Der lateinische Sprachraum dehnte sich seit dem Hochmittelalter bedeutend aus. In der Karolingerzeit erfasste er Mitteleuropa. Danach weitete er sich nach Norden, Osten und Südosten und in Folge der Kreuzzüge auch im Orient aus.
Das ostfränkische Reich und der Norden
Das spätere ostfränkische Reich war anfangs eine Randzone, aber durch eine Kombination aus Christianisierung und begleitenden Zwangsmaßnahmen wurde es in das karolingische Reich und in die römische Kirche stärker eingebunden. Ehemalige Außenposten wie Salzburg, Magdeburg und Hamburg-Bremen wurden zu Missionszentren. Bildungszentren waren die Bodenseeklöster Reichenau und Sankt Gallen. Obwohl einige Gebiete am Mittel- und Niederrhein zum Römischen Reich gehört hatten, ist die christlich-lateinische Kultur Frucht eines Neuansatzes durch die Mission: Latein wurde schulmäßig erlernt und als Schriftsprache verwendet. Auch die Literatur stand im 10. Jahrhundert in voller Blüte. Ebenso für Dänemark und Island und im 11. und 12. Jahrhundert auch für Schweden, Norwegen, Finnland (zu Schweden gehörend) und einigen baltischen Gebieten war die Missionierung Voraussetzung für die Aufnahme des Lateinischen. Der Form nach war es ein reines, karolingisch-nachkarolingisch Latein. Die Einflüsse aus den Volkssprachen waren gering.
Der slawischen Osten
Das Lateinische breitete sich hier in zwei Prozessen aus: Erstens durch den unmittelbaren Kontakt während der Antike. Dies betraf die Völker der Kontaktzone in Illyrien, Dalmatien und dem Gebiet von Aquileija. Zweitens war die Missionierung aus dem römisch-deutschen Reich und der Christianisierung während des Hoch- und Spätmittelalters die entscheidende Quelle der Latinisierung. Grenzen waren dem Lateinischen dennoch gesetzt: Es machte vor den griechisch-sprachigen Gebieten halt, die unter dem Einfluss der griechisch-orthodoxen Kirche standen. An der dalmatinischen Küste hingegen hatte das Venezianische, ein italienischer Dialekt, großen Einfluss auch auf die Schriftsprache.
Tschechen und Polen
kamen im 10. und 11. Jahrhundert in Folge der Christianisierung in Kontakt mit einem Latein nachkarolingisch-ottonischer Prägung. Die Aneignung geschah über Kirche, Schule, Schrift und Buch. Frühmittelalterliche Vulgarismen fehlten in der Regel, und die volkssprachliche Einsprengsel wurden von gehobenen lateinischen Texten ferngehalten. In Urkunden und sonstigen Gebrauchstexten sind aber viele Lehnwörter verwendet worden. Dadurch, dass die Volkssprachen erst spät literaturfähig wurden, blieb das Lateinische lange Zeit lebendig und Mittel der gehobenen Kommunikation.
Ähnliches gilt auch für Ungarn. Manche Gebiete waren Teil des Römischen Reiches und daher schon in der Antike christianisiert. Nach der Landnahme der Magyaren, den heidnischen Ungarn, wurde das Gebiet von Westen her christianisiert. Stephan I. (997-1038), der im Jahr 1000 zum ersten König gekrönt wurde, verhalf dem Christentum zum Durchbruch. Das Ungarische, eine nicht-indoeuropäische Sprache, war lange Zeit nicht schriftfähig. Latein hingegen nahm allmählich eine prominente Stellung ein, obwohl aus der älteren Zeit wenige lateinische Texte überliefert sind. Seit dem 12. Jahrhundert wuchs die Überlieferung stark an. Im übrigen war Latein bis 1844 Amtssprache in Ungarn und auch im Alltagsleben spielte es in diesem Vielvölkerstaat zum Teil noch eine bedeutende Rolle. Insgesamt fanden volkssprachliche Elemente relativ wenig Eingang, wohl vor allem deshalb, weil das Ungarische so verschieden war.
Der lateinische Orient
Die Kreuzfahrer brachten das Lateinische wie selbstverständlich mit in den Orient. Die Bildungsvoraussetzungen und die Sprachhandhabung wurden aus den Ursprungsländern, besonders Frankreich, importiert. Auch die Wechselwirkung mit den Volkssprachen wurde weiter gepflegt, während kaum Einflüsse mit den Sprachen des Orients zu entdecken sind.