Einteilung und Forschungsrichtungen

Die Genealogie hegt besondere Verbindungen zur Soziologie und zur Humangenetik, aus denen sich die zwei bedeutenden Richtungen innerhalb der Wissenschaft ergeben. Zum einen die (mittlerweile vorherrschende) Sozialgenealogie und zum anderen die Genetische Genealogie. Die Sozialgenealogie befasst sich vorwiegend mit dem Auf- und Abstieg von Familien, den Veränderungen von Besitzverhältnissen (Übernahme von Rittergütern durch städtische Bürger), Berufsvererbung und Berufswechsel im Handwerk und Fragen der Ebenbürtigkeit und Ämterpatronage. Die Genetische Genealogie hingegen wird stark von den Ergebnissen der Humangenetik beeinflusst. Besonders am Anfang des 20. Jahrhunderts war die Genetische Genealogie von unglücksseligen Verflechtungen zur "Rassenhygiene" und Eugenik belastet. Im Mittelpunkt standen danach biostatistische Erhebungen (z.B. zu Heiratsalter, Todesalter, Kinderhäufigkeit etc.), die Untersuchung der Folgen von Inzucht bei geschlossenen Heiratskreisen, Aussagen zur Veränderung der Genstruktur, die Untersuchung von Erberkrankungen (Bluter, Geisteskrankheiten in der bayrischen Königsfamilie etc.), der Vererbung äußerlicher Merkmale (z.B. bei den Habsburgern) und der Vererbung geistiger Eigenschaften (Musikalität bei der Familie Bach). Die Genealogie ist aber - obwohl sie sich mit zahlreichen Nachbarwissenschaften berührt - vor allem eine historische, auf Quellen und Quellenkritik basierende Wissenschaft. Die Grenzen der Forschung werden deshalb von den Quellen diktiert. Gehen die Quellen aus, ist es nicht möglich, die Suche nach den Vorfahren weiter zu verfolgen. Uradelige Geschlechter lassen sich manchmal bis zu Karl dem Großen zurückverfolgen; alle anderen Personen müssen in der Regel schon recht früh ihre Bemühungen, die Ahnen aufzufinden, aufgeben. Wenn nicht die Quellen fehlen, dann ist auch die mittelalterliche und frühneuzeitliche Namengebung eine oft unüberwindliche Hürde, da in vielen Jahrhunderten die Menschen nur einen Namen, den Vornamen, hatten. Die Onomastik befasst sich mit der Erforschung der Namen und wird in dieser Lerneinheit als Hilfswissenschaft der Genealogie vorgestellt.

Abgrenzung zu anderen Wissenschaften

Von der Genealogie unterscheiden muss man die Zweigwissenschaften Bevölkerungslehre, die die Erforschung der zahlenmäßigen und sozialen Entwicklung (Schichtungsforschung, einzelne Berufsgruppen) der Bevölkerung eines Territoriums erforscht, die Volksgeschichte, die sich z.B. um die sprachlichen und ständischen Verhältnisse eines Volkes kümmert oder die Personengeschichte (Biographik), die sich um die Erforschung und Darstellung der Lebensgeschichte einzelner Personen bemüht und versucht, aus individuellen Vorgängen gesellschaftliche Strukturen zu erfassen. Ebenso ist die Prosopographie - sie stellt Kurzbiographien bestimmter Personengruppen zusammen - extra zu erwähnen. Die Genealogie ist nicht mit der Familiengeschichte gleichzusetzen, wie es häufig getan wird. Die Familiengeschichte wendet die Methoden und Lehren der Genealogie auf Einzelfälle an und ist deswegen nur ein Teil der Genealogie.

Ziele

Die Ziele der modernen Genealogie als historische Hilfswissenschaft: Genealogische Aussagen helfen, historische Zusammenhänge aufzudecken. Heute kann die Genealogie der modernen Geschichtswissenschaft z.B. beim Verständnis der politischen Geschichte helfen, indem sie dynastische Heiratspolitik und Familiendiplomatie zeigt und verdeutlicht. Sie konnte auch zeigen, dass die biologische Abkunft bei Thronfolgern immer eine entscheidende Rolle gespielt hat, und dass alle römisch-deutschen Herrscher und sogar die Gegenkönige zumindest in weiblicher Linie von den Karolingern abstammten. Des Weiteren lassen sich auch interessante verwandtschaftliche Verbindungen aufzeigen, die die familiäre Verflechtung historischer Persönlichkeiten belegen. Insgesamt sollen Individuen zu sozialen Systemen zusammengefasst werden. Eine Forschungsrichtung untersucht, welchen Einfluss bestimmte Familien in Wirtschaft und Politik hatten, aber auch Randgruppen sind in den Blickpunkt der Genealogie geraten. (Es ließen sich z.B. Scharfrichterdynastien ausmachen.) Die Untersuchung der Genealogie der Arbeiterfamilie hingegen hatte aus verschiedenen Gründen weniger Erfolg. Auch soziale Auf- und Abstiegsmöglichkeiten, Karrieremuster und das mittelalterliche Heiratsverhalten finden mittlerweile besondere Beachtung.

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