Der Deutsche Orden - Entwicklung und Strukturen im Mittelalter

[Veröffentlicht als: Der Deutsche Orden: Entwicklung und Strukturen im Mittelalter (Vortrag auf der Jahrestagung der Gesellschaft der Freunde der Technischen Hochschule Danzig in Wernigerode, 6. Okt. 1993), o.O., o.J. [1996], 18 S. ]

© Jürgen Sarnowsky, Hamburg (2000, 2005)

Die mittelalterliche Geschichte des Deutschen Ordens und vor allem sein Wirken in Preußen ist seit seiner "Neuentdeckung" im Zuge der Befreiungskriege am Anfang des 19.Jahrhunderts(1) Dazu u.a. H. Boockmann, Der Deutsche Orden, Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte, München 19822 (19945), Kap.12, hier insbes. S.237-38. oft aus wenig angemessenem und sogar verzerrendem Blickwinkel gesehen worden. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist der Essay Heinrichs von Treitschke, der die nationale Rolle des Ordens betonte. Für ihn war der Orden die Verkörperung einiger "Züge deutschen Wesens..., die man selten beachtet - die aggressive Kraft und die herrische gemüthlose Härte"; erst durch ihn sei die überlegene deutsche Kultur in den Osten gebracht worden. "Gesinnungsstark, aber kenntnisarm" - mit einer Formulierung Hartmut Boockmanns - nahm Treitschke die Edition der wichtigen Chronik Peters von Duisburg, den Anlaß für seinen Essay, kaum zur Kenntnis, fiel aber zugleich auf einen Fälscher aus der Zeit der Aufklärung herein.(2) S. H. Boockmann, Deutsche Geschichte im Osten Europas - Ostpreußen und Westpreußen, Berlin 1992, S.34-35 und 41-44 (die Zitate von S.42 und 34). Das Gegenbild dazu vertraten nicht nur polnische Historiker und Literaten, vielmehr kam es z.B. in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts auch zu einer intensiven katholischen Kritik am Orden, die aus einer antipreußischen Tradition entstand und eine Linie der Kontinuität vom Orden über Bismarck zu Hitler zog. Für einen katholischen Kirchenhistoriker dieser Zeit war der Deutsche Orden nicht mehr als eine "eroberungslustige, kreuzgeschmückte Bande".(3)Aus S. Ekdahl, Tannenberg/Grunwald - ein politisches Symbol in Deutschland und Polen, in: Journal of Baltic Studies, XXII (1991), S.271-324, hier S.295 (Wilfrid Daim, im Zitat eigentlich "eroberungslüstig" (!)). Beide Sichtweisen, die nationale Verherrlichung und die antipreußische Kritik, werden heute von keinem ernsthaften Forscher mehr vertreten, und doch gibt es immer noch andere Vorurteile, die unser Bild von der Geschichte des Ordens beeinflussen.

Dazu zählt die Vorstellung von der "Modernität" des Ordenslandes und seiner Verwaltung im Vergleich mit anderen spätmittelalterlichen Territorien.(4)Mittelbar auch noch bei H. Patze, Der Deutschordensstaat 1226-1466, in: Handbuch der europäischen Geschichte, hg. T. Schieder, Bd.2, Stuttgart 1987, S.468-89, hier S. 483-85, der u.a. auf die "Zentralisierung" der Verwaltung, vor allem für die Finanzen, verweist. Auch wenn die Strukturen im Orden und in Preußen in vielerlei Hinsicht weit entwickelt waren, führt die landesgeschichtliche Perspektive hier in die Irre. Der Deutsche Orden war auch als Landesherr zunächst eine Korporation, ein "internationaler" geistlicher Ritterorden, und vieles, was in Preußen so "modern" erscheint, wird mit dieser Grundlegung leicht aus dem Kontext der Zeit und aus dem Vergleich verständlich. Auch den beiden anderen großen Ritterorden, den Templern und den Johannitern, war eine gewisse Tendenz zur Territorienbildung eigen, die über die herrschaftliche Absicherung von Ordensbesitz durch andere Korporationen hinausging, wie dies an der gescheiterten Übernahme Zyperns durch die Templer 1192 und an der mehr als zweihundertjährigen Herrschaft der Johanniter auf Rhodos deutlich wird. (5)Für die Johanniter auf Rhodos s. vor allem die Arbeiten von A. Luttrell, u.a. Latin Greece, the Hospitallers and the Crusades, 1291-1440, London 1982; für die Frühgeschichte der Ritterorden allgemein s. A. Forey, The Military Orders from the 12th to the Early 14th Century, Houndmills, Basingstoke - London 1992. Die Strukturen dieser Orden ähnelten sich, und im Fall der Johanniter kam es ähnlich wie beim Deutschen Orden zu einer Anpassung der inneren "Verfassung" an die Bedürfnisse der Landesherrschaft. Deshalb will ich in diesem Beitrag so etwas wie eine "ordensgeschichtliche Sicht" der mittelalterlichen Geschichte des Deutschen Ordens entwickeln, die auch zu einer Korrektur der eingangs angeführten älteren Fehlurteile beitragen kann. Ich beginne dazu mit einem Überblick über die Entwicklungen bis 1525, um dann auf die inneren Strukturen einzugehen.


I. Die mittelalterliche Geschichte des Deutschen Ordens im Überblick

Der Deutsche Orden entstand im Heiligen Land im Umfeld des Dritten Kreuzzugs um 1190.(6)Vgl. M.-L. Favreau, Studien zur Frühgeschichte des Deutschen Ordens, Stuttgart (1975); U. Arnold, Entstehung und Frühzeit des Deutschen Ordens, in: J. Fleckenstein, M. Hellmann, Hgg., Die geistlichen Ritterorden Europas (Vorträge und Forschungen, 26), Sigmaringen 1980, S.81-107. Das deutsche Heer hatte sich nach dem Ertrinken Friedrich Barbarossas im Saleph aufgelöst, doch kamen norddeutsche Kreuzfahrer ebenso wie ein kleines Kontingent unter Herzog Friedrich von Schwaben den christlichen Belagerern Akkons zu Hilfe. Ausgangspunkt des späteren Ritterordens war ein von ihnen vor Akkon gegründetes Hospital. In der etwa fünfzig Jahre später verfaßten Narratio, der "Erzählung über die Anfänge des Deutschen Ordens", heißt es: "Zu der Zeit, als Akkon von einem christlichen Heer belagert und mit Gottes Hilfe aus der Hand der Ungläubigen befreit wurde, errichteten einige Bürger aus den Städten Bremen und Lübeck, um zur Ehre Gottes Werke der Barmherzigkeit zu tun, unter dem Segel einer Kogge im Heere unter günstigen Verhältnissen ein Spital... In dieses nahmen sie viele Kranke auf und erfüllten reinen Herzens die Pflichten der Menschlichkeit ... bis zur Ankunft des erlauchten Herzogs Friedrich von Schwaben... Als dann die Bürger von Bremen und Lübeck in ihre Heimat zurückkehren wollten, übertrugen sie auf Veranlassung des Herzogs und anderer Edler das Spital mit allen Almosen und allem Zubehör dem Kaplan des Herzogs, Konrad, und dem Kämmerer namens Burchard..."(7)Übers. W.Hubatsch, hier zitiert nach: Geschichte in Quellen, Bd.2, Mittelalter, bearb. W. Lautemann, München 19782, S.644-45; der Text der "Narratio" in: Scriptores rerum prussicarum, Bd.6, hgg. W. Hubatsch, U. Arnold, Frankfurt a. M. 1968, S.24-34.. Dieser Bericht ist zwar in mancher Hinsicht problematisch - so lassen sich Konrad und Burchard nirgendwo sonst nachweisen -, doch ging die Gründung des Hospitals wohl von norddeutschen Kaufleuten aus, und die Verbindung zu den Staufern sollte später von großer Bedeutung werden. Das neue Hospital war jedoch nicht nur für die Dauer der Belagerung eingerichtet worden. Schon im September 1190 schenkte ihm König Guido von Jerusalem das Hospital der Armenier in der Stadt, und er bot ersatzweise ein danebengelegenes Haus an, falls sich diese Schenkung nach der Eroberung Akkons als undurchführbar erweisen sollte. Das Hospital muß zu diesem Zeitpunkt bereits eine relativ gefestigte Institution gewesen sein. Empfänger der Urkunde war ein Meister Sibrandus, der somit der erste historisch gesicherte Leiter des Hospitals gewesen sein dürfte. In den Jahren bis 1198 lassen sich vermutlich fünf weitere Leiter nachweisen, unter denen sich 1196 mit dem praeceptor Heinrich vielleicht schon der erste Meister des späteren Ritterordens, Heinrich Walpot, findet. Die meisten von ihnen werden Geistliche gewesen sein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich wahrscheinlich bereits eine geistliche Gemeinschaft am Hospital gebildet, der die Leiter vorstanden. Sie trat nun in Konkurrenz mit den anderen Orden, unter anderen den Johannitern, die ein "Hospital-Monopol" für Akkon beanspruchten. Die Streitigkeiten, bei denen es auch um Grundbesitz ging, wurden schließlich 1192 durch einen Vergleich beendet. Probleme hatte das Hospital jedoch ebenfalls mit der Schenkung König Guidos. Am Ende mußte 1192 faktisch sogar ein Grundstück gekauft werden - Zeichen einer beachtlichen finanziellen Stärke bald nach der Gründung.(8)E. Strehlke, Hg., Tabulae ordinis Theutonici, Berlin 1869, ND (hg. H. E. Mayer) Toronto 1975, Nr. 27, S.23-24. Möglich wurde dies durch Almosen und weitere Schenkungen, die dem Hospital seit den Anfängen zahlreich zugeflossen sein müssen. Auch Pfalzgraf Heinrich von Troyes, der mit der Erbin des Königreichs Jerusalem verheiratet war, übergab dem Hospital 1193 zusätzlichen Besitz in Akkon sowie 1195 und 1196 unter anderem Häuser in Tyrus und Jaffa. Im selben Jahr, 1196, erfolgte auch die endgültige Anerkennung der am Hospital lebenden Gemeinschaft als Hospitalorden durch Papst Cölestin III., nachdem sie schon von Clemens III. 1191 unter päpstlichen Schutz genommen worden war. Damit werden erste Strukturen des Ordens faßbar. Die Brüder erhielten unter anderem eine Befreiung von bestimmten Abgaben, das Recht zur Weihe von Altären und zur freien Wahl eines Meisters. Noch aber war der junge Orden nicht mit den großen "internationalen" Orden gleichgestellt, denn er unterstand weiterhin der Exkommunikationsgewalt der lokalen Kirchenoberhäupter.

Nun traten aber Ereignisse ein, die den Charakter des Ordens grundlegend verwandelten. Als Pfalzgraf Heinrich 1193 dem Hospital einen Teil der Mauer von Akkon beim Nikolaustor verlieh, war ausdrücklich nur von deren Erhalt und Ausbesserung die Rede. Im August 1198 erhielt der Orden aber von König Amalrich II. einen Turm über demselben Tor, und diesmal hatte er die Aufgabe, ihn zu verteidigen und niemand anderem als dem König und seinen Vertretern zu überlassen. Schon im März 1198 war dem eine Versammlung lateinischer Geistlicher im Heiligen Land und deutscher Kreuzfahrer vorangegangen, die sich mit der Bitte an den Papst wandten, der Gemeinschaft neben dem Spitaldienst auch den Heidenkampf zu gestatten. Die Verleihung des Turms war Ausdruck des Wandels zum Ritterorden, der damit begonnen hatte. Die Militarisierung wurde schließlich im Februar 1199 durch Papst Innozenz III. bestätigt. Der Deutsche Orden erhielt zunächst für seine militärischen Aufgaben die Templerregel, für die karitative Tätigkeit die Johanniterregel verliehen - eigene Statuten sollten endgültig erst in der Mitte des 13.Jahrhunderts formuliert werden. Die Gründe für die Umwandlung in einen Ritterorden - oder genauer in einen Hospital- und Ritterorden - sind nicht völlig klar. Zweifellos hängt dieser Prozeß mit der staufischen Mittelmeerpolitik zusammen, die angesichts des frühen Todes von Heinrich VI. (1197) und der darauf folgenden Doppelwahl in Deutschland gefährdet war und die wohl die im März 1198 anwesenden Stauferanhänger absichern wollten. Zugleich bedeutete die Einführung eines weiteren "Ordenszweiges", der Ritterbrüder, auch eine Stärkung der Gemeinschaft.

Ungeachtet der Unterstützung durch weltliche und geistliche Gewalten stagnierte die Entwicklung des Ordens in den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts. Erst mit der erneuten Festigung der staufischen Macht begann ein rascher Aufstieg. Seine führende Gestalt war der vierte Meister, Hermann von Salza (1210-1239), der sich durch seine persönlichen Beziehungen zu Kaiser Friedrich II. und den Päpsten großes Ansehen erwarb.(9) Dazu H. Kluger, Hochmeister Hermann von Salza und Kaiser Friedrich II. (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 37), Marburg 1987.Ihm gelang es im Januar 1221, von Papst Honorius III. die völlige Gleichstellung mit den beiden anderen großen Ritterorden, mit Templern und Johannitern, zu erhalten. Honorius war überhaupt dem Orden freundlich gesonnen: Während seiner zwölf Jahre auf dem päpstlichen Stuhl (1216-1227) ließ er immerhin 113 Urkunden für den Deutschen Orden ausstellen. War der Orden so rechtlich zu einer der "internationalen" geistlichen Gemeinschaften geworden, erhielt er zugleich mehr und mehr Besitzungen im gesamten christlichen Abendland. Schon 1197 wurde dem Orden ein Hospital in Barletta in Süditalien verschrieben; Besitzungen in Sizilien, Zypern und Armenien folgten. Im Reich gehörte ein Hospital in Halle 1200 zu den ersten Schenkungen, doch war der Besitz bald so umfangreich, daß 1218 ein Landkomtur für Deutschland eingesetzt wurde, aus dem sich ab 1236 das Amt des Deutschmeisters entwickelte, dem weitere Landkomture für die einzelnen Regionen unterstellt wurden.(10)Zur Entstehung des Deutschmeisteramtes vgl K. Militzer, Die Entstehung der Deutschordensballeien im Deutschen Reich (Quellen und Studien ..., 16), Marburg 1981 2, S.34-53. Ähnliche Ämter wurden auch jenseits des engeren deutschen Bereichs eingerichtet, so z.B. spätestens 1225 in Apulien, 1236 in Griechenland, 1240 in der Lombardei und 1255 in Spanien. 1230 und 1237 hatte man davon unabhängig Landmeister für den Aufbau der territorialen Herrschaft in Preußen und Livland berufen. Das Zentrum des Ordens blieb aber auch in dieser Zeit zweifellos das Heilige Land, wo der Orden seit 1220, seit dem Kauf der sogenannten Hennebergischen Erbschaft, den Aufbau eines eigenen Territoriums verfolgte.(11)H. E. Mayer, Die Seigneurie de Joscelin und der Deutsche Orden, in: J. Fleckenstein, M. Hellmann, Hgg. ..., S.171-216. Seit 1228 ließ der Orden nordöstlich von Akkon als seinen "Verwaltungsmittelpunkt" die Burg Montfort errichten, und zugleich wurde der Besitz durch Ankäufe von den Baronen des Königreichs Jerusalem systematisch erweitert, auch noch in den Jahren, als die Lage der Christen im Heiligen Land zunehmend schwieriger wurde. So erwarb der Orden z.B. noch zwischen 1257 und 1261 Land östlich von Beirut, das jedoch bald wieder verlorenging. Kurz darauf, 1266, wurde die Umgebung Montforts durch die erste mamlukische Belagerung der Burg völlig verwüstet, und schließlich ging sie 1271 endgültig verloren. Damit war das Vorhaben gescheitert, im Heiligen Land eine eigene Landesherrschaft des Ordens zu erwerben.

Noch vor dem Baubeginn in Montfort hatte sich eine andere Hoffnung zerschlagen, die Hochmeister Hermann von Salza gehegt haben mochte: die auf den Erwerb eines Territoriums in Ungarn, genauer in Siebenbürgen.(12)H.Zimmermann, Der Deutsche Ritterorden in Siebenbürgen, in: J. Fleckenstein, M. Hellmann, Hgg. ..., S.267-98. Es lohnt sich, auf die Umstände dieses "Unternehmens" etwas näher einzugehen, da es im Kern das Vorgehen des Ordens in Preußen vorwegnahm. Ausgangspunkt war die Übertragung des Burzenlandes durch König Andreas II. an den Orden 1211, wohl unter dem Einfluß seiner deutschen Gemahlin Gertrud und ihrer Berater. Der Orden erhielt dafür den Auftrag, Ungarn gegen die heidnischen Kumanen zu schützen, das Reich nach Südosten auszuweiten und für die Besiedlung des ihm übergebenen menschenleeren Gebietes zu sorgen. Im folgenden Jahr, 1212, bestätigte der König die Rechte des Ordens, zu denen rechtliche Autonomie und die eigenständige Verwaltung der königlichen Münze gehörten. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein erstes Kontingent von Brüdern unter der Leitung eines "Bruders oder Meisters Dietrich" eingetroffen, und die Besiedlung hatte begonnen, ebenso der Bau einer ersten Ordensburg, der Kreuzburg. Zur gleichen Zeit wird auch die erst später bezeugte Marienburg am Alt errichtet worden sein. Erste Probleme zeigten sich, als der siebenbürgische Bischof die kirchliche Priviligierung des Unternehmens herauszögerte, und auch die päpstliche Bestätigung ließ auf sich warten. Möglicherweise war deutlich geworden, daß der Orden eine kirchliche Verselbständigung seines Gebiets anstrebte. Man kann überdies vermuten, daß die führenden Vertreter des Ordens die verliehenen Rechte als einen ersten Schritt ansahen, weitgehende Unabhängigkeit von den lokalen Gewalten zu erlangen. Die genauen Vorgänge sind unklar, doch geriet der König nach seiner erfolglosen Rückkehr vom Fünften Kreuzzug immer mehr in innenpolitische Schwierigkeiten. Da der Adel gegen den Orden Position bezog, kam es zwischen 1218 und 1222 zu einer ersten Vertreibung, die jedoch 1222 durch eine erneute Verleihung noch einmal rückgängig gemacht wurde. Bald darauf müssen sich die Spannungen wieder verschärft haben. Eine der Ursachen war wohl die Abwerbung von deutschen Siedlern durch den Orden. Statt selbst Siedler aus dem Reich zu holen, griff der Orden offenbar auf jene Deutschen zurück, die in der Zeit von Andreas' Vater nach Ungarn gekommen waren, um eine schnelle Aufsiedlung seines eigenen Territoriums zu erreichen. Zugleich betrieben die Ordensvertreter nun ganz offen die Politik einer Lösung aus dem lokalen Beziehungsgeflecht. Die Reaktion des Königs ließ nicht lange auf sich warten: 1225 ging Andreas mit Hilfe des Adels militärisch gegen den Orden und seine Burgen vor und vertrieb die Brüder aus dem Land. Alle Bemühungen des Ordens und des Papsttums, eine Rückgabe des Besitzes zu erwirken, blieben vergeblich.

Die Mittel, die der Orden bei diesem ersten Versuch zum Aufbau eigenständiger Herrschaft einsetzte, waren fast die gleichen wie später in Preußen. Auf der Basis einer ersten Priviligierung wurden Herrschaftsrechte beansprucht, die militärisch und durch den Bau von Burgen durchgesetzt wurden. Die Missionierung eines heidnischen Territoriums wurde dabei durch die christliche Besiedlung relativ menschenleerer Landstriche abgesichert, und dem ersten Ordenskontingent stand ein Bruder vor, der relativ eigenständig über das Vorgehen des Ordens in diesem Gebiet entscheiden konnte. Noch aber hatte dieser Weg nicht zum Erfolg, sondern zum Desaster der Vertreibung aus Ungarn geführt. In dieser Situation erreichte den Orden die Bitte des polnischen Herzogs Konrad von Masowien, ihn gegen die Angriffe der heidnischen Prussen zu unterstützen. Diese Bitte ist nur aus einer Urkunde bekannt, die Kaiser Friedrich II. für Hochmeister Hermann von Salza im März 1226 in Rimini ausstellte.(13)Letzte Edition: E. Weise, Interpretation der Goldenen Bulle von Rimini (März 1226) nach dem kanonischen Recht, in: Acht Jahrhunderte Deutscher Orden, hg. K. Wieser (Quellen und Studien ..., 1), Bad Godesberg 1967, S.15-47, hier S.22-27. Der Kaiser bestätigt dem Orden darin die Schenkungen Konrads sowie den Besitz der noch zu erobernden preußischen Gebiete und verleiht ihm die Rechte, wie sie jeder Reichsfürst innehatte. Hochmeister und Orden sicherten sich also diesmal zusätzlich ab, bevor sie auf den Ruf eines Fürsten reagierten. Selbst mit dem kaiserlichen Privileg dauerte es aber noch vier Jahre, ehe die ersten Kontingente an die Weichsel kamen. Ein Grund dafür war, daß der Orden die Prioritäten noch immer anders setzte: 1228 und 1229 unterstützte der Hochmeister den Kaiser bei seinem Kreuzzug als Gebannter, und 1230 stellte er den Frieden zwischen Friedrich und dem Papst wieder her. In diesem Jahr fand sich auch Konrad von Masowien zu weiteren Zugeständnissen an den Orden bereit, die wohl für den Hochmeister und seine Gebietiger den endgültigen Anstoß dafür gaben, sich in Preußen militärisch zu engagieren. Konrad hatte 1228 zusammen mit einigen Bischöfen zunächst versucht, mit dem Orden von Dobrin einen eigenen Ritterorden zum Einsatz gegen die heidnischen Prußen zu gründen, hatte damit aber wenig Erfolg. Die geistlichen Ritterorden galten in dieser Zeit offenbar als entscheidende Stützen einer gewaltsamen Christianisierung, wenn friedvolle Mission und selbst der Einsatz von Kreuzfahrern versagt hatten. Die Versuche zu einer Missionierung des südöstlichen Ostseeraums setzten am Anfang des 13. Jahrhunderts wieder ein, waren aber am Widerstand der Prußen gescheitert, die ihre Tradition und ihre soziale Ordnung bedroht sahen. Der Deutsche Orden begann die Eroberung Preußens, wie er die Siebenbürgens begonnen hatte. Seit 1231 wurden entlang der Weichsel und dann entlang der Küste Burgen und Städte angelegt, gewaltsame Mission und Ansiedlung christlicher Bevölkerung gingen Hand in Hand. Die Prußen reagierten mit zwei großen Abwehrversuchen, zwischen 1242 und 1249 sowie 1260 und 1283, bei denen sie sich sogar mit den benachbarten christlichen Fürsten, den Herzögen von Pommerellen, verbanden. Die Kämpfe wurden von beiden Seiten mit aller Härte geführt, doch kann von einer Ausrottung der Prußen, wie sie manchmal in der älteren Literatur behauptet wurde, nicht die Rede sein. 1249 war den christianisierten Prußen im Christburger Vertrag die persönliche Freiheit garantiert worden.(14)Vgl. H. Patze, Der Frieden von Christburg vom Jahre 1249, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, 7 (1958), S.39-91. Als ein großer Teil von ihnen 1260 wieder vom Christentum abfiel, verloren sie einen Teil ihrer Rechte, so daß die prußischen Bauern im Ordensland gegenüber den deutschen Neusiedlern zumeist einen minderen Rechtsstatus besaßen. Spätestens um 1400 hatten sie aber wahrscheinlich wieder etwa die Bevölkerungszahl vor der Eroberung erreicht.(15)Boockmann, Deutsche Geschichte ..., S.138. Dem Orden war seine Behauptung nicht leicht gefallen, und mehrfach schien es, als sei sein Eingreifen in Preußen zum Scheitern verurteilt. Schließlich setzte er sich mit Hilfe immer neuer Kreuzfahrerkontingente aus dem Westen durch und konnte seine Herrschaft bis 1283 über alle prußischen Siedlungsgebiete ausdehnen (Karte). Dabei entwickelten sich aus den Strukturen des Ordens erste Ansätze zu einer angemessenen Verwaltung. Die Leiter der im eroberten Gebiet eingerichteten Konvente, der Ordenshäuser mit einer Gruppe dort gemeinschaftlich lebender Brüder, die Komture, wurden zugleich für ganze Verwaltungsbezirke zuständig. Waren diese Gebiete im von Konrad von Masowien "abgetretenen" Kulmerland recht klein, bestanden sie im eigentlichen Preußen aus großen "Landstreifen", die sich von den an der Küste gelegenen Konventen bis in die "Große Wildnis" im Innern des Landes erstreckten. Damit war der Orden Territorialherr geworden, und so beteiligte er sich auch bald an territorialen Auseinandersetzungen. Als 1296 mit Mestwin II. der letzte pommerellische Herzog starb, setzte zwischen den böhmischen, dänischen, brandenburgischen und polnischen Herrschern ein Kampf um die Nachfolge ein. 1308 rief der polnische Herzog Wladislaw Lokietek, der spätere König, den Deutschen Orden zu Hilfe, um seine von den Dänen bedrängten Truppen in Danzig zu befreien. Kontingente des Ordens nahmen die Stadt ein und zerstörten sie, doch war der Orden nun nicht mehr dazu bereit, seine Eroberungen herauszugeben. Vielmehr kaufte man 1309 die Rechte auf Pommerellen von Markgraf Waldemar von Brandenburg und unterwarf schließlich das gesamte Territorium seiner Herrschaft. Dies mußte zu Spannungen mit dem seit 1319 endgültig wiedervereinigten Polen führen, und in der Folge kam es sowohl zu kriegerischen Auseinandersetzungen wie auch zum Versuch des polnischen Königs, den Orden mit Hilfe des Papsttums und mit rechtlichen Mitteln zur Aufgabe des eroberten Gebietes zu zwingen. Schließlich wurden aber durch den Frieden von Kalisch 1343 wieder friedliche Beziehungen hergestellt. Man hat den Erwerb Pommerellens nicht ganz zu Unrecht als den ersten "Sündenfall" des Deutschen Ordens bezeichnet, der damit ja seiner Stiftungsaufgabe, dem Heidenkampf, untreu geworden war und seine Waffen gegen Christen gerichtet hatte. Zweifellos verhalf diese Ausweitung seiner Herrschaft dem Orden aber auch zu einer stärkeren Basis für den Kampf gegen die noch heidnischen Litauer, die sich im 14. Jahrhundert zum wichtigsten Gegner des Ordens im Baltikum entwickelten und zu deren Bekämpfung Ritter aus dem gesamten christlichen Europa nach Preußen kamen.(16)Dazu s. W. Paravicini, Die Preussenreisen des europäischen Adels, Bd.1 (Beihefte der Francia, 17/1), Sigmaringen 1989.

Im Jahre 1309 fiel auch eine folgenschwere Entscheidung, die im Orden heftig umkämpft war: die zur "Übersiedlung" des Hochmeisters nach Preußen. 1291 war mit Akkon die letzte große christliche Bastion im Heiligen Land verlorengegangen, und für alle drei großen Ritterorden stellte sich die Frage, wie sie ihren Stiftungsauftrag weiter erfüllen konnten. Während Templer und Johanniter ihr Zentrum nach Zypern verlagerten, wo sie großen Besitz hatten, entschied sich der Deutsche Orden dafür, Venedig, die Hafenstadt mit den intensivsten Verbindungen zur Levante, zum Sitz des Hochmeisters zu machen. Während die Mehrzahl der Brüder immer noch die Rückgewinnung des Heiligen Landes als wichtigste Aufgabe ansah, mehrten sich die Stimmen, die eine Verlegung des Ordenszentrums forderten. 1303 wurde Hochmeister Gottfried von Hohenlohe abgesetzt, der sich entschieden für Venedig ausgesprochen hatte, und sein Nachfolger "zog" 1309 nach Preußen, sicher auch unter dem Eindruck des Prozesses gegen die Templer, die seit 1307 durch König Philipp IV. von Frankreich und andere schwerwiegender Vergehen angeklagt wurden.(17)Aus der Fülle der Literatur sei nur genannt: M. Barber, The Trial of the Templars, Cambridge 1978. Damit waren aber die inneren Spannungen im Deutschen Orden nicht beendet. Der 1311 gewählte Hochmeister Karl von Trier geriet bald in Schwierigkeiten, wurde für abgesetzt erklärt und verließ Preußen. Von einem Generalkapitel 1318 in seinem Amt bestätigt, leitete er den Orden nun von seiner Trierer Heimat aus. Erst nach seinem Tode, mit der Wahl Werners von Orseln 1324, wurde die Marienburg zum Zentrum des Ordens. Auch wenn jetzt die inneren Strukturen des Ordenslandes den neuen Gegebenheiten angepaßt wurden, kann man sicher nicht von einer "planmäßigen" Herrschaftsbildung des Deutschen Ordens in Preußen sprechen, wie dies die ältere Forschung zum Teil getan hat.

Mit der Verlegung des Hochmeistersitzes auf die Marienburg begann eine "Blütezeit" des Ordens, die aber vor allem durch den Glanz weltlicher Herrschaft bestimmt war. Noch konnte der Orden mit den seit 1336 regelmäßig durchgeführten "Reisen", d.h. Feldzügen, gegen die Litauer seiner wichtigsten Aufgabe, dem Heidenkampf, nachgehen, doch änderte sich dies mit der Taufe des litauischen Großfürsten Jagiello und mit der polnisch-litauischen Union von 1386. Die Landesherrschaft des Ordens in Preußen wurde danach nicht nur von seinen polnischen Gegnern in Frage gestellt. Trotz seiner Niederlage in der Schlacht bei Tannenberg 1410 konnte sich der Orden zunächst behaupten. Die Stände Preußens empfanden jedoch die Herrschaft der landfremden Ritter mehr und mehr als eine Belastung, und so kam es zur Bildung des Preußischen Bundes, der dem Orden 1454 den Gehorsam aufkündigte und sich König Kasimir IV. von Polen unterstellte. Nach dem Ende des Dreizehnjährigen Krieges 1466 blieb nur noch das spätere Ostpreußen - mit Ausnahme des Ermlands - unter der Herrschaft des Ordens, und dieses Gebiet wurde 1525 vom letzten Hochmeister in Preußen, Albrecht von Brandenburg, in ein weltliches Herzogtum unter polnischer Lehenshoheit umgewandelt. Damit war die mittelalterliche Geschichte des Deutschen Ordens beendet. Er lebte jedoch - auch nach dem Verlust Livlands 1561 - vor allem im Süden Deutschlands fort. Sein letztes verbliebenes Territorium, das Gebiet um den Hoch- und Deutschmeistersitz Mergentheim, verlor er erst 1809, und bis heute besteht er als geistliche Korporation mit dem Sitz in Wien weiter.


II. Die Strukturen des Deutschen Ordens im Mittelalter

Infolge der Umwandlung in einen geistlichen Ritterorden bildeten sich innerhalb des Deutschen Ordens neue Gruppen von Brüdern, die es zuvor nicht gegeben hatte, die bald aber das Übergewicht im Orden gewannen. Dies waren vor allem die Ritterbrüder, die die wichtigste Aufgabe im Heidenkampf wahrnahmen. Sie mußten nach den Statuten beim Eintritt in den Orden mindestens 14 Jahre alt sein - es gab also, anders als bei anderen geistlichen Orden, keine Novizen. Sie durften keiner Frau durch Gelöbnis gebunden sein, keinem anderen Orden angehören, keine Schulden haben und mußten persönlich frei sein. Soziale Schranken gab es zunächst keine, so daß sich auch Bürger als Ritterbrüder finden, doch nach und nach wurde die adlige Abstammung zur Bedingung. Das galt nicht für die zweite Gruppe von Brüdern, die Sariant- oder Halbbrüder, auch als Graumäntler bezeichnet. Sie unterschieden sich von den Ritterbrüdern vor allem durch die leichtere Bewaffnung und erhielten meist nur weniger bedeutsame Ämter im Orden. Für die Priesterbrüder, den älteren Zweig des Ordens, müssen zwei Gruppen unterschieden werden, Kleriker mit "vollen" und mit niederen Weihen. Während die ersteren vor allem im Reich eine wichtige Rolle spielten und dort auch die Aufgaben eines Komturs oder sogar Landkomturs übernehmen konnten, wurden die Kleriker mit niederen Weihen oft in "dienenden" Funktionen eingesetzt, so im Bereich der Kanzleien. Fünf weitere Gruppen lassen sich daneben feststellen, die in mehr oder weniger fester Verbindung zum Orden standen. Neben der großen Zahl von Brüdern gab es auch einige wenige Schwestern oder Halbschwestern des Ordens, die vor allem für die Krankenpflege oder auch für die Versorgung des Viehs zuständig waren; Diener, ritterliche oder nichtritterliche Freie, waren durch ihren Sold mit dem Orden verbunden; für niedere Arbeiten wurden die Knechte des Ordens, Unfreie, herangezogen; zumindest im Heiligen Land griff man auf militärische Hilfstruppen, die Turkopolen, zurück, deren Verhältnis zum Orden aber nicht völlig klar ist; und schließlich konnte sich der Deutsche Orden auf in die Gebetsgemeinschaft des Ordens aufgenommene Große und Gönner, die Familiaren, stützen.

Das Zusammenleben dieser sehr unterschiedlichen Gruppen wurde durch die Statuten des Ordens geregelt. Diese gliedern sich in der endgültigen Redaktion in die grundlegenden Regeln sowie in die ergänzenden Gesetze und Gewohnheiten, denen auch die Erlasse späterer Hochmeister hinzugefügt wurden.(18)Text der Statuten in M. Perlbach, Hg., Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften, Halle 1890, ND Hildesheim-New York 1975. Nach 1198, nach der Übernahme der Templerregel für die militärischen und der Johanniterregel für die karitativen Aufgaben, werden sich wohl die ersten Gewohnheiten ausgebildet haben, die sich ab 1209 nachweisen lassen, ebenso eigene Regeln. Dies führte zu Problemen mit den noch immer benutzten Regeln der anderen Ritterorden, so daß Papst Innozenz IV. schließlich 1244 die Erlaubnis erteilte, einige Regeln zu ändern. In einem sich über ein Jahrzehnt hinziehenden Prozeß entstand damit die bis zum Ende des Mittelalters gültige Regelversion. Bezeichnend für den "internationalen" Charakter des Deutschen Ordens ist, daß die Regeln, Gesetze und Gewohnheiten in bis zu fünf Sprachen erhalten sind: Neben dem wohl grundlegenden Latein liegen Fassungen in Mittelhoch- und Mittelniederdeutsch, in Mittelfranzösisch sowie in Mittelniederländisch vor. Nicht zufällig beginnt die Regel mit den drei mönchischen Gelübden, Keuschheit, Gehorsam und Armut, die auch den Kern des Lebens in einem Ritterorden ausmachten. Zugleich werden aber auch die Unterschiede zur Welt der Mönche deutlich, wenn nach Bestimmungen über den Spitaldienst, Kleidung und Essen die militärischen Pflichten der Brüder hervorgehoben werden, die Verteidigung "gegen die Feinde des Kreuzes und des Glaubens ... mit mancherlei Waffen und in manch einer Weise", aber ohne weltlichen Schmuck.(19)Regel 22, ebd., S.46. Die Mitglieder eines geistlichen Ritterordens waren - wie dies schon Bernhard von Clairvaux in seiner Verteidigung des Templerordens am Anfang des 12. Jahrhunderts hervorgehoben hatte - keine weltlichen Ritter mehr, sie waren aber auch noch keine Mönche. Der oft gebrauchte Begriff der "Rittermönche" führt somit in die Irre, denn die Ritterbrüder waren Laien. Ihr Status ist deshalb, wie dies unlängst betont wurde, vielleicht am ehesten mit dem von Semireligiosen in Laienbruderschaften zu vergleichen, aus denen zumindest in Spanien auch Ritterorden hervorgingen.(20)Dazu s. K. Elm, Die Spiritualität der geistlichen Ritterorden des Mittelalters, Forschungsstand und Probleme, in: 'Militia Christi' e Crociata nei secoli XI-XIII (Miscellanea del Centro di studi medioevali, 13), Mailand 1992, S.477-518, hier S.515. Zu Bernhard von Clairvaux vgl. J. Fleckenstein, Die Rechtfertigung der geistlichen Ritterorden nach der Schrift 'De laude novae militiae' Bernhards von Clairvaux, in: ders., M. Hellmann, Hgg. ..., S.9-22.

Die in den Statuten faßbaren Strukturen des Ordens wurden - wie bei den anderen Ritterorden, vor allem bei den Johannitern - zunächst wesentlich durch das gemeinschaftliche Leben im Haupthaus des Ordens bestimmt. Oberstes "Organ" war das Kapitel, die Versammlung aller Brüder, an deren Beschlüsse die Ordensoberen formal gebunden blieben, auch wenn die geographische Ausweitung des Ordens ein Zusammentreten aller Mitglieder seltener werden ließ. Während der Meister bald zur Unterscheidung gegenüber den lokalen "Meistern", den Landmeistern, als magnus magister, als Hochmeister, bezeichnet wurde, gewann eine Gruppe von Amtsträgern im Haupthaus zunehmende Bedeutung für den gesamten Orden.(21)Dazu und zum folgenden s. F. Milthaler, Die Großgebietiger des Deutschen Ritterordens bis 1440, Königsberg-Berlin 1940; P. G. Thielen, Die Verwaltung des Ordensstaates Preußen vornehmlich im 15. Jahrhundert (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 11), Köln-Graz 1965; A. Sielmann, Die Verwaltung des Haupthauses Marienburg in der Zeit um 1400, Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen, in: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins, 61 (1921), S.1-101. Schon 1208 lassen sich die Ämter des Großkomturs, des Marschalls und des Spittlers nachweisen. Zunächst war der Großkomtur vor allem für die Angelegenheiten des Haupthauses zuständig, dann beschränkte er sich ab 1230 mehr und mehr auf die Oberaufsicht, vertrat dafür aber häufiger den Meister während dessen Abwesenheit vom Heiligen Land. Marschall und Spittler waren für die beiden wichtigsten Aufgabenbereiche im Orden zuständig, für die Vorbereitung militärischer Einsätze und für die Versorgung der Kranken. Bis zur Mitte des 13.Jahrhunderts bildeten sich drei weitere bedeutende Ämter aus: das des Trappiers, der für das Bekleidungswesen verantwortlich war, nachgewiesen seit 1228, das des Treßlers, für den Ordensschatz, seit 1240, und das des Kastellans von Montfort, mit der Errichtung der Hauptburg seit 1230. Alle diese Ämter finden sich ähnlich auch bei den beiden anderen großen Ritterorden, so bei den Johannitern, bei denen es zwar keinen Kastellan gab, dafür aber seit dem Anfang des 14.Jahrhunderts einen Turkopolier als Leiter der Hilfstruppen und einen Admiral, der die Hafenanlagen und die Marinesoldaten überwachte.(22)J. Riley-Smith, The Knights of St.John in Jerusalem and Cyprus, ca.1050-1310, London 1967, S.280.

Diese im Deutschen Orden als Großgebietigerämter bezeichneten Institutionen wurden mit der Verlegung des Hochmeistersitzes den neuen Gegebenheiten angepaßt. Großkomtur und Treßler blieben im Haupthaus, auf der Marienburg, während die Ämter des Obersten Marschalls, des Obersten Spittlers und des Obersten Trappiers einzelnen Komtureien zugewiesen wurden und dabei teilweise ihre bisherige Bedeutung verloren. Das gilt vor allem für den Obersten Spittler und den Obersten Trappier, die bis 1454 meist zugleich Komture von Elbing und Christburg waren und reine Ehrenämter bekleideten, also nicht mehr für die Hospitäler und das Bekleidungswesen zuständig waren. Die einzige "Reminiszenz" an seine früheren Aufgaben ergab sich im Fall des Obersten Spittlers daraus, daß Elbing der Sitz des größten Ordenshospitals im Ordensland Preußen war, das von einem "Unterspittler" verwaltet wurde. Dagegen war der Oberste Marschall, der etwa seit 1330 zugleich immer Komtur von Königsberg war, noch in größerem Umfang mit militärischen Fragen beschäftigt, obwohl das Heer vom Hochmeister angeführt wurde, wenn dieser anwesend war. Der Grund dafür war die exponierte Lage des Königsberger Gebiets, von dem die Feldzüge gegen die Litauer ausgingen. Dies machte oftmals schnelle Entscheidungen und die Organisation der Verteidigung notwendig, für die die Obersten Marschälle angesichts der Entfernung zur Marienburg besser geeignet waren. Aber auch die vielen Litauer-Feldzüge mit der Beteiligung westeuropäischer Kreuzfahrer standen meist unter ihrer Leitung. Überdies übernahmen sie zentrale Funktionen für den gesamten Osten des Ordenslandes, d.h. auch für die Komtureien Balga, Brandenburg, Ragnit und Memel sowie für die um 1400 eingerichtete Vogtei Samaiten. Dies betraf zunächst Fragen der Ämterbesetzung und des Bauwesens, dann aber auch die Versorgung der Ordensburgen im Grenzgebiet. Dazu gehörten in gewissem Sinne auch Memel und Ragnit, deren Verwaltungsbezirke relativ klein waren und nur geringe Zinseinnahmen erbrachten.

Im Gegensatz zu Spittler, Trappier und Marschall änderten sich die Aufgaben der Großkomture durch die Verlagerung des Ordenszentrums nach Preußen nur wenig.(23)Für die Aufgaben des Großkomturs und des Treßlers vgl. u.a. J. Sarnowsky, Die Wirtschaftsführung des Deutschen Ordens in Preußen (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 34), Köln-Weimar-Wien 1994, S.46-61. Sie blieben die wichtigsten Amtsträger im Haupthaus, wo sie faktisch die Aufgaben eines Komturs der Marienburg wahrnahmen. Insbesondere unterstand ihnen die Firmarie und das Kriegswesen der Marienburg. Daneben kontrollierten sie die Rechnungslegung der Treßler und führten das zentrale Schuldenregister des Ordens, zunächst wohl auf Wachstafeln, seit dem Ende des 14.Jahrhunderts in Buchform. Anders aber als im Heiligen Land entfiel die Stellvertreter-Funktion für die Hochmeister, da diese nun ständig im Lande blieben.

In welcher Weise die aus dem Heiligen Land nach Preußen übertragenen Ordensämter umgeformt und überformt werden konnten, zeigt exemplarisch die Entwicklung des Treßleramts. Die Treßler waren die einzigen Großgebietiger mit fast ausschließlich wirtschaftlichen Aufgaben. Die Gewohnheiten des Ordens zeigen sie vor allem als die Verwalter des Schatzes im Haupthaus, des Tressels, zu dem sie neben Meister und Großkomtur einen Schlüssel hatten. Sie allein waren zur Entgegennahme von Zahlungen und Almosen für den Orden berechtigt und mußten monatlich vor dem Meister über ihre Tätigkeit Rechenschaft ablegen. Während der Abwesenheit des Meisters nahmen sie ihrerseits die Abrechnung der untergeordneten Amtsleute entgegen. Ihre wichtigste Aufgabe war die Versorgung des Meisters. Wenn dieser vom Haupthaus abwesend war, mußten die Treßler die eventuell von lokalen Amtsträgern ausgelegten Zahlungen bei seiner Rückkehr erstatten. Dieses allein auf die geistliche Korporation ausgerichtete Amt erhielt nun mit der Verlegung des Hochmeistersitzes auf die Marienburg eine landesherrschaftliche Komponente, und zwar in doppelter Hinsicht, zentral und lokal. Eine wichtige Rolle spielte zweifellos, daß auch die Hochmeister nach 1309 nicht mehr nur die Leiter einer geistlichen Korporation, sondern ebenso die ersten Vertreter einer Landesherrschaft waren. Gleichermaßen von Bedeutung war aber die Reform, mit der wohl um 1325, in der Zeit des Hochmeisters Werner von Orseln, das Treßleramt auf eine neue Grundlage gestellt wurde. Dabei wurden einige Vogteien und Pflegeämter direkt dem Hochmeister unterstellt und hatten künftig jährlich feste Summen für den hochmeisterlichen Finanzbedarf aufzubringen. Diese Zahlungen flossen in eine dafür eigens eingerichtete Kasse, die Treßlerkasse, zusammen mit weiteren Geldern unter anderem aus Wandelabgaben, den bei einem Wechsel in der Besetzung der Ordensämter abzuführenden Überschüssen, und aus dem Nachlaß verstorbener Ordensbrüder. Die Aufgaben der Treßlerkasse und des ebenfalls vom Treßler verwalteten Ordensschatzes, des Tressels, waren nicht klar von einander abgegrenzt,(24)Zu diesen Fragen s. auch A. Klein, Die zentrale Finanzverwaltung im Deutschordensstaate Preußen am Anfang des XV. Jahrhunderts (Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, 23,2), Leipzig 1904, hier S.89. doch diente die Treßlerkasse vor allem zur Finanzierung der alltäglichen Geschäfte des Hochmeisters, während der Tressel bei den größeren Ausgaben herangezogen wurde. Durch ihre Zuordnung zum Hochmeister entwickelte sich die Treßlerkasse zur wichtigsten Kasse im Ordensland und diente gleichermaßen den Zwecken der Korporation wie denen der Landesherrschaft. Aus dem für die Zeit zwischen 1399 und 1409 überlieferten Treßlerbuch geht hervor, daß der Treßler seine Einnahmen unter anderem zur Versorgung von Ordensbrüdern und Konventen, für Ordensbauten und für Lebensmittel für die Versammlungen des Ordens verwendete, aber auch für Zahlungen an die Untertanen, für die Umritte des Hochmeisters, für Herstellung, Kauf und Pflege von Waffen, für den Unterhalt von Gesandtschaften sowie für Geschenke an landfremde Adlige und Fürsten. Der Treßler verwaltete daneben noch eine dritte Kasse, durch die ihm zu seinen zentralen noch lokale Aufgaben zuwuchsen, die Marienburger Konventskasse. Anders als in den anderen Komtureien wurden die Zinseinnahmen aus dem Marienburger Gebiet nicht von einem Komtur oder Haus-komtur eingezogen, sondern durch den Treßler, der dann Jahr für Jahr erhebliche Beträge an den eigentlichen Verwalter der Marienburg, den Hauskomtur, überwies. Dafür wurde eigens ein Zinsverzeichnis des Marienburger Gebiets angelegt, und Einnah-men und Ausgaben wurden im "Konventsbuch" festgehalten, das ebenfalls für die Jahre um 1400 erhalten ist.(25)Das Marienburger Konventsbuch der Jahre 1399-1412, hg. W. Ziesemer, Danzig 1913; vgl. auch Das Marienburger Treßlerbuch der Jahre 1399-1409, hg. E. Joachim, Königsberg 1896, ND Bremerhaven 1973. Der Treßler übernahm damit nicht nur Mitverantwortung für die Versorgung der Marienburg, sondern auch eine Kontrollfunktion über das Marienburger Gebiet. Zugleich überwachte er auch die Verwaltung der Ordenshöfe, die wichtige Beiträge zur Versorgung der Ordenshäuser leisteten.(26)Zu den Ordenshöfen oder Vorwerken s. H.Boockmann, Die Vorwerke des Deutschen Ordens in Preußen, in: Die Grundherrschaft im späten Mittelalter, hg. H. Patze, Bd.1 (Vorträge und Forschungen, XXVII,1), Sigmaringen 1983, S.555-76; Sarnowsky, Die Wirtschaftsführung ..., S.264-81. Das ursprünglich allein im Orden verankerte Amt des Treßlers gewann also in Preußen nach und nach ebenso für die Landesherrschaft an Bedeutung.

Eine Anpassung an die Anforderungen der Landesherrschaft in Preußen läßt sich auch bei der Einführung neuer Ordensämter feststellen, die vor allem wirtschaftliche und hoheitliche Aufgaben zu übernehmen hatten. Zunächst übte der Orden das ihm von Kaiser Friedrich II. 1226 verliehene Recht zur Prägung eigener Münzen mit Hilfe der Bürger seiner Städte aus, spätestens am Ausgang des 14.Jahrhunderts wurde jedoch am Ort der wichtigsten Münzstätte des Ordenslandes, in Thorn, das Amt eines Münzmeisters eingerichtet, der von nun an die Münzprägung und die damit verbundenen Geldgeschäfte kontrollierte. Etwa zur selben Zeit, um 1400, wurde in der wichtigsten Hafenstadt des Ordenslandes, in Danzig, das Amt des Pfundmeisters geschaffen, um die Erhebung des Pfundgelds zu überwachen, das ursprünglich ein von der Hanse eingeführter Zoll war, aber nach und nach in eine landesherrliche Abgabe umgewandelt wurde. Beide Brüder, Münzmeister und Pfundmeister, wurden in die lokalen Strukturen, in die Konvente zu Thorn und Danzig, eingegliedert, blieben aber aufgrund der Bedeutung ihrer Aufgaben stets in enger Verbindung mit den zentralen Amtsträgern des Ordens. Das galt ähnlich auch für die beiden Großschäffer, zu Marienburg und Königsberg, die als "Handelsbeamte" für den Orden als geistliche Korporation tätig waren, aber mit ihren wichtigsten Exportwaren, Getreide und Bernstein, auf landes- und grundherrliche Einkünfte und Rechte des Ordens zurückgriffen.(27)Für die Tätigkeit von Münzmeistern, Pfundmeistern und Großschäffern s. wiederum Sarnowsky, ebd., S.62-115.

Die Stellung der Hochmeister innerhalb des Deutschen Ordens war relativ schwach, wenn man sie etwa mit der Autorität eines Benediktinerabtes vergleicht.(28)Dazu vgl. F. J. Felten, Herrschaft des Abtes, in: Herrschaft und Kirche, hg. F. Prinz (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 33), Stuttgart 1988, S.147-296. Sie waren "Erste unter Gleichen", die darauf verwiesen waren, bei den "ältesten" der Brüder Rat zu suchen, und die sich den Entscheidungen der Kapitel zu unterwerfen hatten. Dies änderte sich mit der Verlegung des Hochmeistersitzes nach Preußen nur teilweise, denn damit wurde es zwar aufgrund der Entfernungen praktisch unmöglich, die nach den Statuten jährlich vorgeschriebenen Generalkapitel mit der Beteiligung möglichst vieler Brüder abzuhalten, doch wurden die Entscheidungen der Hochmeister nun stärker von ihrem Rat überwacht und mitgetragen. Im 15. Jahrhundert bildete sich dafür ein engerer Rat aus, der aus den Großgebietigern und den Komturen von Danzig und Thorn bestand, die als Vertreter der Landesteile Pommerellen und Kulmerland galten. (29)Dazu B. Jähnig, Verfassung und Verwaltung des Deutschen Ordens in Preußen, in: Westpreußen-Jahrbuch, 41 (1991), S.60-72, hier S.67. Der oligarchische Charakter des Ordens, daß seine Politik nicht durch den Hochmeister, sondern durch die führenden Gruppen innerhalb der Brüder bestimmt wurde, wird unter anderem in der Absetzung von Hochmeistern deutlich, so z.B. im berühmten Fall Heinrichs von Plauen. Andere, wie der 1422 bis 1441 amtierende Paul von Rusdorf, resignierten, weil sie zwischen den Interessen verschiedener Gruppen zerrieben wurden. Für die Wahl (und die Absetzung) des Hochmeisters war das Generalkapitel zuständig. Bei der Wahl spielten übrigens die erwähnten verschiedenen "Klassen" von Ordensbrüdern eine Rolle. Die eigentliche Wahl wurde von einem Gremium von 13 Wahlmännern vorgenommen, von denen acht Ritter-, vier Sariantbrüder und einer ein Priesterbruder sein sollte - Zeichen des Übergewichts, das das ritterliche Element seit 1198 im Orden gewonnen hatte.(30)Zur Wahl allgemein s. C. A. Lückerath, De electione magistri, Ein Beitrag zum mittelalterlichen Wahlrecht im Deutschen Orden, in: Preußenland, 9 (1971), S.33-47. Die faktische Stellung der Hochmeister hing zweifellos von verschiedenen individuellen Faktoren ab, doch gehört die These vom Ordensland Preußen als einem einheitlichen und straff durch die Hochmeister geführten Herrschaftsgebilde sicherlich zu den falschen Vorstellungen des 19. und 20.Jahrhunderts.

Dazu trug auch das Gewicht der lokalen Strukturen im Orden bei. Wie erwähnt, war im Zuge der Eroberung Preußens ein Netz von Konventen mit Gemeinschaften von Brüdern eingerichtet worden - die Regel nennt hier die Idealzahl von zwölf, die oft unter - , zum Teil aber auch erheblich überschritten wurde. Die Komture, die an der Spitze der Konvente und der ihnen zugeordneten "Verwaltungsbezirke" standen, konnten zusammen mit den "ältesten" Brüdern relativ eigenständig über die lokalen Angelegenheiten entscheiden.(31)Zur lokalen Verwaltung vgl. B. Jähnig, Verwaltung und Personal des Deutschen Ordens in Preußen, insbesondere an Danziger Beispielen, in: Deutsche Ostkunde. Vierteljahrsschrift für Wissenschaft, Erziehung und Unterricht, 35 (1989), S.82-95; Sarnowsky, Die Wirtschaftsführung ..., S.116-80. Sie hatten für den Erhalt des Hauses und der Ordenshöfe, für die Ernährung und Kleidung der Brüder und für die Ausstattung mit Vieh und Geräten zu sorgen, waren für die Ausübung der Gerichtsbarkeit sowie für die militärischen Aufgebote in ihrem Bezirk zuständig und bestimmten weitgehend über Maßnahmen der Siedlungspolitik. Von ihnen hing es ab, wie die Vorstellungen und Anweisungen der zentralen Amtsträger umgesetzt wurden. Diese hatten ihrerseits zwei Möglichkeiten zur Kontrolle: den "Ämterwandel" und die Visitation. Die Komtureien, aber auch die untergeordneten Ämter der Vögte, Pfleger, Hauskomture, Wald-, Fisch-, Mühlmeister, Karwansherren, Pferdemarschälle usw., wurden nur auf begrenzte Zeit vergeben. Bei jedem Wechsel im Amt wurden die Bestände des Amtes aufgenommen, regelmäßige Einkünfte, Außenstände, Lebensmittel und Geräte im Konvent und in den Höfen, Vieh und anderes. Spätestens seit der Mitte des 14.Jahrhunderts wurden diese Inventare in einem Buch in der Ordenskanzlei auf der Marienburg gesammelt und erlaubten einen Überblick über den Zustand der Ämter.(32)Das große Ämterbuch des Deutschen Ordens, hg. W. Ziesemer, Danzig 1921, ND (Vaduz) 1968. Wer sich bewährte, konnte aufsteigen - selbst innerhalb der Komtureien gab es eine gewisse Hierarchie -, andere erhielten nach dem Ende ihrer Zeit als Komtur wieder leichtere Aufgaben übertragen. Auf diese Weise lassen sich "Karrieren" der Brüder verfolgen, die in den höchsten Ämtern, aber auch in einem Hausamt eines Konvents enden konnten. Neben dem unregelmäßigen "Ämterwandel" gab es für den Hochmeister und seine Gebietiger noch das allen geistlichen Orden gemeinsame "Kontrollinstrument" der Visitation. Dabei wurden in der Regel ein Ritter- und ein Priesterbruder ausgesandt, die wie beim Ämterwechsel den Bestand der Ämter aufnehmen, aber auch den Lebenswandel der Brüder kontrollieren sollten. Trotz allem blieben die lokalen Amtsträger relativ unabhängig und nahmen damit zugleich an der Ausgestaltung der Ordenspolitik teil.

Auch im lokalen Bereich fand eine Um- und Überformung der Ordensämter für die Zwecke der Landesherrschaft statt, die ohne eine Kenntnis der ursprünglichen Aufgaben nicht verständlich ist. Dem Vertreter des Komturs, dem Hauskomtur, wuchsen aufgrund seiner führenden Stellung in der Versorgung des Konvents auch Aufgaben beim Einzug der Zinsen der ländlichen Bevölkerung zu; die Fischmeister, die ursprünglich allein die Konvente mit der wichtigsten Fastenspeise, Fisch, zu versorgen hatten, übernahmen zum Teil eigene kleinere Amtsbezirke, in denen sie den Fischfang betreiben und kontrollieren konnten; die sich ausbildende Oberhoheit des Ordens über alle Mühlen des Landes führte in vielen Fällen zur Einsetzung von Ordens-Mühlmeistern, die einige Mühlen direkt für den Unterhalt ihres Konvents bewirtschafteten.

Die vorangehenden Überlegungen lassen sich - zumindest partiell - in vier Thesen zusammenfassen:

1. Die grundlegenden Strukturen des Deutschen Ordens entstanden im Heiligen Land nach der Umwandlung in einen geistlichen Ritterorden, wobei das Vorbild der Templer und Johanniter prägend war.

2. Die Herrschaftsbildung des Deutschen Ordens in Preußen steht nicht für sich allein, sondern muß im Zusammenhang mit seinen anderen Versuchen gesehen werden, ein eigenes Territorium aufzubauen, sowohl im Heiligen Land als auch in Siebenbürgen. Sie war alles andere als ein zielgerichteter Prozeß, vielmehr war bis zum Anfang des 14.Jahrhunderts umstritten, welchen Weg der Orden gehen sollte.

3. In Preußen wurden die inneren Strukturen des Deutschen Ordens den neuen Anforderungen angepaßt. Einige der älteren Ämter, die des Obersten Spittlers und des Obersten Trappiers, behielten nur einen Ehrenrang, während anderen zu ihren bisherigen Aufgaben neue zugewiesen wurden, wie im Beispiel des Treßlers. Auch die Organisation der lokalen Verwaltung entwickelte sich aus dem Modell des Konvents und der darin vertretenen Hausämter.

4. Insgesamt lassen sich so viele Elemente in der Landesherrschaft des Deutschen Ordens in Preußen auf die grundlegenden Strukturen eines geistlichen Ritterordens zurückführen. Dies erklärt die scheinbare "Modernität" seiner Verwaltung. Die besondere Leistung des Ordens lag damit nicht in einer "Vorwegnahme" neuzeitlicher Administrationsformen, sie bestand vielmehr in der erfolgreichen Adaption der Ordensstrukturen für den Aufbau eines eigenen Territoriums.


Anmerkungen

1 Dazu u.a. H. Boockmann, Der Deutsche Orden, Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte, München 19822 (19945), Kap.12, hier insbes. S.237-38.

2 S. H. Boockmann, Deutsche Geschichte im Osten Europas - Ostpreußen und Westpreußen, Berlin 1992, S.34-35 und 41-44 (die Zitate von S.42 und 34).

3 Aus S. Ekdahl, Tannenberg/Grunwald - ein politisches Symbol in Deutschland und Polen, in: Journal of Baltic Studies, XXII (1991), S.271-324, hier S.295 (Wilfrid Daim, im Zitat eigentlich "eroberungslüstig" (!)).

4 Mittelbar auch noch bei H. Patze, Der Deutschordensstaat 1226-1466, in: Handbuch der europäischen Geschichte, hg. T. Schieder, Bd.2, Stuttgart 1987, S.468-89, hier S. 483-85, der u.a. auf die "Zentralisierung" der Verwaltung, vor allem für die Finanzen, verweist.

5 Für die Johanniter auf Rhodos s. vor allem die Arbeiten von A. Luttrell, u.a. Latin Greece, the Hospitallers and the Crusades, 1291-1440, London 1982; für die Frühgeschichte der Ritterorden allgemein s. A. Forey, The Military Orders from the 12th to the Early 14th Century, Houndmills, Basingstoke - London 1992.

6 Vgl. M.-L. Favreau, Studien zur Frühgeschichte des Deutschen Ordens, Stuttgart (1975); U. Arnold, Entstehung und Frühzeit des Deutschen Ordens, in: J. Fleckenstein, M. Hellmann, Hgg., Die geistlichen Ritterorden Europas (Vorträge und Forschungen, 26), Sigmaringen 1980, S.81-107.

7 Übers. W.Hubatsch, hier zitiert nach: Geschichte in Quellen, Bd.2, Mittelalter, bearb. W. Lautemann, München 19782, S.644-45; der Text der "Narratio" in: Scriptores rerum prussicarum, Bd.6, hgg. W. Hubatsch, U. Arnold, Frankfurt a. M. 1968, S.24-34.

8 E. Strehlke, Hg., Tabulae ordinis Theutonici, Berlin 1869, ND (hg. H. E. Mayer) Toronto 1975, Nr. 27, S.23-24.

9 Dazu H. Kluger, Hochmeister Hermann von Salza und Kaiser Friedrich II. (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 37), Marburg 1987.

10 Zur Entstehung des Deutschmeisteramtes vgl K. Militzer, Die Entstehung der Deutschordensballeien im Deutschen Reich (Quellen und Studien ..., 16), Marburg 1981 2, S.34-53.

11 H. E. Mayer, Die Seigneurie de Joscelin und der Deutsche Orden, in: J. Fleckenstein, M. Hellmann, Hgg. ..., S.171-216.

12 H.Zimmermann, Der Deutsche Ritterorden in Siebenbürgen, in: J. Fleckenstein, M. Hellmann, Hgg. ..., S.267-98.

13 Letzte Edition: E. Weise, Interpretation der Goldenen Bulle von Rimini (März 1226) nach dem kanonischen Recht, in: Acht Jahrhunderte Deutscher Orden, hg. K. Wieser (Quellen und Studien ..., 1), Bad Godesberg 1967, S.15-47, hier S.22-27.

14 Vgl. H. Patze, Der Frieden von Christburg vom Jahre 1249, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, 7 (1958), S.39-91.

15 Boockmann, Deutsche Geschichte ..., S.138.

16 Dazu s. W. Paravicini, Die Preussenreisen des europäischen Adels, Bd.1 (Beihefte der Francia, 17/1), Sigmaringen 1989.

17 Aus der Fülle der Literatur sei nur genannt: M. Barber, The Trial of the Templars, Cambridge 1978.

18 Text der Statuten in M. Perlbach, Hg., Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften, Halle 1890, ND Hildesheim-New York 1975.

19 Regel 22, ebd., S.46.

20 Dazu s. K. Elm, Die Spiritualität der geistlichen Ritterorden des Mittelalters, Forschungsstand und Probleme, in: 'Militia Christi' e Crociata nei secoli XI-XIII (Miscellanea del Centro di studi medioevali, 13), Mailand 1992, S.477-518, hier S.515. Zu Bernhard von Clairvaux vgl. J. Fleckenstein, Die Rechtfertigung der geistlichen Ritterorden nach der Schrift 'De laude novae militiae' Bernhards von Clairvaux, in: ders., M. Hellmann, Hgg. ..., S.9-22.

21 Dazu und zum folgenden s. F. Milthaler, Die Großgebietiger des Deutschen Ritterordens bis 1440, Königsberg-Berlin 1940; P. G. Thielen, Die Verwaltung des Ordensstaates Preußen vornehmlich im 15. Jahrhundert (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 11), Köln-Graz 1965; A. Sielmann, Die Verwaltung des Haupthauses Marienburg in der Zeit um 1400, Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen, in: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins, 61 (1921), S.1-101.

22 J. Riley-Smith, The Knights of St.John in Jerusalem and Cyprus, ca.1050-1310, London 1967, S.280.

23 Für die Aufgaben des Großkomturs und des Treßlers vgl. u.a. J. Sarnowsky, Die Wirtschaftsführung des Deutschen Ordens in Preußen (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 34), Köln-Weimar-Wien 1994, S.46-61.

24 Zu diesen Fragen s. auch A. Klein, Die zentrale Finanzverwaltung im Deutschordensstaate Preußen am Anfang des XV. Jahrhunderts (Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, 23,2), Leipzig 1904, hier S.89.

25 Das Marienburger Konventsbuch der Jahre 1399-1412, hg. W. Ziesemer, Danzig 1913; vgl. auch Das Marienburger Treßlerbuch der Jahre 1399-1409, hg. E. Joachim, Königsberg 1896, ND Bremerhaven 1973.

26 Zu den Ordenshöfen oder Vorwerken s. H.Boockmann, Die Vorwerke des Deutschen Ordens in Preußen, in: Die Grundherrschaft im späten Mittelalter, hg. H. Patze, Bd.1 (Vorträge und Forschungen, XXVII,1), Sigmaringen 1983, S.555-76; Sarnowsky, Die Wirtschaftsführung ..., S.264-81.

27 Für die Tätigkeit von Münzmeistern, Pfundmeistern und Großschäffern s. wiederum Sarnowsky, ebd., S.62-115.

28 Dazu vgl. F. J. Felten, Herrschaft des Abtes, in: Herrschaft und Kirche, hg. F. Prinz (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 33), Stuttgart 1988, S.147-296.

29 Dazu B. Jähnig, Verfassung und Verwaltung des Deutschen Ordens in Preußen, in: Westpreußen-Jahrbuch, 41 (1991), S.60-72, hier S.67.

30 Zur Wahl allgemein s. C. A. Lückerath, De electione magistri, Ein Beitrag zum mittelalterlichen Wahlrecht im Deutschen Orden, in: Preußenland, 9 (1971), S.33-47.

31 Zur lokalen Verwaltung vgl. B. Jähnig, Verwaltung und Personal des Deutschen Ordens in Preußen, insbesondere an Danziger Beispielen, in: Deutsche Ostkunde. Vierteljahrsschrift für Wissenschaft, Erziehung und Unterricht, 35 (1989), S.82-95; Sarnowsky, Die Wirtschaftsführung ..., S.116-80.

32 Das große Ämterbuch des Deutschen Ordens, hg. W. Ziesemer, Danzig 1921, ND (Vaduz) 1968.



Erstanlage: 30. Oktober 2000

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