Lorenz Weinrich, Bearb./Übers.: Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, 32), Darmstadt 1977, S. 411-17.

Die Reichsstadt Lübeck, 1226, Juni
Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit, Friedrich II., von Gottes Gnaden Römischer Kaiser, allzeit Mehrer des Reiches, König von Jerusalem und Sizilien. Immer dann, wenn die Erhabenheit kaiserlicher Hoheit gegen ihre Untertanen und Getreuen die Hand ihrer Freigebigkeit ausstreckt und sie als verdiente Leute mit den Gaben angemessenen Entgeltes belohnt, festigt sie diese in der Beständigkeit reiner Treue und bindet deren Willen und den der anderen Getreuen noch stärker an den Gehorsam ihr gegenüber. Deswegen wollen Wir, es möge allen gegenwärtigen und zukünftigen Getreuen des Reiches folgendes kundgemacht werden: Die reine Treue und aufrichtige Ergebenheit vor Augen, die alle Lübecker Bürger, Unsere  Getreuen, gegen Unsere Hoheit, wie man weiß, so lobenswert hegen, - auch im besonderen Hinblick auf die recht bedeutenden und willkommenen Dienste, die sie Uns und dem Beich stets getreulich zu leisten bemüht waren und die sie Uns in Zukunft immer noch besser werden leisten können, schließlich in dem Willen, ihnen als verdienten Leuten in hochherziger Gebefreudigkeit entgegenzukommen - , überlassen Wir ihnen und setzen fest, die oben genannte Stadt Lübeck solle stets frei sein, d, h. sie solle eine unmittelbare Stadt, ein Ort des Beiches sein und unmittelbar der kaiserlichen Herrschaft unterstehen, wobei sie niemals von dieser unmittelbaren Herrschaft getrennt werden soll; ferner bestimmen Wir, daß immer dann, wenn zur Leitung dieser Stadt vom Reich ein Amtmann eingesetzt wird, zu diesem Amt nur jemand berufen werden soll, der aus den benachbarten und angrenzenden Orten dieser Stadt stammt, und zwar in der Weise, daß die Burg namens Travemünde von diesem Amtmann gleichfalls befehligt wird.
Ferner: in dem Willen, das Gebiet der Stadt unter Unserer glücklichen Herrschaft zu vergrößern und zu erweitern, fügen Wir ihrem Gebiet hinzu und gewähren, daß diese Stadt fortan folgendes Gebiet innehat: 1vom Bach Padelügge bis zur Trave, und vom Bach Padelügge aufwärts, entsprechend der dort festgelegten Grenze, bis zum Bach bei Krempelsdorf, dann bis zum Drogen Vorwerk und von dort bis zur Trave1.
Wir gewähren den genannten Bürgern auch, daß von keinem von ihnen in Oldesloe Zoll gefordert werden soll. Überdies gewähren Wir ihnen, daß sie in der Stadt eine Münze mit Unserem Namenszug herstellen und prägen dürfen, welche zeit des Lebens von Uns und von Heinrich, dem erlauchten Römischen König, Unserem hochgeliebten Sohn, gleicherweise gelten soll; und dafür sollen sie alljährlich an Unseren Hof sechzig Mark Silber abführen. Wenn dann aber in Zukunft ein neuer Nachfolger kommt, so soll unter gleichem Zins und gleichem Becht die Münze erneuert werden und während dessen Lebenszeit gültig sein; und in der Weise soll, so verordnen Wir, mit der Münze jeweils von Nachfolger zu Nachfolger wie oben angegeben verfahren werden. Obendrein verordnen Wir und gewähren ihnen, daß weder Wir noch einer Unserer kaiserlichen Nachfolger von ihnen Geiseln fordern darf; vielmehr soll man sich in der Bewahrung der Treue gegenüber dem Eeich mit deren bloßem Schwur begnügen und ihm Vertrauen entgegenbringen. Alle getreuen Kaufleute sollen außerdem, wenn sie um ihrer Geschäfte willen über Land oder zur See in die Stadt kommen, stets unbehelligt kommen und gefahrlos abreisen, wenn sie nur die gehörige Rechtsabgabe zahlen, zu der sie verpflichtet sind. Außerdem befreien Wir die genannten Lübecker Bürger, wenn sie nach England fahren, von der sehr mißbräuchlichen und belastenden Abgabe, die, wie es heißt, die Leute von Köln und Tiel2 und deren Genossen gegen sie ausgeheckt haben, und tilgen diesen Mißbrauch gänzlich; vielmehr sollen sie nach Eecht und Stand leben wie die Leute von Köln und Tiel und deren Genossen. Auch verleihen Wir ihnen die Insel gegenüber der Burg Travemünde namens Priwail zu künftigem Besitz nach Stadtrecht, dem sogenannten "Weichbild", Ferner wollen und bestimmen Wir, es möge streng beachtet werden, daß kein hoher oder niederer Geistlicher oder Laie sich irgendwann herausnimmt, eine Befestigung zu bauen oder eine Burg an der Trave, flußaufwärts von der Stadt bis zur Quelle des Flußes, und flußabwärts von der Stadt bis zum Meer, und auf beiden Ufern auf zwei Meilen; und ganz strikt verbieten Wir, daß irgendein auswärtiger Vogt sich herausnimmt,, innerhalb der Grenzen der Stadt die Vogtei auszuüben und Recht zu sprechen. Und weil Wir die Bürger in Zukunft vor allen schlimmen und ungebührlichen Auflagen schützen wollen, verbieten Wir streng, daß irgendwo im ganzen Herzogtum Sachsen die "Ungeld" genannte Abgabe von ihnen erhoben oder eingefordert wird. Außerdem soll sich kein Fürst, Herr oder Adliger der angrenzenden Landschaften herausnehmen, zu verhindern, daß das Lebensnotwendige von überallher in die Stadt Lübeck gebracht wird, sei es von Hamburg, von Ratzeburg, von Wittenburg3, von Schwerin oder auch aus dem ganzen Lande Borwins4 und seines Sohnes; und über diese Länder hinweg und in diesen Ländern darf jeder Lübecker Bürger, reich oder arm, ohne Behinderung kaufen und verkaufen. Weiter verbieten Wir streng, daß ein höherer oder niederer Geistlicher oder Laie irgend jemandem Geleit in diese Stadt gewährt, daß dieser sich dann nicht etwa vor Gericht zu verantworten brauchte, wenn einer ihn belangt. Wir wollen Überdies und befehlen nachdrücklich, daß, wann und wo im ganzen Reich diese Bürger in Zukunft einen Schiffbruch erleiden, ihnen all das, was sie von ihrer Habe aus solcher Gefahr retten können, ohne jede Behinderung und ohne Einspruch gänzlich überlassen wird, Wir verleihen ihnen ferner den Grund und Boden außerhalb von Travemünde, neben dem Hafen, wo man das Hafenzeichen hält; dabei geben Wir ihnen die Befugnis, den Grund und Boden frei zu Nutzen und Vorteil der Stadt Lübeck zu verwenden. Aus der Überfülle Unserer Gnade verleihen und bestätigen Wir ihnen für immer und ewig ihre Rechte, alle guten Bräuche und guten Gewohnheiten, die sie von den Zeiten Kaiser Friedrichs, Unseres Großvaters seligen Angedenkens, bis jetzt nachweislich besessen haben. Dabei setzen Wir fest und verfügen kraft dieser Urkunde nachdrücklich, daß kein niederer oder höherer Geistlicher oder Laie es wagen soll, die schon genannten Lübecker Bürger, Unsere Getreuen, in all dem oben Genannten in frevelhaftem Unterfangen zu behindern oder zu belästigen. Wer das wagen sollte, der wisse, daß er zur Strafe für seine Freveltat Unserer Ungnade und der Strafe von fünfhundert Pfund reinen Goldes verfällt, wovon die Hälfte Unserer Kammer, die andere Hälfte denen, die das Unrecht erlitten haben, zu zahlen ist.

Damit aber all dies stets rechtsgültig und unantastbar bleibe, haben Wir diese Urkunde anfertigen und mit dem Wachssiegel Unserer Hoheit versehen lassen. Zeugen dafür sind; die Erzbischöfe Albrecht von Magdeburg, Heinrich von Mailand und Lando von Reggio; die Bischöfe Rudolf von Chur zugleich Abt von St. Gallen, Engelhard von Zeitz, Heinrich von Basel, Heinrich von Worms, Konrad von Hildesheim, Jakob von Turin, Mainard von Imola und Alter* von Brescia; Hugo Abt von Murbach5, Heinrich Abt von Reichenau; Hermann Hochmeister des Deutschen Hauses St. Marien in Jerusalem, Ludwig Landgraf von Thüringen, Albrecht Herzog von Sachsen, Rainald6 Herzog von Spoleto, Siegfried Graf von Vianden, und recht viele andere. Handzeichen des Herrn Friedrich II., von Gottes Gnaden unüberwindlichster Römischer Kaiser allzeit Mehrer des Reiches, König von Jerusalem und Sizilien. Verhandelt wurde dies im Jahre der Geburt des Herrn 1226, im Monat Juni, in der 14, Indiktion, unter der Herrschaft unseres Herrn Friedrich II., von Gottes Gnaden unüberwindlichster Römischer Kaiser, allzeit Mehrer des Reiches, König von Jerusalem und Sizilien, im 6. Jahr seines Kaisertums, dem 1. Jahr seines Königreichs Jerusalem, aber dem 29. Jahre seines Königreichs Sizilien. Heil und Segen. Amen. Ausgefertigt zu Borgo San Donnino7; Jahr, Monat und Indiktion wie oben angegeben.

In nomine sancte et individue trinitatis. Fridericus secundus, divina favente clementia Romanorum imperator semper augustus, Jerusalem et Sicilie rex. Quociens imperialis excellentia maiestatis in subditos et fideles suos manus sue liberalitatis extendit et eos tamquam benemeritos condigne retributionis muneribus recompensat, tociens eos in constantia fidei pure corroborat et tarn ipsorum quam aliorum fidelium ad eius obsequia forcius obligat voluntates.Eapropter notum fieri volumus universis imperii fidelibus, tam presentibus quam futuris, quod nos habentes pre oculis fidem puram et devotionem sinceram, quam universi burgenses Lubicenses, fideles nostri, erga nostram habere celsitudinem laudabiliter dignoscuntur, diligentius etiam advertentes preclara satis et accepta servicia, que nobis et imperio fideliter semper exhibere curarunt et que inantea poterunt de bono in melius exhibere, volentes ipsos tamquam benemeritos liberali munifioentia prevenire, concedimus firmiter statuentes, ut predicta civitas Lubicensis libera semper sit, videlicet specialis civitas et locus imperii et ad dominium imperiale specialiter pertinens, nullo umquam tempore ab ipso speciali dominio separanda: statuentes etiam, ut quandocumque ad regimen civitatis eiusdem aliquis rector ab imperio statuetur, nulla ad hoc officium statuatur persona, nisi fuerit de convicinis locis et conterminis civitatis ipsius; ita quod castellum, quod Travenemunde dicitur, ab eodem rectore similiter gubernetur, Preterea terminos civitatis ipsius sub nostro felici tempore dilatare et ampliare volentes, concedimus et adicimus terminis eiusdem, ut teneat ipsa civitas amodo a rivo Padeluche usque in Travenam, et sursum a rivo Padeluche secundum terminos ibi distinctos usque in rivum Crempelstorpe, usque ad siccum allodium, et ab eodem usque in Travenam1. Concedimus etiam burgensibus supradictis, ut a nullo eorum aput Odislo theloneum exigatur. Concedimus insuper eis, ut in ipsa civitate monetam sub caractere nostri nominis facere et cudere debeant, que tempore vite nostre et Henrici Romanorum regis illustris, karissimi filii nostri, similiter perdurabit, et ob hoc singulis annis sexaginta marchas argenti nostre curie exhibebunt. Adveniente autem novo in posterum successore, sub eodem censu et iure moneta ipsa renovabitur vite sue tempore duratura; et sic de singulis in singulos successores nostros de moneta ipsa statuimus, ut predictum est, observari. Statuimus insuper et concedimus eis, ut nee nos, nee aliquis imperatorum successorum nostrorum ab eis obsides exigat; set fidelitate servanda imperio solo iuramento eorum stetur et fides adhibeatur.
Omnes insuper negociatores fideles, venientes ad civitatem ipsam sive per terram sive per aquam pro negociationibus suis, salvi semper veniant et secure recedant, dum modo solvant ius debitum, quod tenentur. Insuper burgenses Lubicenses predicti, euntes quandoque in Angliam, ab illo pravo abusu et exactionis onere, quod Colonienses et Thelenses2 et eorum socii contra ipsos invenisse dicuntur, omnino absolvimus, illum penitus delentes abusum; set illo iure et conditione utantur, quibus Colonienses et Thelenses et eorum socii uti noscuntur. Concedimus autem eis insulam, sytam contra castrum Trevenemunde, que Priwolc nominatur, iure civitatis decetero possidendam, quod wibelede dicitur. Volumus insuper et firmiter observari precipimus, ut nulla persona alta vel humilis, ecclesiastica vel secularis, presumat ullo tempore munitionem hedificare vel castrum iuxta flumen Travene, ab ipsa civitate superius usque ad ortum ipsius fluminis, et ab ipsa civitate inferius usque ad mare, et ex utraque parte usque ad miliaria duo; districtius inhibentes, ut nullus extraneus advocatus infra terminos civitatis eiusdem advocatiam regere vel iusticiam exercere presumat.
   Et quoniam burgensibus predictis ab omnibus pravis et indebitis exactionibus decetero volumus precavere, firmiter prohibemus, ne per totum ducatum Saxonie illa exactio, que ungelt dicitur, tollatur seu exigatur ab eis, Nullus preterea princeps, dominus seu nobilis adiacentium provintiarum impedire presumat, quominus necessaria undecumque ad civitatem Lubicensem ducantur, sive de Hamenburc, sive de Raceburc, sive de Winteburg3, sive de Zwerin, sive etiam de tota terra Buruwini4 et eius filii, et per easdem terras et in ipsis terris quilibet burgensis Lubicensis, tam dives quam pauper, absque inpedimento emat et vendat, Preterea firmiter inhibemus, ne aliqua persona magna vel parva, ecclesiastica vel secularis, persone alicui conductum prebeat in civitatem predictam, quin ipsa cuilibet in-petenti eam in iure debeat respondere. Volumus insuper et districte precipimus, ut quandocumque et ubicumque per imperium predicti burgenses naufragium decetero passi fuerint, quicquid de rebus suis tunc a tanto periculo eripere poterunt, eis penitus dimittatur, omni inpedimento et contraditione cessantibus. Concedimus insuper eis fundum extra Travenemunde, iuxta portum, ubi signum eiusdem portus habetur, dantes eis potestatem, ut fundo ipso libere utantur ad utilitatem et profectum predicte civitatis Lubicensis. De habundantiori quoque gracia nostra concedimus et confirmamus eis in perpetuum eorum iura et omnes bonos usus et bonas consuetudines, quibus tempore imperatoris Friderici, avi nostri felicis memorie, usque nunc usi fuisse noscuntur. Statuentes et presentis privilegii auctoritate firmiter iniungentes, ut nulla omnino persona parva vel magna, ecclesiastica vel secularis, iamdictos burgenses Lubicenses, fideles nostros, de suprascriptis omnibus ausu temerario impedire seu perturbare presumat. Quod qui presumpserit, in sue temeritatis vindictam indignationem nostram et penam quingentarum librarum auri puri se noverit incursurum, medietatem camere nostre, et aliam medietatem passis iniuriam persolvendam. Ut autem hec omnia rata semper et illibata permaneant, presens privilegium fieri et sigillo maiestatis nostre cereo iussimus communiri. Huius rei testes sunt; Albertus Magdeburgensis .. Mediolanensis et Lando Reginus archiepiscopi, .. Curensis et abbas sancti Galli, .. Cicensis, .. Basilliensis, .. Warmaciensis, .. Hildesemensis, Jacobus Taurinensis, Maynardus Ymolensis et A. Brixiensis episcopi, .. abbas Morbacensis5, .. abbas Augenensis, H. magister domus sancte Marie Theotonicorum in Jerusalem, L. langravius Thuringie, Albertus dux Saxonie, Renaldus6  dux Spoleti, comes Symfridus de Vienna et alii quamplures.
Signum domini Friderici secundi, dei gratia invictissimi Romanorum imperatoris semper augusti, Jerusalem et Sicilie regis. Acta sunt hec anno dominice incarnationis millesimo ducentesimo vicesimo sexto, mense iunii, quartedecime indictionis, imperante domino nostro Friderico secundo, dei gracia invictissimo Romanorum imperatore semper augusto, Jerusalem et Sicilie rege, imperii eius anno sexto, Jerusalem primo, regni vero Sicilie anno vicesimo nono, feliciter. Amen. Data aput Burgum sancti Domnini7, anno, mense et indictione prescriptis.


1-1 Linie 4 - 2 km südwestl. bis nördl. von Lübeck.
2Ort an der Waal westl. Nymwegen. 3 Südöstl. Ratzeburg.
4  Heinrich Borwin L, 1178-1227 Hz. v. Mecklenburg.
5 Abtei westl. Gebweiler im Elsaß; seit 1228 Reichsfürst.
6 Rainald v. Urslingen (Irslingen, nördl. Rottweil). Er entstammte wohl einem Ministerialengeschlecht. Sein Vater Konrad, von Barbarossa 1178 zum Gf. v. Assisi, 1183 zum Hz. v. Spoleto ernannt, unter Ks. Heinrich VI. Reichsverweser in Sizilien. Rainald wird 1228 Statthalter in Unteritalien, doch 1231 von Friedrich II. gefangengesetzt. Onkel von Ks. Friedrichs Sohn Enzio.
7 Zw. Piacenza u. Parma.