Die Geschichte der Genealogie 3

Die Genealogie seit dem Übergang zur Neuzeit:

Eine dem heutigen Begriff von Genealogie nähere Arbeitsweise setzte um 1500 ein, als Ladislaus Suntheim im Auftrag Kaiser Maximilians eine Familiengeschichte der Babenberger und Habsburger schrieb, für die er die Archive konsultieren konnte. Auch andere Adelsgeschlechter wurden erforscht; allerdings gab es kaum bürgerliche genealogische Bemühungen. Um 1700 wurde Genealogie an den Universitäten hauptsächlich von Historikern und Juristen betrieben, da verschiedene genealogische Fragestellungen die Rechtswissenschaft unmittelbar berührten, wie die Frage der Erbfolge, der Primogenitur, oder der Ebenbürtigkeit, die von großer Bedeutung war. (Ehen zwischen nicht-ebenbürtigen Partnern konnten zwar trotzdem geschlossen werden, dem Ehepartner und den Abkömmlingen wurden aber keine Gleichrangigkeit zu Teil. Damals hieß es, dass sie der "ärgeren Hand" folgten.) Mit Johann Christoph Gatterer (1729-1799), der 1788 ein Lehrbuch der Genealogie veröffentlichte, wurden genealogische Forschungen zum ersten Mal auf ein höheres praktisches und theoretisches Niveau gehoben. Ein breiteres öffentliches Interesse am Ende des 18. Jahrhunderts lässt sich am Erscheinen zahlreicher genealogischer Druckwerke zum Personenbestand des Adels erkennen. Neben dem "Gotha" (s. 4.) erschienen Adelslexika und biographische Nachschlagewerke.

Die Entwicklung der Familiengeschichtsforschung im 19. und 20. Jahrhundert:

Die Bedeutung des Werks von Gatterer wurde nicht erkannt und die Genealogie verschwand bald aus den Universitäten. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts kam es zu einer neuen Blüte, die vornehmlich der Gründung zweier heraldisch-sphragistischer Vereine, dem Herold und dem Adler, zu verdanken ist. Sie nutzten die Genealogie erst als Hilfswissenschaft für ihre Untersuchungen und dann als eigenständige Wissenschaft. Die beiden Vereine bemühten sich um eine kritische und zuverlässige Genealogie, die auch schon Leopold von Ranke 1867 gefordert hatte. So fand in den Vereinszeitschriften auch die maßgebliche wissenschaftliche Diskussion um die Ausrichtung und die Vorgehensweise der Genealogie statt. Ottokar Lorenz ist mit seinem "Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie" (1898) das Verdienst zuzuweisen, der Begründer der modernen Genealogie zu sein. Sein Lehrbuch ist deutlich der darwinistisch-naturwissenschaftlichen Richtung zuzuordnen, die der Adelsforschung verhaftet blieb und die von den Naturwissenschaften als Hilfswissenschaft für die Humangenetik betrachtet wurde. Diese biologische und vererbungswissenschaftliche Ausrichtung wurde auch von den zahlreichen familiengeschichtlichen Vereinen übernommen, was in der NS-Zeit fatale Auswirkungen hatte. 15 Jahre nach Ottokar Lorenz' Werk wurde in Form von Eduard Heydenreichs "Handbuch der praktischen Genealogie" ein Gegenstück veröffentlicht, in welchem die Genealogie als historische Hilfs- oder soziale Grenzwissenschaft beschrieben wurde.

Sippenforschung in der NS-Zeit:

Die naturwissenschaftliche Richtung der Genealogie nahm verstärkt rassistisches Gedankengut auf, welches zur politischen Agitation genutzt wurde. Alfred Rosenberg und Richard Walter Darré forderten den "Nordischen Menschen" und einen "Neuadel aus Blut und Boden" zu züchten. Für Heinrich Himmler war das ein "Reich des Blutes", in dem "Artfremde" keinen Platz hatten und erst umgesiedelt und dann ermordet werden sollten. Antisemitismus und Rassenideologie waren in der Ideologie der NSDAP fest verankert und Mitglieder mussten ihre arische Abstammung nachweisen. Später wurde für viele Berufe ein Abstammungsnachweis erforderlich. Sippenkunde war nun ein selbstverständliches Fach an Schulen und Universitäten. Naturgemäß ist besonders aus dieser Zeit viel rassistisches Schrifttum überkommen.

Die Zeit nach 1945:

Nach 1945 hat sich die Genealogie nur schwer von dem erlittenen, aber auch selbst angerichteten Schaden erholt. Hermann Mitgau machte sich aber seit den 70er Jahren um die Genealogie als Sozialwissenschaft verdient. Im Mittelpunkt der Sozialgenealogie standen die Verhältnisse von Genealogie und Familie und Genealogie und Gesellschaft. Hermann Mitgau bewegte sich im Grenzgebiet von Genealogie und Soziologie und wollte eine "soziologische Vererbungslehre" schaffen. Erforscht werden sollten: die historischen Führungsschichten und Stände, der Adel und das Patriziat der Städte, einzelne Bevölkerungsgruppen, wie Ordensmitglieder, Hugenotten, Juden oder verschiedene Berufsgruppen. Dabei wurden erstmals "unehrliche" Berufe, z.B. Scharfrichter, Abdecker, Nachtwächter und Prostituierte untersucht. Mit der Erstellung von "Gruppenbiographien" sollte ein Zugang zur Mentalitätsgeschichte geschaffen werden. Des Weiteren gerieten Wanderungsbewegungen (Ostsiedlung und Überseewanderung) in den Blickpunkt der Forschung. Insgesamt sollte die gesellschaftliche Eingebundenheit der Menschen Berücksichtigung finden und das Verhältnis von Geburt und Klasse im Wandel der Zeiten, soziale Inzucht, die Frage der Ebenbürtigkeit, Berufstreue und Ämterpatronage untersucht werden. Auch bemühte sich Hermann Mitgau um die Systematisierung der genealogischen Begriffe.

Vorige Seite Nächste Seite