Die Entwicklung der Schrift 4

Die Karolingische Minuskel

Im späten achten und frühem neunten Jahrhundert fand durch die karolingische Schriftreform, die im Zuge der karolingischen Renaissance erfolgte, eine Vereinheitlichung der Schriften statt. Es setzten sich - allerdings nicht auf zentrale Verfügung vom Königshof, wie früher gedacht wurde - an vielen Orten ähnliche Formen der Schrift durch. Durch Einflüsse der insularen Halbunziale und der merowingischen Schrift entstand die Einheitsschrift des hohen Mittelalters, die karolingische Minuskel. Sie verdrängte in den folgenden beiden Jahrhunderten nahezu alle anderen Schriften. Diese sehr klare und einfache Schrift zeichnet sich durch einheitliche und gleichmäßige Minuskeln und wenige Ligaturen aus. Charakteristisch sind das unziale a, das halbunziale, geschlossene e, das insulare g (erst mit offenem, später mit geschlossenen Bögen, langes s und niedriges t, welches einen geraden Querbalken hat. Die Ligaturen æ und œ wurden mit der Zeit durch e caudata abgelöst. (Vgl. Bischoff_1986: 142-151, Brandt_2003: 76, Goetz_2006 339f.)

Schriftbeispiel karolingische Minuskel

Die Diplomatische Minuskel

Bemerkenswert ist, dass sich in der ostfränkischen Königskanzlei Ludwig des Deutschen die diplomatische Minuskel durchsetzt, die im 11. und 12. Jahrhundert rund um das Heilige Römische Reich von Königen, geistlichen und weltlichen Großen nachgeahmt wird, bis sie unter Friedrich II. kaum noch Anwendung findet. Charakteristisch sind die langen, geschwungenen Oberlängen (a, r, c, e, p), Ligaturen, ein verschnörkeltes, schleifenförmiges Abkürzungszeichen und die Gitterschrift der ersten und der Recognitionszeile (hier nicht zu sehen). (Vgl. Bischoff_1986: 162, Goetz_2006: 340.)

Schriftbeispiel diplomatische Minuskel

Die Gotische Minuskel

Ab dem 11. Jahrhundert vollzog sich ein Stilwandel von der Karolingischen zur Gotischen Minuskel . (Diese Bezeichnung ist nur eine Sammelbezeichnung für vielfältige Spielarten, die den einzelnen Sonderformen nicht ganz gerecht wird. ) Sie entwickelte sich in Belgien und Nordfrankreich und verbreitete sich dann ab dem 12. Jahrhundert über ganz Europa, wo sie sich im 13. und 14. Jahrhundert durchgesetzt hatte. Charakteristisch für alle Varianten (im Gegensatz zur karolingischen Minuskel) sind gerade und gestreckte Schäfte, auf der Zeile stehende Buchstaben, die eng zusammengerückt sind, spitze Winkel und eckige Formen. Des weiteren ist das a auffällig, welches einen herabhängenden oberen Bogen hat. Weitere Erkennungsmerkmale sind das runde d (Gotisches d ), das runde Schluss-s (Schluss-s welches später einer 8 ähnelt und geschlossen ist) und das lange s (Mitten-s ) in der Wortmitte.
Im Zuge der im 12. und 13. Jahrhundert (wieder-) erreichten Schriftlichkeit waren nun auch verstärkt Laien in der Lage, zu schreiben. Nicht nur der Hochadel, sondern auch der Niederadel sowie das städtische Bürgertum waren wieder zu einer schriftlichen Dokumentation fähig. Die Erweiterung der Benutzerkreise bedeutete für die bisher relative einheitliche Buchschrift, die gotische Normalschrift Textura, das Ende. Die gotische Minuskel, die, wie der Name zu suggerieren versucht, sowieso kein einheitliches Gebilde war, lässt einige hier besonders zu erwähnende Spielarten erkennen: Die südeuropäische Rotunda hat breite Buchstaben, ein zweistöckiges a und Bogenverbindungen. Die Anfänge sind am Beginn des 13. Jahrhunderts nachzuweisen.
Im 14. Jahrhundert wurde als Vorläufer der Antiqua die Buchschrift Gotico-Antiqua oder Fere humanistica geschaffen, indem Elemente aus der Antiqua zur Verschönerung der gotischen Schrift verwendet wurden
Die Vielfalt wird durch die allgemeinere Schriftlichkeit noch gesteigert, da jetzt in den gotischen Kursiven (Notulae genannt) auch eine Geschäftsschrift entsteht. Diese Kursiven hatten kleinere, flüchtigere und verbundene Buchstaben, deren Oberlängen als Schlingen und Schleifen ausgebildet wurde. Auch die Nutzung von Papier bedeutete für die Textura eine einschränkende Nutzung, da sie für Papier wenig geeignet war. Die Kursiven haben dann Einfluss auf die Buchschriften genommen und so haben sich aus dieser Mischung die verschiedenen Bastarden ausgebildet, die in vielfältigen Spielarten verwendet wurde. Als Beispiel ist hier die Fraktur (langes s und f sind charakteristisch) zu nennen. Die Bastarden zeichnen sich durch spitzbögige Rundungen und Köpfe an den oberen Schaftgabelungen aus. (Vgl.: Bischoff_1986: 163-186, Brandt_2003: 77, Foerster_1963: 196-215, Goetz_2006: 340.)

Schriftbeispiel gothische Minuskel

Die Wiederentdeckung der „lateinischen“ Schrift

In der Renaissance wollte man wieder auf die antiken Vorbilder zurückgreifen, hielt aber die Klassikerhandschriften der romanischen Periode für antike Werke und übernahm die Schrift. Diese „lateinische“ Schrift (Antiqua), die man gegen die „gotische Entartung“ wiederbeleben wollte und die wir auch heute benutzen, war aber die karolingische Minuskel der karolingischen Renaissance. Seit der Wende des 14. Jahrhunderts kam die Antiqua als Buchschrift vorwiegend im romanischen Kulturbereich auf und setzte sich mit der Ausnahme von Deutschland und einiger Nachbarländer fast überall durch. Hier verwendete man weiterhin Bastarden. Bemerkenswert ist dies auch beim Buchdruck: Es wurde nach Sprachen differenziert. Für lateinische Texte fand die Rotunda Verwendung, während deutsche Texte in Fraktur gedruckt wurden. Ein Grund für den Erfolg der Antiqua ist sicher darin zu sehen, dass während die gotischen Buchschriften (Fraktur und Schwabacher) weitgehend erstarrten, sich die Antiqua fortwährend weiterentwickelte und sich den Bedürfnissen der Zeit (mit der Antiqua-Kursive) anpasste. (Vgl. Bischoff_1986: 186-191, Brandt_2003: 78, Foerster_1963: 215-217, Goetz_2006: 341.)

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