik, die die gesamte Geschichte aus der Vergangenheit bis zur Gegenwart fortführte und die Heiligenviten, die kirchliche Gestalten greifbar machte, für das Geschichtsbild der Menschen von großer Bedeutung. Auch die lateinische Dichtung wagte sich an zeitgeschichtliche Stoffe mit großer Wirkung auf die Nachwelt.

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