Die schätzungsweise 200 Welt- oder Universalchroniken, die im Mittelalter entstanden sind, wollten die gesamte Geschichte von der Schöpfung bis zur Gegenwart (manchmal gar bis zum Jüngsten Gericht) darstellen. Hierbei fand nicht nur die Kirchengeschichte, sondern auch die Reichsgeschichte oder allgemeiner die profane Geschichte Erwähnung. Man scheute sich in den Chroniken nicht, antike (heidnische) Allgemeinbildung mit zu überliefern. Dabei hatte die Weltchronik eine heilsgeschichtliche Ausdehnung und strukturierte die Geschichte z.B. nach der Lehre von den vier Weltreichen oder den sechs Zeitaltern. Die Weltgeschichte wollte die "ratio temporum" zeigen, d.h. die von Gott gesetzte Folge der Zeiten.
Ziele
Das Ziel war es, eine lineare Zeitzählung und die zeitlichen Bezüge der Ereignisse und der Regierungszeiten der Herrscher in den verschiedenen Reichen herzustellen, weswegen einer Weltchronik oft eine Synopse vorangestellt war. Man wollte die Daten der Ereignisse möglichst genau bestimmen und sämtliche benutzte Materialien mit den Zeitangaben chronologisch widerspruchsfrei ordnen. Bevor sich in der Zählung nach Inkarnationsjahren eine einheitliche Datierungsweise durchgesetzt hatte, musste viel Mühe auf die Synchronisation der Ereignisse verwendet werden, da sie nach verschiedenen Jahreszählungen datiert waren. Die Zeitmessung nach Weltären beispielsweise unterschied sich je nachdem, ob sie nach der griechischen Fassung der Bibel, der Septuaginta, oder nach der lateinischen Bibelübersetzung, der Vulgata, berechnet worden war. Hieronymus berechnete Christi Geburt nach der Septuaginta auf das Weltjahr 5198, während Beda Christi Geburt nach der Vulgata auf das Weltjahr 3952 datierte. (Weitere gängige Jahreszählungen waren u.a. die Gründung, Wiederbegründung oder Zerstörung des Tempels von Jerusalem, die Jahre der babylonischen Gefangenschaft, zuweilen der Tod des Heiligen Martin, die Ankunft der Angelsachsen in England, die Olympiaden, die Eroberung Trojas, die Gründung Roms oder die Indiktionen.) Der Berichtshorizont wurde dann von dem Zugang zu den Quellen begrenzt und verengte sich oft je näher man der Gegenwart des Autors kommt. Eine solche Zeitgeschichte ähnelt daher zumeist einer Reichsgeschichte. Die Mehrzahl der Weltchroniken sind im römisch-deutschen Reich entstanden und betonten die Kontinuität des Römischen Reiches.
Ursprung und Entwicklung
Die Ursprünge der Weltchronistik finden sich schon in der Spätantike. Die erste christliche Weltchronik wurde von Sextus Iulius Africanus im dritten Jahrhundert verfasst, der eine synchrone Zusammenstellung der Ereignisse von Adam bis ins Jahr 217 niedergelegt hat. Sie wurde dann von Eusebius von Cäsarea und Hieronymus benutzt. Heute ist sie aber nur noch fragmentarisch erhalten. Eusebius synchronisierte in seinen "chronicorum canones" die biblische Geschichte mit antiken Dynastien und Olympiaden nach der Zeitrechnung von Abrahams Geburt an. Hieronymius' Übersetzung und Ergänzung der Chronik von Eusebius bis ins Jahr 378 war für die Nachfolger maßgeblich und die Grundlage mittelalterlicher Weltchronistik. Sie fand später viele Fortsetzungen. Selbst Augustinus nutzte sie noch, durch den sich übrigens die Aetates-Lehre einbürgerte. Paulus Orosius vereinte im fünften Jahrhundert als erster Historiograph die römische und christliche Geschichte ("Historiae adversus paganos") und übernahm als Interpretationsrahmen der Weltgeschichte die vier Weltreiche aus dem Traum Daniels. Die legitimen Nachfolger in Bezug auf Rezeption und Wirkung waren Isidor von Sevilla ("Chronikon" bis 627 und Etymologien) und Beda Venerabilis ("de sex aetatibus" und "de ratione temporum"). Während Isidor die Weltalterlehre von Augustinus aufnahm und ihr eine weite Verbreitung bescherte, verwendete Beda als erstes die Zählung nach Inkarnationsjahren, die der skythische Mönch Dionysius Exiguus am Anfang des 6. Jahrhundert entwickelte. Beda gestaltete zudem die Aetates-Lehre aus, die dadurch bis ins 11. Jahrhundert bestimmend sein würde.
Im Frankenreich war die Weltchronistik weit verbreitet (Frechulf von Lisieux, Regino von Prüm). Besonders unter den Karolingern blühte die Verknüpfung von fränkischer und römischer Geschichte. Ein Niedergang war mit dem Verfall des Reiches zu beklagen. Im 11. Jahrhundert hingegen, im Zuge der weitgreifenden Reichspolitik, der mönchisch-kirchlichen Reformbewegung, dem Investiturstreit und der Kreuzzüge erreichte die Weltchronistik neue Höhen. Beispielhaft sei nur die Reichenauer Welt- und Kaiserchronik genannt. Der Höhepunkt weltchronistischer Geschichtsdarstellung wurde durch Otto von Freisings "Chronica sive Historia de duabus civitatibus" erreicht, der, so Herbert Grundmann, mittels philosophischer Durchdenkung das tiefsinnigste Bild der Weltgeschichte geschaffen habe. Im 12. und 13. Jahrhundert entstanden in England (z.B. Matthäus Paris), Frankreich und Spanien zahl- und umfangreiche Weltchroniken. Im römisch-deutschen Reich bekamen die Chroniken einen eher kompendienhaften Charakter. Im Spätmittelalter erfuhren die Papst- und Kaiserchronik Martin von Troppaus sowie die "Flores temporum" weite Verbreitung, welche schematische Kompendien zu Predigtzwecken waren, die ihren kargen Stoff unkritisch und zusammenhangslos erzählten und mit Anekdoten anreicherten. In der Zeit des Humanismus besann man sich wieder auf gewichtigere Werke wie Hartmann Schedels Weltchronik von 1493. Man veränderte nicht die Grundform oder den Gehalt der Weltchroniken, sondern nur die stilistische Ausgestaltung.
Typen
Anna Dorothee von den Brincken unterscheidet drei Typen von Weltchroniken:
- die zeitorientierte "series temporum", die ihren Schwerpunkt auf den linearen Ablauf der Geschichte legt und das Datengerüst mit den Ereignissen auffüllte,
- das stofforientierte "mare historiarum", das eine Vielzahl von Geschichten präsentierte,
- die "imago mundi", die besonders im Spätmittelalter weit verbreitet war und in enzyklopädischer Form Geschichte, Geografie etc. mit einander verbunden hat.
Eine gute Weltchronistik zeigte allerdings Züge aller drei Typen.
Hinweise zur Auswertung
Zur Auswertung seien ein paar kurze Hinweise gegeben: Schwierigkeiten tauchen bei der Ermittlung des chronikalischen Systems und der Vorlagen auf, da sich häufig eine riesige handschriftliche Überlieferung findet und bei der Untersuchung der Intentionen des Autors. Vielfach gibt es noch keine hinreichenden Editionen. Weltchroniken eignen sich in hohem Maße zur Erforschung der Vorstellungswelten und des Geschichtsdenkens. Besonders die Geschichtstheologie und das konkrete Geschichtsbild sowie die grundsätzliche Einstellung und Absicht des Autors kann untersucht werden.