Kapitularien

Kapitularien

Der Begriff "Kapitular" bezeichnet knappe Rechtsordnungen, durch die Gesetze und Verwaltungsakte bekannt gemacht wurden. (Hier ergeben sich Überschneidungen mit Verwaltungsakten.) Ihren Namen erhielten sie aufgrund ihrer Einteilung in Kapitel. Sie gingen auf das königliche Bannrecht zurück, d.h. das Recht des Königs bei Strafe zu gebieten und zu verbieten. Es ist aber anzunehmen, dass sie auf Reichsversammlungen beraten wurden und auf der Zustimmung ("consensus") der adeligen und geistlichen Elite beruhten. Hierbei scheinen besonders die Geistlichen eine große Rolle gespielt zu haben, da viele Synodalbeschlüsse in Kapitularien verkündet wurden. Es zeigt sich dabei der Versuch der Könige, ein heterogenes Großreich zu verwalten und zu regieren. Die Kapitularien gehören zu den wichtigsten Quellen der fränkischen Geschichte, da in ihnen fast alle Lebensbereiche angesprochen werden. Informationen zu Alltag, Mentalität und Bildungswesen können gefunden werden.
Ob es schon im Merowingerreich Kapitulare gegeben hat, ist umstritten. Unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen stand das Kapitularwesen in voller Blüte. Danach kamen sie noch eine Weile im westfränkischen Reich und bis ins 9. Jahrhundert in Italien vor. Obwohl es unter den Ottonen und Saliern noch einige "Nachläufer" gab, so Hubert Mordek, verschwinden sie seit dem 10. Jahrhundert im gesamten Okzident. Eine Überlieferung ist hingegen bis ins 12. Jahrhundert festzustellen. Selbst die Staufer bezogen sich in ihren Urkunden noch auf die Kapitularien und auch im kanonischen Recht entfalteten sie eine bedeutende Wirkung, so dass eine weiterhin bestehende Gültigkeit konstatiert werden kann. Die Bedeutung der Kapitularien bei der Umsetzung in die Rechtspraxis war unterschiedlich. Ihre Effektivität wird häufig gering gewesen sein, wie so manche Klage und sich wiederholende Vorschriften zeigen.
Es wird teilweise in "capitularia mundana" und "capitularia ecclesiastica", d.h. in Bestimmungen mit weltlichem bzw. kirchlichem Inhalt unterschieden. In der Realität ist diese starre Unterscheidung selten gegeben; meistens finden sich gemischte Verordnungen. Folgende Unterteilung wurde in Anlehnung an die Kapitulare Ludwigs des Frommen vorgenommen:

  • capitularia legibus addenda (= die erweiterten Volksrechte),
  • capitularia per se scribenda (Einzelbestimmungen),
  • capitularia missorum (Anweisungen an die Königsboten).

Räumlich hatten sie eine territoriale Geltung, während ihre zeitliche Geltung, je nach Inhalt, begrenzt oder unbegrenzt war.
Die Form der Kapitularien variiert stark. Sie reicht von einzelnen Rubrikenlisten und Kapitelreihen bis zu urkundennahen Vollformen. Die Ausfertigung musste weder in der Kanzlei vorgenommen werden noch war die Unterschrift des Königs zwingend erforderlich. Viele Kapitularien, die anonym überliefert sind, deren Datierung zudem meist schwierig ist, lassen den Schluss zu, dass für die praktische Geltung die sachliche Authentizität und nicht die formale Korrektheit von Bedeutung war. Selbst Konzepte scheinen de facto Gültigkeit besessen zu haben.
Die Überlieferung ist dementsprechend problematisch. In der Regel sind Kapitularien als Einzelbestimmungen in anderen Texten oder als "Privatsammlungen" enthalten. (Besonders wichtig ist die Sammlung des Abtes Ansegis von St. Wandrille des Jahres 827.) Geistliche Herrscher hatten anscheinend ein großes Interesse an Kapitularien. Aus den Bistümern Paris, Reims und Salzburg sind viele Handschriften überliefert. Eine offizielle Aufzeichnung oder Archivierung am Hof fand hingegen nicht statt. (Es gab auch bischöfliche Kapitularien, die auf Synoden zusammengestellt wurden. Ihr Inhalt und Geltungsbereich waren stark begrenzt.)
Einige Fragen wurden und werden kontrovers diskutiert, so u.a. die Bedeutung der schriftlichen Fassung: War sie rechtsverbindlich oder nur die mündliche Verkündung (so Ganshof)? Neueren Erkenntnissen zufolge hatte aber auch die schriftliche Fassung nicht einen allein konstitutiven Charakter. Die Verbindlichkeit von Urkunden dürfte höher gewesen sein als die von Kapitularien, die wohl eher ein Maximalprogramm des Königs waren, das erst noch durchgesetzt werden musste. Bei der Auswertung problematisch sind die Datierung und die verkürzte und wenig eindeutige Sprache.