Stadtchroniken

Die ersten Stadtchroniken wurden im Italien des 11. und 12. Jahrhunderts geschrieben, von denen besondere Erwähnung die Chroniken Arnulfs von Mailand und Johannes' Codagnellus aus Piacenza verdienen. Auch Caffaros "Annales Ianuenses" (= Annalen Genuas) dürfen nicht vergessen werden. Nördlich der Alpen finden sich erste Chroniken im 13. Jahrhundert, während sie im 14. und 15. Jahrhundert die mit am weitesten verbreiteten Quellen darstellen. Voraussetzung für diese starke Zunahme war neben allen konkreten politischen Gründen sicher auch ein neuer Sinn für die eigene erfahrene Geschichte und ein neuer Sinn für die "kleinen" Begebenheiten ausschlaggebend, was der maßgebliche Wert dieser Chroniken ist. Bemerkenswert ist, dass sich die Gattung der Stadtchronik eigentlich nur in Italien und dem römisch-deutschen Reich findet. Bis auf wenige Ausnahmen ist ansonsten ein komplettes Fehlen in anderen Teilen Europas zu konstatieren.
Der Ursprung von Stadtchroniken kann vielfältig sein. Häufig finden sich die Anfänge oder Überschneidungen in bzw. mit der Bischofsgesta. Herbert Grundmann betonte, dass Bistums- und Klosterchroniken in Landes- und Stadtchroniken übergehen konnten. Es sind aber auch fließende Übergänge bei zunächst "hausorientierten" historiographischen Werken zu beobachten. So ging Ulman Stromers "Püchel von mein geslecht und von abentewr" in nürnbergische Stadtgeschichte über. Die Übergänge bleiben letztlich schwer bestimmbar, so dass manche Chroniken guten Gewissens auch in mehrere Gattungen eingeordnet werden können, je nachdem, welche Themenaspekte von Interesse sind. So ist Caffaros Stadtchronik - Caffaro gilt als erster Laienhistoriker Europas -, mit der er die "gesta episcoporum" verlässt, in großen Teilen auch dem Bericht des ersten Kreuzzugs gewidmet und somit auch den Kriegschroniken (s.u.) zuzuordnen. Thematisch wurden in den Stadtchroniken natürlich die die Stadt betreffenden Ereignisse festgehalten und externe Ereignisse nur soweit sie die Interessen der Stadt berührten. Chroniken von Seemächten wie Pisa, Genua und Venedig können aufgrund des weitreichenden Einflusses und der Interessen dieser Städte auch Berichte über Ereignisse aus ganz Europa und dem lateinischen Osten enthalten. Chroniken von Städten ohne Meereszugang berichten meistens von Rivalitäten mit Nachbarstädten und benachbartem Adel, über Verhandlungen und Kriegsführung. Der eigentlich lokale Ansatz wurde dann aber häufig in einen weiteren Kontext gestellt, indem ein weltchronikalischer Abriss der eigentlichen Stadtchronik voranging ("städtische Weltchroniken"). Manche Stadtchronisten orientierten sich an Weltchroniken wie Jakob Twinger von Königshofen, der die Straßburger-Chronik schrieb. Auch der venezianische Doge Andrea Dandolo griff im "Chronicon Venetium" bis an die Anfänge der Welt aus. Die Zeitspanne, über die eine Chronik Bericht erstattet, kann sehr unterschiedlich ausfallen. Chroniken, die aus einer dynastischen Geschichtsschreibung entstammten, umfassten ca. 150 Jahre. Manche dieser Familien verlängerten ihre Vorfahrenschaft bis ins Römische Reich. Solche Versuche, das Ansehen durch sagenhaftes Herkommen zu erhöhen, waren zuweilen auch in von vorneherein auf die Stadt konzentrierten Chroniken verbreitet. In Trier suchte man sich als Gründer Trebetus aus, den Sohn des babylonischen Königs und den Stiefsohn der Königin Semiramis. Trier fühlte sich mit dieser Gründerschaft 1250 Jahre älter als Rom. Auch die sehr ausführliche Geschichte von Florenz des Giovanni Villani in zwölf Büchern verband Florenz in den Anfängen mit Troja.
Als Quelle benutzten die Chronisten nicht nur Weltchroniken, obwohl dies oft der erste Anlaufspunkt war, sondern stützten ihre Aussagen lokaler Natur auf Stadtbücher, erzählende Quellen oder Urkunden. Oft schrieben Stadtschreiber und Ratsherren Stadtgeschichte - daneben gab es aber auch die Werke von Bürgern und Bettelmönchen -, so dass ein Zugang zu den Quellen leicht zu erreichen war. In der Phase der städtischen Freiheit und Selbstverwaltung waren die Stadtchroniken institutionell und politisch auf den Rat ausgerichtete Historiographie. Sie hatten einen offiziell-offiziösen Charakter und wurden zuweilen in die Stadtbücher eingetragen. Die Stadtchronistik war Ausdruck eines städtisch-bürgerlichen Selbstbewusstseins und Stolzes, der den Wunsch nach Verherrlichung nach sich zog. Die Entstehung hing aber oft mit konkreten, gegenwärtigen Ereignissen zusammen. Wichtige Stimuli waren Kriege zwischen rivalisierenden Städten oder innerstädtische Unruhen und die Rechtfertigung der damit verbundenen Ratspolitik. Aber auch überstädtisch-universale Tendenzen konnten eine Rolle spielen und der Wunsch, die eigene Stadtgeschichte in einen größeren historischen Zusammenhang stellen zu wollen. Insgesamt lässt es die Vielfalt der Ausgestaltung schwer zu, ein zusammenfassendes Urteil über die schon überwiegend in Volkssprache abgefasste Stadtchronistik zu fällen.

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