Quelleninterpretation

Quelleninterpretation und -kritik sind in der Regel abhängig vom eigenen Umfeld, d.h. die Gegebenheiten der eigenen Gegenwart wirken ebenso auf die Interpretation ein wie die eigene Fragestellung (oder der "Zweck" der Interpretation). Andererseits bedarf jede "Quelle" (auch dieser Begriff ist historisch entstanden) der Interpretation, selbst wenn im einzelnen der dafür notwendige Aufwand und methodische Apparat unterschiedlich sein wird.

Nach Gerhard Theuerkauf vollzieht sich eine Quelleninterpretation grundsätzlich zumindest in sechs Schritten (auch wenn dies nur Modellcharakter haben kann und die Interpretation im Einzelfall wieder durch den jeweiligen Rahmen, Quelle und Fragestellung bestimmt wird):

1.) die erste Annäherung an die Quelle

Die erste Untersuchung einer Quelle muss von äußeren Merkmalen ausgehen. Dazu zählen Aspekte wie die Sprache, der Kontext der Überlieferung (nur grob) und die Darstellungsweise; auch der Inhalt ist dabei in einem ersten Überblick einzubeziehen.

2.) die Analyse (im engeren Sinne)

Die anschließende Analyse fragt zum einen nach der Überlieferung, zum anderen nach der Aussage (für uns) sowie der Aussageform. In Bezug auf den konkreten Text geht es dabei um den größeren Zusammenhang, um eine Wiedergabe des Inhalts, um den "Wahrheitsanspruch", Rolle und Selbsteinordnung des Autors.

3.) die Synthese (Interpretation im engeren Sinne)

Für die eigentliche Interpretation einer Quelle muss diese als Ganzheit begriffen und in soziale, kulturelle und andere, weitere Zusammenhänge gestellt werden. Zu fragen ist also dafür nach der Einordnung der Quelle in Traditionen und Wirkungszusammenhänge sowie nach den in ihr widergespiegelten sozialen und kulturellen Beziehungen. Dabei werden Überlieferungszusammenhänge sowie die Zuordnung zu Quellengruppen und -sorten herausgearbeitet; es geht um Urheber und Rezipient(en), um die tatsächliche und mögliche Selbstreflexion des (zeitgenössischen und modernen) Historikers.

4.) die (eigentliche) Kritik

Nachdem so der Kontext der Quelle hergestellt ist, müssen ihre "Inhalte" und Informationen kritisch hinterfragt werden. Damit ergibt sich die Frage nach Tendenzen und Werturteilen, nach der Einbindung in Traditionen und Wirkzusammenhänge sowie in soziale und kulturelle Traditionen, die die Darstellung beeinflusst haben. Das Ergebnis hat grundlegenden Einfluss auf den weiteren Umgang mit der Quelle. So mag sie zwar zeitgenössische Ein- und Vorstellungen wiedergeben, doch könnten die behaupteten Sachverhalte aufgrund der Kritik als nicht mehr hinreichend gesichert erscheinen. Es geht somit letztendlich um "Glaubwürdigkeit" und Sicherheit der Überlieferung bzw. um die Frage, ob bewusste (oder unbewusste) Fälschung oder Verfälschung vorliegt.

5.) Vergleich mit anderen Quellen(sorten)

Um über diese "interne" Bewertung hinauszukommen, bedarf es des Vergleichs mit anderen Quellen, die über vergleichbare Phänomene berichten (könnten). Dabei ist zu bestimmen, inwieweit sich Parallelen oder Widersprüche zu Ereignisse und Grundtendenzen der interpretierten Quelle feststellen lassen. Damit kann dann eine Abstützung oder Relativierung der Aussagen der Quelle erfolgen.

6.) zusammenfassende Charakteristik der Quelle

Nachdem Interpretation und Kritik abgeschlossen sind, müssen die vorangegangenen Schritte noch einmal zusammengefasst werden, um zu abschließenden Ergebnissen zu kommen. Diese münden vielfach in weiterführende Fragen.