Die Geschichte der Genealogie

Vorbemerkung:

Völker, Stämme und Herrscherdynastien leiteten ihr Selbstverständnis und sich selbst oft aus mythischen Ursprüngen, d.h. von Göttern und Heroen, ab. Ihr Ansehen war abhängig von der Kontinuität und der Stichhaltigkeit ihrer Abstammung von den Vorfahren. Beispiele für eine solche Vorgehensweise finden sich im alten Ägypten bei den Pharaonen, in den norwegischen Stammbaumgedichten, im Orient und in den Göttergenealogien der Veden. Die Genealogie war aber nicht nur für den Herrscher von Bedeutung, sondern auch für die anderen Menschen, besonders da, wo die Religion oder die aus der Religion abgeleitete Ordnung Klassen, Stände, Kasten o.ä. bildete, die selten (problemlos) durchlässig waren. Im 19. und 20. Jahrhundert kam die neugeschaffene Kategorie "Rasse" als unüberwindliche Barriere hinzu.

Griechenland:

In Griechenland wurde auf Eugenie (= Wohlgeborenheit) großen Wert gelegt. Größte Bedeutung wurde dem Stammvater beigemessen. Das ging schließlich soweit, dass bei Totenspielen und Wettbewerben die Dichter fast ausschließlich die edle Abstammung der Verstorbenen bzw. der Sieger gepriesen haben, während die persönliche Leistung für Staat und Gesellschaft keine Erwähnung mehr fand. Die Abstammung von einem Heroen musste allerdings auch "bewiesen" werden. So kam es, dass die Ahnenreihen mit Füllnamen vervollständigt werden mussten. Ähnliches findet sich in der Ilias, in der die Aufzählung der Ahnen, die für den Kampf notwendige Ebenbürtigkeit zu beweisen hat. Ebenbürtigkeit war aber nicht nur im Kampf wichtig, sondern auch für Eheschließungen. Als mit der Entstehung der Demokratien der Adel an politischem Einfluss verloren hatte, wurde dennoch die Familientradition weiter gepflegt. Aus politischen Erwägungen legten auch "Emporkömmlinge" (wie Alexander der Große) großen Wert auf edle Abstammung. Dem wirklichen Adel, dessen Macht im Schwinden begriffen war, wollten sie dennoch in diesem Punkt gleichkommen. In der Kaiserzeit kam es zu einer regelrechten Ahnenjagd, bei der sich die "Vornehmen" am Ende ihre gute Herkunft selbst bestätigten.

Das Römische Reich:

Während man in Griechenland Menschen unter geringer Beachtung der individuellen Züge heroisierte, fand in Rom die individuelle Leistung für Staat, Gesellschaft und Religion große Anerkennung, die auch auf das gesamte Geschlecht übertragen wurde, so dass manchmal noch spätere Generationen davon profitierten. Durch den Gentilnamen fühlte man sich mit den Vorfahren verbunden. Zum Ausdruck wurde dies auch beim Leichenzug ("pompa") gebracht, bei dem die Freunde und Verwandte Masken und Gewänder prominenter Vorfahren des Verstorbenen trugen. Die Patrizier bildeten anfangs einen geschlossenen Heiratskreis. Als die Plebejer rangmäßig aufrückten, hatten sie naturgemäß keine so eindrucksvollen Ahnenreihen vorzuweisen. Dies wurde dadurch kompensiert, dass sie Geschlechter mit gleichem oder ähnlichem Namen zu eigenen Vorfahren erklärten. Nach und nach heirateten auch Plebejerinnen in patrizische Geschlechter ein und die Sitte entstand, dass beim Leichenzug auch Mutterstämme berücksichtigt wurden, so dass "Neureiche" nun auch Altadelige zu ihren Vorfahren zählen konnten. Mit der verstärkten Übernahme griechischer Kultur kam es auch in Rom zur Ahnenjagd und einer Rückverfolgung der Stammväter bis in mythische Vorzeiten. Des Weiteren ist noch hervorzuheben, dass römische Ahnentafeln nicht nur die biologische Abkunft berücksichtigten, sondern auch Adoptionen. Wer adoptiert wurde, übernahm die Ahnen der Adoptiveltern, wie das Beispiel Cäsar und Oktavianus Augustus zeigt. Als Kaiser, die nicht aus Italien kamen, regierten, wurden beim Leichenzug nicht mehr die Ahnenmasken des Herrschers, sondern die Portraits hervorragender Römer mitgeführt.

Vorige Seite Nächste Seite