Die Kanzlei bezeichnet in der Diplomatik verabredungsgemäß die Stelle oder Person(en), die der Urkunde eines Ausstellers ihre äußere und innere Form gibt Brandt_2003 S.82. Allerdings darf man sich unter der Kanzlei des Mittelalters zunächst keine strukturierte bürokratische Organisation vorstellen. Oft genug bestand die Kanzlei nur aus einem Schreiber, meist einem Geistlichen, der die Urkunde mehr "nebenbei", zusätzlich zu seinen kirchlichen Pflichten verfasste. Die Ausprägung der Kanzlei als ein fester Apparat findet sich im Hochmittelalter zuerst an der päpstlichen Kurie und später auch an den Königshöfen.
Den Vorstand in den Kanzleien über die dort tätigen Notare, Schreiber und das Hilfspersonal hatte der Kanzler, wobei in den einfachen Kanzleien der Notar nicht nur der "Diktator", sondern auch oft der Schreiber der Urkunde war. Später zählte dann nur das Formulieren des Textes, das Diktat zu seinen Aufgaben.
In den Kanzleien entwickelte sich zunehmend ein gewisses Kanzleibrauchtum, das es uns heute ermöglicht, Urkunden einzelnen Kanzleien zu zuordnen. Auch hier stellt die päpstliche Kanzlei den Vorreiter. Formelsammlungen und Musterbücher in den einzelnen Kanzleien boten den damaligen Schreibern eine Vorlage zum Abfassen von Urkunden und anderen Schriftstücken. Heute bieten sie dem Wissenschaftler eine weitere Quelle der Überlieferung von Schriftgut, denn in den Musterbüchern finden sich nicht nur fiktive Texte, sondern auch Abschriften "tatsächlicher" Urkunden. Zudem geben die Formelsammlungen auch einen Einblick in die Veränderung des Kanzleibrauchtums, da in ihnen verschiedene Varianten für Formulierungen und Darstellungen geboten werden.
Eine Urkunde wurde in der Kanzlei zumeist erst in einem Konzept entwickelt und dann nach der Korrektur desselben in Reinschrift verfasst. Diese Konzepte ermöglichen es, die Entstehung einer Urkunde zu verfolgen, da die Änderungen an einem Konzept weitere Erkenntnisse zulassen. Jedoch ist die Überlieferung von Konzepten erst aus dem Spätmittelalter häufiger, aus dem Früh- und Hochmittelalter ist sie sehr selten. Nach dem Abfassen der Reinschrift wurde die Urkunde mit dem Notariatsinstrument und/oder dem Recognitionsvermerk versehen. Noch ein wichtiger Punkt in den Merkmalen einer Kanzlei ist die Datierung: Diese variiert nicht nur zwischen den Kanzleien, sondern auch unter verschiedenen Kanzlern einer Kanzlei.
Zusätzlich zu den formalen Merkmalen der Kanzleien bieten die unterschiedlichen Schreiberhände ein weiteres Kriterium der Zuordnung einer Urkunde zu einer Kanzlei.
In dem Fall, dass der Aussteller einer Urkunde keine eigene Kanzlei hatte, spricht man von einer Empfängerausfertigung. Die Urkunde wurde dann in der Kanzlei des Empfängers ausgefertigt und vom Aussteller nur beglaubigt.