Die Erste Fortsetzung der Älteren Hochmeisterchronik (Auszüge)

Abschnitte 236-240


© Mathias Nagel, Hamburg (2002)
- erstellt im Zusammenhang mit einem Hauptseminar an der Universität Hamburg im Sommersemester 2002 -


236. Am Mittwoch nach Nativitatis Mariae1)  ritt der Graf von Hoenstein aus dem Danziger Heer mit 52 Pferden zum Herrn Hochmeister und zum Orden auf das Schloß Marienburg. Am selben Tag sandte er den Feinden seine Entsagebriefe. Am Donnerstag danach zogen der Komtur von Elbing, der Graf von Gleichen und der Graf von Hoenstein mit großer Streitmacht zum Warnauer Wald, wo die Feinde lagen. Aber sie hatten sich so sehr eingegraben, daß man nicht zu ihnen konnte. Auch wollten sie nicht herauskommen. Da zogen die Herren nach Neuenteich und erstiegen2) das Städtchen mit Gewalt, plünderten es aus und verbrannten es zusammen mit zwei Dörfern, die den Feinden ebenfalls Beistand geleistet hatten. Den Raub brachten sie zusammen mit viel Vieh nach Hause. In derselben Nacht nahm sich der Herr von Hoenstein etwa 90 Pferde und lauerte denen von Danzig auf, die dem Heer etwas zuführen wollten. Also kamen in der Nacht wohl 200 Feinde, von denen etwa 30 totgeschlagen und 42 gefangen wurden. Die Harnisch-, Pferde-, Getränke- und alle Speisewagen brachte man frühmorgens nach Marienburg. Die anderen Feinde flohen alle davon. Am Abend von Exaltationis Crucis3), in der Nacht, kurz vor Tagesanbruch, brach das Danziger Heer auf und rückte an die Weichsel. Da jagte man ihnen vom Schloß aus mit einer Streitmacht nach, so daß viele von ihnen auf der Flucht erschlagen wurden. Als man allerdings an den Haufen an der Weichsel kam, da hatten sie sich mit einem Graben befestigt und große Weiden gefällt und wehrten sich von dort aus sehr mannhaft, so daß man ihnen nichts anhaben konnte. Auf beiden Seiten wurden viele Pferde verwundet. Als nun die Feinde ihr Heerlager geräumt hatten, und sich die Herren wieder zurückzogen, da fanden sie viel Wein in allerlei Sorten, über 2.000 Fässer Bier, eherne Kessel, Hefe, viel Fleisch, viel gesalzenen Fisch, 23 Steinbüchsen, viele Steine4), Pulver und Pfeile. Danach verbrannte man das Heerlager und schüttete den Graben zu. Damit war das Werder befreit.
237. Zu dieser Zeit war der König zu Graudenz und nahm die Huldigung von den drei Bischöfen von Kulmsee, Marienwerder und Samland entgegen, sowie von ihren Prälaten und Domherren, die alle zusammen den Orden abgelegt hatten und den Verrätern und Meineidigen des Ordens schworen, daß sie dem Hochmeister und dem deutschen Orden niemals mehr treu oder hold sein wollten oder sollten. Was sie aber mit Rat und Tat an Verfolgung tun konnten oder mochten, das sollten sie tun. Der König sandte seine Gewaltigen5)  nach Danzig und ließ auch ihnen huldigen. Dieser große Jammer, mit dem der Hochmeister und Orden von seinen eigenen Landen, die so schalkhaft verfuhren, überzogen wurde, gelangte in deutschen Landen vor den Papst und den Kaiser, vor alle Kurfürsten und vor geistliche und weltliche Fürsten, nämlich daß das Land Preußen bis auf Marienburg und die kleine Stadt Konitz ganz verloren war, in der Herr Heinrich Reuß von Plauen mit anderen guten Rittern und Knechten lange Zeit von einem Polen, Herr Scherlenski genannt, und von denen aus Danzig belagert wurde, die dort nur wenig erreichten. Das alles wollte niemand zu Herzen gehen, und niemand wollte den würdigen Orden retten, der doch der Christenheit sehr gedient und das ganze Land Preußen mit Macht zum Christenglauben gebracht hatte, sowie ganz Livland, Schamaiten und Litauen. Außerdem war der Orden für das ganze deutsche Geschlecht ein Spital gewesen. Doch bekam der Orden von niemandem mit Rat oder Tat Hilfe, und der Orden wurde ganz verlassen. Der Herr Hochmeister hatte viele Boten ausgesandt, von denen aber nur wenige durchkamen. Sie wurden ertränkt, weil die Feinde sie mit größter Härte verfolgten, so daß die Boten des Ordens kaum durchkommen konnten. Unterdes wollte sich die Neumark auch auf die Seite des Königs stellen, und sie hatten ihre Boten bei den Bundherren zu Thorn: einen Abt von Marienwalde, der hieß Herr Nikolaus, dem der Orden doch viel Gutes getan hatte, und einen ehrbaren Mann, namens Hans Brech, der ein falscher Verräter war. Jedoch war dies etlichen Männern und Städten zuwider. Das erfuhr der Herr Hochmeister, und er hatte zu dieser Zeit einen Bruder des Ordens bei sich, der Herr Nickoll von Polentz hieß und zu dieser Zeit Statthalter der Ballei in Sachsen war. Er sandte denselben als Bettler verkleidet dem durchlauchtesten, hochgeborenen Fürsten und Herrn, Herrn Friedrich dem älteren, Markgraf von Brandenburg und Burggraf zu Nürnberg, und verpfändete ihm die Neumark für 40.000 Gulden. Daraufhin nahm der Herr Markgraf die Mark in seinen Schutz, und das Land erwies ihm die Pfandhuldigung. Zur selben Zeit gab es in Livland einen Erzbischof zu Riga, der durch den Hochmeister Konrad von Erlichshausen erzogen worden war. Er hatte ihn zum Doktor gemacht und war außerdem sein Kaplan und oberster Kanzler gewesen, und schließlich machte er ihn zum Erzbischof. Diese große Treue hatte er dem Orden vergessen und sandte dem König von Polen seine Boten mit Gaben und wollte sich auf seine Seite stellen. Er widersetzte sich dem Meister in Livland und führte Krieg gegen ihn, so daß der Meister von Livland dem Hochmeister keine Hilfe leisten konnte oder mochte, weil er seiner Städte sehr unsicher war. Der Meister und der Bischof wurden danach wieder gute Freunde miteinander. Daran kann man erkennen, was Gott herum- und umzukehren vermag6).
238. Als nun das kleine Städtchen Konitz hart widerstand (daß Herr Scherlenski und die Danziger es nicht gewinnen konnten, lag an der guten Ritterschaft, die in der Stadt war), verdroß das den König von Polen und die Bundherren sehr, und der König machte sich mit wohl 16.000 Mann und gutem Rüstzeug auf und hatte außerdem eine große Wagenburg mit 2.000 Wagen. Etliche sagten, der König soll 21.000 Mann gehabt haben. Während der Orden von niemandem Hilfe erhielt, gab es einen Herren des Ordens in der Neumark, der Herr Hans Kökeritz hieß und zu dieser Zeit Hauptmann von Küstrin war. Der machte sich auf und nahm als getreuer Mann seines Ordens große Mühen auf sich und brachte mit der Hilfe des allmächtigen Gottes den hochgeborenen Fürsten und Herren, Herzog Rudolf von Sagan aus Schlesien und den wohlgeborenen Herrn Bernhard von Zinnenberg aus Mähren mit vielen anderen guten Rittern und Knechten auf (wohl fast 7.000 wohl gerüstete Leute, zum Teil Trabanten und auch eine Wagenburg), und das kam durch die Gnade und Schickung des allmächtigen Gottes. Als der polnische König mit seiner Streitmacht vor Konitz kam, da kamen auch die obengenannten Herren mit ihrer Streitmacht vor Konitz und wußten nichts von dem König. Unter denselben Herren war der oberste Tressler, ein Kinzberger, und ein von Eibe, der Komtur zu Virnsberg in deutschen Landen war, sowie Hans Kökeritz und ein Truchseß von Witzenhausen, ein Tobenecker, die allesamt Männer des Ordens waren. Als die Herren mit ihrem Heer in die Nähe von Konitz kamen, war der König mit seinem Heer auch dort und der Herren gewahr geworden und bereitete sich mit den Seinen zum Streit vor. Es war ein sehr ungleicher Feldzug gegeneinander. Als die Herren sahen, daß er zum Streit bereit war, da machten auch sie sich zum Streit bereit und sandten ihre Zeichen mit einer Gesandtschaft dem von Plauen nach Konitz, und zwar ein Eichenlaub, und ließen dem Reuß von Plauen sagen, daß wenn sie mit dem König zusammenträfen, er mit den Seinen dann auch kommen und dazu stoßen solle. Die Herren mußten streiten, denn sie konnten sich nicht zurückziehen. Als nun der König und die Herren gegeneinander zogen, da sprach der verräterische König zu den Seinen: „Nehmt von den Deutschen niemand gefangen, wir wollen sie mit den Pferden alle zertreten. Wir dürfen kein Schwert ziehen.“ Die auserwählten deutschen Helden waren frisch und wohlgemut, denn sie hatten die Muttergottes in ihren Sinnen. Also bildete der König von Polen mit den Seinen 7 Haufen und die Gäste7)  5 Haufen, und jeder Haufen des Königs war doppelt so groß wie ein Haufen der Herren. Also zogen die Polen mit großem Geschrei zu den Herren, und die Gäste zogen mit Lobgesang den Polen entgegen, und beide Seiten trafen aufeinander. Während die Herren mit den Polen zusammentrafen, kam der Reuß von Plauen mit 500 Mann aus der Stadt Konitz und traf auf der Schwertseite auch mit den Polen zusammen. Und es gab ein großes Stechen und Schlagen und solch ein Krachen, als ob ein Wald niedergefallen wäre.
239. Da gewährte Gott vom Himmel seine grundlose Barmherzigkeit und seinen gnädigen Sieg, so daß die Gäste des Ordens mit Hilfe und Bitte der werten Jungfrau Maria und der lieben Jungfrau Sankt Barbara den Streit gewannen. Wie man manches Mal von den gefangenen Polen sagen hörte, hatten sie die Muttergottes in einem weißen Kleid über dem deutschen Heer schweben gesehen. Also gab es solch ein Fliehen der Polen, daß ein polnischer Ritter, ein Woiwode, mit einem Banner und einem ganzen Geschick8)  die Flucht ergriff. Er hieß Herr Stanislaus von Ostorog. Den Polen mit ihren Helfern wurden 7.000 Mann erschlagen, und man fing die beste Elite Polens an Woiwoden, Herren, Rittern und Knechten, 500 Mann, und auch sonst wurden viele der Polen verwundet, und man gewann ihnen 5 Banner ab, nämlich die Hauptbanner des Königs, die alle als Wahrzeichen9)  zu Marienburg, auf dem Schloß in der Kirche hängen. Die Gäste erbeuteten vom König alles wertvolle Gut an Gold, Silber und Edelsteinen, viel Eichhörnchenfell10), Samt, Seide, golddurchwirktes Tuch und außerdem viel bares Geld, viel Zobel, Marder, Eichhörnchen sowie zahllose Füchse. Der König verlor sein ganzes Kammergerät, all seine silbernen Gefäße, seine Kleinodien, seine Krone, seinen Zepter und Reichsapfel und sein Schwert. Die Polen verloren soviel, daß sie von all ihren silbernen und goldenen Kleinodien nichts behielten. Kein Mann kann sich daran erinnern, daß die Polen seit der Gründung ihres Königreichs schon einmal mehr mit Schande und Schaden überzogen wurden. Unter den deutschen Trabanten gab es 6 Frauen, die unmäßig stark auf die Polen einschlugen und manchen Polen töteten. Man gab für einen guten Wagen mit 2 wohl beschlagenen Pferden 4 Rheinische Gulden.
240. Es geschah in der goldenen Fasten, am Mittwoch vor Michaelis11), daß der König den Streit verlor. Der König kam selbst kaum davon. Die gefangenen Polen wurden nach Konitz geführt, und die Herren erlaubten den Polen, daß sie 12 Tage lang die Toten vom Feld holten. Auf deutscher Seite blieb Herzog Rudolf von Sagan tot und ein Ritter, Herr Mechtz genannt, und auch noch etwa hundert andere Ritter und Knechte, denen Gott gnädig sei. Es war eine große Gnade Gottes, daß von den Deutschen nicht mehr getötet wurden. Als Freitag Nacht die Nachricht nach Marienburg gelangte, daß mit dem König von Polen vor Konitz gestritten worden war, und die Deutschen den Streit gewonnen hatten, da war der Herr Hochmeister mit den anderen Herren, die auf Schoß Marienburg waren, sehr froh, weil sie noch nicht wußten, daß ihnen die Gäste zur Hilfe gekommen waren. Also ließ man auf dem Haus und in der Stadt während der Nacht mit allen Glocken läuten und „Te Deum laudamus“ singen und Gott dem Herren Dank sagen. Als die Feinde im Heer das vernahmen, erschraken sie außerordentlich, weil sie von dem Streit wohl wußten und dadurch merkten, daß der Streit verloren war. Da brach das Heer vor Marienburg auf und floh auf die Flöße und in die Städte. Und als die Polen heim zogen und sahen, wie es ihrem König ergangen war, da widerfuhr dem König von seinen eigenen Leuten solch ein Schelten und Fluchen, weil er den ewigen Frieden gebrochen hatte, daß es schon wunderlich war. Die Herren, die auf dem Haus Marienburg waren, jagten mit den Ihren den Feinden hinterher und erschlugen viele von ihnen. Der König hatte Schloß Stuhm Hans von Baysen übergeben, der sich „Gubernator des Landes Preußen“ schrieb. Als der böse Verräter davon hörte, daß der Streit verloren war, da räumte er Stuhm. Also kamen die Bauern darauf, die eine Gesandtschaft nach Marienburg schickten. Da sandte der Hochmeister die Seinen dorthin, und ließ das Schloß wieder einnehmen. Das gleiche geschah auch mit Schloß Preußisch-Mark, das der König einem falschen Verräter, Gabriel von Baysen, gegeben hatte, der auch davon geritten war. Und die er dort ließ, die sandten ebenfalls zum Herrn Hochmeister um Hilfe. Also sandte er auch dorthin und ließ es einnehmen. Ebenso begaben sich Riesenburg, Schönberg und Marienwerder wieder unter den Orden, und der Bischof von Riesenberg nahm den Orden wieder an.


Inhaltliche Anmerkungen:

1) 1454 September 11.
2) Das heißt, sie überwanden die Stadtbefestigungen.
3) 1454 September 13.
4) = Geschützprojektile.
5) = seine höchsten Amtsträger?.
6) „Do mag man mercken, was got umbe und umb verhenget.“ Hierbei scheint es sich um eine sprichwörtliche Redensart zu handeln, die sich nur sinngemäß übersetzen läßt.
7) = das Söldnerheer des Ordens.
8) = offenbar eine militärische Einheit von bestimmter Größe.
9) Das heißt als Beweisstück für die Wahrheit ihres Sieges.
10) Die Bedeutung von „schawben“ bleibt fragwürdig (eigentlich = langes Obergewand). Vielleicht ist das Wort mit dem niederdeutschen Wort „schevenisse“ oder „schevenitschen“ identisch, was Eichhörnchenfell bedeutet.
11) 1454 September 25.



Vorlage: Scriptores Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft, herausgegeben von T. Hirsch, M. Toeppen, E. Strehlke, 5 Bde., Leipzig 1861-1874, Bd.3.


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