Gesta und Amtslisten

Unter der spezifisch mittelalterlichen Gattung "Gesta" werden in der Regel Chroniken verstanden, die in chronologischer Abfolge vom Anfang bis zur Gegenwart die Taten des Amtsträger einer Institution anführen. Die moderne Definition des Begriffes "Gesta" ist daher mehr auf die Form als auf den Inhalt bezogen, während der mittelalterliche Sprachgebrauch eine weitere Auffassung hatte und auch Werke als Gesta bezeichnete, die eigentlich aus heutiger Sicht eher Einzelbiographien oder Zeitgeschichte wären (z.B. Ottos und Rahewins "Gesta Frederici" oder Wipos "Gesta Chuonradi"). Inhaltlich ist diese Gattung in der Regel Bischofs- und Abtsgeschichte, d.h. die Bistums- oder Klostergeschichte wurde anhand ihrer Amtsträger verfolgt. Gesta sind nicht mit Lebensbeschreibungen (Viten) gleichzusetzen, da die biograhischen Angaben (nahezu) immer im Sachzusammenhang mit den Funktionen und Aufgaben des Amtsträgers stehen. Den Leistungen und Taten wurden auch historische, juristische, topographische und hagiographische Informationen beigefügt. Der Schwerpunkt lag hingegen meist auf den Ursprüngen und der Geschichte der zu beschreibenden Institution, deren Würde und Heiligkeit dabei betont wurde. Häufig wurde die Gründung durch einen Heiligen oder einen Apostel angeführt, ebenso wie die rechtmäßige Übertragung der Bischofs- oder Abtswürde auf den gegenwärtigen Träger unterstrichen wurde. (Eine weitere Funktion der Gesta ist auch die Memorialüberlieferung, durch die den verstorbenen Würdenträgern gedacht werden sollte.) Die Blütezeit ist für das 9. bis 12. Jahrhundert zu veranschlagen. Hauptsächlich finden sie sich in Ländern mit starker karolingischer und ottonischer Tradition, d.h. vor allem in Lothringen und Sachsen. Südlich der Loire und auf der iberischen Halbinsel kommen Gesta so gut wie gar nicht vor. In Italien finden sich nur zwei gestaähnliche Erzbistumsgeschichten von Neapel und Ravenna, die damit ihre Konkurrenz zu Rom zum Ausdruck brachten.
Das Vorbild lieferte der Liber Pontificalis, das seit dem 6./7. Jahrhundert fortlaufend zuerst kurze, dann umfangreichere Notizen über Päpste verzeichnete. Nicht nur die eben schon angesprochenen Werke über die Bischöfe von Neapel und Ravenna nahmen sich hieran ein Vorbild, sondern auch Paulus Diaconus, der 784 die "Gesta episcoporum Mettensium" (=die Taten der Bischöfe von Metz) verfasste. Auch in St. Wandrille wurde der "Liber pontificalis" nachgeahmt und die "Gesta abbatum Fontanellensium" geschrieben. Hier wurden schon zur Sicherung der Besitzansprüche Eigentum und Erwerbungen der Klöster verzeichnet, wie es später in den Klosterchroniken üblich werden sollte. Des weiteren sind die Gesta der Äbte von St. Bertin und St. Omar (961) hervorzuheben sowie die Gesta der Äbte von Lobbes im Hennegau, die der Lothringer Folkwin schrieb. In der Folgezeit bekamen weitere Klöster und Bistümer ihre Gesta. Um 1100 entstand die "Gesta Treverorum", worin zum ersten Mal Bistums- und Stadtgeschichte miteinander verbunden wurden. Herbert Grundmann ordnet auch Thietmars von Merseburgs Chronik (12. Jahrhundert) unter Gesta ein, da dieser die Geschichte des Bistums Merseburgs und ihrer Bischöfe (inklusive Reichsgeschichte) darstellen wollte. Man sieht, dass auch hier zahlreiche Überschneidungen gegeben sind. Eine Sonderstellung hat die "Gesta Hammaburgensis sive Bremensis ecclesiae" des Adam von Bremen, da sie nicht eine Kirchengeschichte von Hamburg-Bremen ist, sondern auch eine Geschichte der nordischen Völker und Länder. Seit dem Investiturstreit wurde die Qualität der Werke geringer. Die Schilderung der Personen gelang nur noch eindimensionaler und flacher. Herrscher- und Staatengeschichte wurde in der Regel nicht in Gesta-Form geschrieben, abgesehen von der eher dürftigen "Gesta regum Francorum" und Notker Balbulus' "Gesta Karoli Magni". In Westeuropa ist dies anders. Beispielhaft sei die "Gesta ducum Normanorum" erwähnt. Auch in England wurden mehrere Gesta regum Anglorum bzw. Britannae verfasst. Fast jeder Herrscher erhält eine Gesta, die dabei immer ausführlicher und realistischer wurden. In Frankreich findet sich z.B. eine Gesta von Philipp II. August.

Amtslisten

Eine weitere abgrenzbare Gruppe sind die zahlreich überlieferten Listen von Amtsträgern. Sie wurden Chroniken angefügt oder nachgestellt, relativ häufig aber auch selbstständig überliefert und bildeten dann die chronologische Grundlage für Chroniken. Die historischen Erkenntnismöglichkeiten, die sich aus ihnen als Quelle ergeben, werden erst seit kurzem erkannt (vgl. Sandmann).

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