Familien-, Dynastie-, Haus- und Landeschroniken

Familien-, Dynastie- und Hauschroniken gingen oft in eine Landeschronik über, da sie sich auf den Landesherren oder dessen Dynastie ausrichteten. Auch hier sind also Überschneidungen gegeben. Ebenso finden sich Parallelen zu Genealogien, die aber gesondert behandelt werden (s.u.).

Erste Anfänge der im Spätmittelalter in voller Blüte stehenden Hauschroniken werden zuweilen schon in den "origo gentis" (s.o.) gesehen, da diese nicht nur von den Volksstämmen, sondern besonders auch von den Herrscherdynastien erzählten. In diesem Kontext gab es Chroniken, die vom Aufstieg neuer Dynastien berichteten, so z.B. Fredegar, der die Pippiniden in den Blick nahm. Auch volkssprachige Lieder und hagiographische Quellen, in denen die Heiligen ihrer Familie zugeordnet wurden und deren Familiengeschichte dann beschrieben wurde, gelten als "Proto-Hauschroniken". Diese entstanden durch die Erweiterung von Abstammungslisten, in denen die Taten der Familienmitglieder festgehalten wurden. Diese Genealogien wurden dadurch aber nicht abgelöst, sondern es entwickelte sich in den Chroniken eine neue Form. Als älteste Chronik dieser Art wird oft die Chronik der Grafen von Anjou gesehen. Im 12. Jahrhundert entstand die Welfengeschichte. Auch hier wurde aus der "genealogia welforum" eine "historia welforum".

Hauptsächlich ließen Fürstenhäuser Hauschroniken anfertigen, die meist mit den entstehenden Territorialländern zusammenhingen, so dass, wie schon erwähnt, Familien- und Landesgeschichte gleichzeitig überliefert wurden. Ähnlich wie die "gesta episcoporum" standen bei Hauschroniken die "gesta principum" (Taten der Fürsten) im Mittelpunkt. Sie beginnen meist mit dem ältesten bekannten Vorfahren, der häufig eine eher "windige" Gestalt war, da man in der Regel außer dessen Namen nichts von ihm wusste. Lücken in der Überlieferung wurden daher oft recht frei aufgefüllt. Die Themen dieser fürstlichen Geschichtsschreibung sind neben dem Herkommen und der ungebrochenen genealogischen Abfolge besonders die damit angedeutete historische Begründung und Legitimierung der Kontinuität ihrer Landesherrschaft. Zuweilen sollten ältere Rechte durch die Historiographie demonstriert werden. Manchmal wird die Dynastie dann auch in die Reichs- oder Universalgeschichte eingeordnet oder es finden sich Bemühungen, sich an berühmte Dynastien anzusippen, woraus sich das Selbstverständnis der Familie ableiten lässt. (Man versuchte sich mit dieser Ansippung auch für wichtige Posten und Ämter zu qualifizieren.) Die eigene Familie wird aus nahe liegenden Gründen immer ausgesprochen positiv dargestellt. Die Gründe für die Abfassung waren, neben allen konkret-politischen Faktoren, auch der Wunsch nach Erinnerung und Verherrlichung der wichtigsten Begebenheiten und die Erinnerung an die nachahmenswerten Taten der Vorfahren. Insgesamt sind die Chroniken Ausdruck eines dynastischen Familien- und Herrschaftsbewusstseins und spiegeln die mittelalterliche Adelsgesellschaft wider. Die Historiographen deckten in der Regel drei bis sechs Generation in ihrer Beschreibung ab, wurden aber immer ausführlicher je näher sie der Gegenwart kamen. Sie stützten sich dabei nicht nur auf schriftliche Quellen, sondern auch auf die mündliche Überlieferung. Es kommt vor, dass die Gewährsleute sogar namentlich genannt wurden. Von großer Bedeutung als Quelle waren zudem Klosterchroniken, die die Geschichte der Stifterfamilie mit einbezogen. Es lässt sich aber keine gerade Linie von den Klosterchroniken zur höfischen Geschichtsschreibung ziehen. Das dringendste Forschungsproblem ist die Feststellung der Abhängigkeiten. Leider gibt es bisher kaum kritische Editionen.

Landeschroniken

Landeschroniken waren erst im Spätmittelalter verbreitet. Ihr Blick richtete sich auf die Territorialherrschaft, die natürlich unweigerlich mit dem Landesherren verbunden war. Aber nicht nur Hauschroniken auch Nationalgeschichtsschreibung konnte berührt werden. Überschneidungen sind daher zahlreich gegeben. Aus dem 12. Jahrhundert sind zu erwähnen: die Chronik der Grafen von Anjou und die Chronik des Giselbert de Mons über die Grafen des Hennegaus. Herbert Grundmann rechnet auch die Slawenchronik Helmolds von Bosau zur Landesgeschichtsschreibung, da sein Hauptinteresse dem Land der Slawen galt. In diesen Bereich fielen auch das "Chronicon Livoniae" Heinrichs von Lettland und das "Chronicon terrae prussiae" Peter von Dusburgs. (Diese Chroniken werden hier unter "Kriegs- und Kreuzzugschroniken" näher behandelt.) Für das Reich seien hervorgehoben das "Chronicon Austriae" von Thomas Ebendorfer und für die bayrische Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart schrieb Andreas von Regensburg die "Chronica de principibus terrae Bavarorum". Das Themenspektrum der Landeschronistik war recht weit: Nicht nur die Politik des beschriebenen Landes und Krieg und Frieden werden behandelt, sondern auch spektakuläre Verbrechen und meteorologische Geschehnisse finden Erwähnung. Insgesamt neigen die Landeschroniken zu einem verengten Blickfeld, würdigen nahe Geschehnisse dafür aber umso mehr. Letztendlich bekamen alle Territorien eine eigene Chronik, die ursprünglich meist in Latein geschrieben wurde und eine nachträgliche Übersetzung erfuhr. Die Schwierigkeiten der Abgrenzung seien an der Chronik des Johann von Vitring angdeutet: Er schrieb eine Reichs- und bayrische Landeschronik aus zisterziensischer Perspektive.

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