Chroniken

Der formale Begriff "Chronik", der unter "a) Formale Gruppen" erläutert wurde, ist ein Sammelbegriff, der inhaltlich verschieden gefüllt werden kann und muss: Eine inhaltliche Unterscheidung wird hier nach Gegenstand, Institution und Berichtshorizont des Werkes vorgenommen. Der Gegenstand konnte z.B. Reichs- oder Kirchengeschichte sein. Eine Unterscheidung nach der Institutionen, in der eine Chronik entstand, begegnet einem z.B. in Bistums-, Kloster- oder Stadtchroniken. Der Berichtshorizont schließlich unterscheidet mit fließenden Übergängen zwischen Welt-, Reichs- und Lokalchroniken etc. Es kommt dabei gelegentlich vor, dass Regionalchroniken einen weiteren Horizont haben als Weltchroniken. Auch schwankte zuweilen der Horizont je nach der beschriebenen Epoche. Diesen Dingen konnte eine bewusste Entscheidung zu Grunde liegen oder die Möglich- bzw. Unmöglichkeit dokumentieren, in die zu berichtenden Gegenstände Einblick zu erhalten. Dem intendierten Berichtshorizont und der institutionellen Eingebundenheit sollen bei der inhaltlichen Unterscheidung aber Vorrang eingeräumt werden.

Reichschroniken

Weltchroniken gingen besonders bei der Darstellung der nahen Vergangenheit und Gegenwart häufig in Reichschroniken über, wohingegen Chroniken, die als Reichsgeschichten angelegt waren, oft einen weltgeschichtlichen Abriss vorangestellt bekamen. Reichsgeschichte war vielfach mit Königsgeschichte gleichzusetzen, so dass das geographische Kerngebiet der Königsdynastie dem Schwerpunkt der historischen Darstellung entsprach. Bei den Ottonen war dies Sachsen, während das Kerngebiet der Salier Süddeutschland war. Über die antikönigliche Partei fand allerdings auch der sächsische Raum Betrachtung. Zur Zeit der Staufer war der Süden und Südwesten das Zentrum des historischen Interesses.
Reichsgeschichtliche Aspekte und Zusammenhänge wurden zwar von den meisten Chroniken berücksichtigt, ihr primäres Interesse war aber meist ein anderes. Die reichsgeschichtlich wertvollen historiographischen Werke Widukinds von Corvey und Thietmars von Merseburg können dies illustrieren: Widukind wollte beispielsweise eher eine Stammesgeschichte der Sachsen schreiben, während die Chronik Thietmars eine Bistumschronik war. Reichsgeschichte findet sich auch in Darstellungen, die der "Gesta" zuzuordnen sind, wie z.B. in der "Gesta Friderici Imperatoris" von Otto von Freising und Rahewin. Zeitgeschichtliche Reichschroniken werden von der modernen Forschung der politischen Geschichte aufgrund ihrer Nähe zu den Ereignissen am meisten geschätzt. Sie waren im Mittelalter selbst aber kaum verbreitet. Am Königtum orientierte Reichsgeschichten entstanden hauptsächlich in Frankreich und England: dort seit 1274 die "Grandes Chroniques de France", hier mehrere "historia regum Anglorum". Die Reichgeschichte wurde langsam zu "Nationalgeschichte" (s.u.)

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