ARNOLD VON LÜBECK
Buch II, 21. Von der Belagerung Lubekes durch den Kaiser (1181).

Der Kaiser aber setzte über den Fluß und erschien vor Lübeck. Ihm eilte das Heer der Slawen und Holsteiner zu. Auch König Waldemar von Dänemark kam mit einer großen Flotte an die Mündung der Trave, und die Stadt wurde zu Wasser und zu Lande eingeschlossen. In derselben  befanden sich Graf Simon von Tekeneburg, Graf Bernhard von Aldenburg  und Graf Bernhard von Wilepe, nebst Markrad, dem Statthalter der Holsteiner, und Emeco von Holte mit einigen sehr tapferen Holsteinern und einer unzähligen Menge von Bürgern. König Waldemar aber erschien mit großem Gefolge vor dem Kaiser, und stellte sich demselben mit großem Prunk und Aufwande dar. Dann verlobte er auch seine Tochter mit einem Sohne des Kaisers, mit dem Herzoge von Schwaben nämlich, worauf das Ehegelöbnis beider Gatten durch feierlichen Eidschwur der Bischöfe bestätigt wurde.
Während der Belagerung befand sich der Bischof, Herr Heinrich, in der Stadt. Zu diesem kamen die Bürger und sagten: "Wir bitten euere Heiligkeit, hochwürdigster Vater, euch zum Herrn Kaiser hinaus zu begeben und ihm in unserem Namen zu sagen: "Herr, wir sind eure Knechte; wir sind bereit, euerer kaiserlichen Majestät zu gehorchen, allein was haben wir verbrochen, daß wir mit einer so heftigen Belagerung von euch heimgesucht werden? Diese Stadt haben wir bisher durch die freigebige Gnade unseres Herrn, des Herzogs Heinrich, in Besitz gehabt, und haben sie auch zu Ehren Gottes und als einen festen Hort des Christentums an diesem einstigen Orte der Schrecken und wüsten Einöde erbaut; an diesem Orte, wo, wie wir hoffen, jetzt eine Wohnung Gottes, vorher aber wegen des heidnischen  Irrglaubens ein Sitz des Satans war. Diese Stadt werden wir also euren Händen nicht überliefern, sondern die  Freiheit derselben mit Waffengewalt, so lange wir können, auf das ausdauerndste verteidigen. Darum aber bitten wir euere Erhabenheit, uns unter Gewährung der Sicherheit zu  erlauben, daß wir zu unserm Herrn, dem Herzog, uns begeben dürfen, um von ihm zu erfahren, was zu tun sei und wie wir für uns und unsere Stadt in dieser Not am besten sorgen. Wenn dieser uns dann Entsatz verspricht, so ist es recht, daß wir ihm die Stadt bewahren; wo nicht, so wollen wir tun, was euch gefällt. Wollt ihr das nicht, so wisst, dass wir lieber in der Verteidigung unserer Stadt ehrenvoll sterben, als die Treue brechend schmachvoll leben wollen."
So ging der Bischof zum Kaiser, und trug ihm dies sorgfältigst vor. Er ermahnte den Kaiser, er möchte doch, eingedenk der Verwandtschaft, in der er zum Herzoge stehe, und der Dienste, die er ihm oft und in hohem Grade geleistet habe, mit ihm, seinem Vetter, Geduld haben. Der Kaiser aber, der sich über die Ankunft des Herrn Bischofs freute, weil er ihn wegen seines guten Rufes schätzte und ihn gern hörte, antwortete ihm: "Wir sind über eure Ankunft sehr erfreut, vielgeliebter Bischof, und finden großes Wohlgefallen daran, euch zu sehen und mit euch zu reden. Dass aber eure Bürger uns Worte von Anmaßung entbieten lassen und unsere Stadt uns nicht freiwillig öffnen, das, glauben wir, wird weder euch, noch irgend einem, der bei gesundem Verstande ist, recht scheinen. Zwar bekennen wir, dass diese Stadt durch unsere freigebige Gnade eine Zeitlang unserem Vetter gehört hat; seitdem derselbe jedoch durch seine Hartnäckigkeit nach dem Beschlusse aller Fürsten des Reiches sich die öffentliche Acht zugezogen hat, gehört die Stadt mit vollem Rechte uns, da ja auch jeder Bischof seine Güter, die jener als beständige Lehen in Besitz hatte, wieder an sich genommen hat. Unsere Macht ist nun zwar jetzt groß genug, um den Lübeckern zu vergelten, was sie verdient haben; weil wir aber in Übung der Gerechtigkeit allen lieber Geduld als Strafe zu erweisen uns gedrungen fühlen, so sei es denn; wir wollen ihnen auch darin zu Willen sein, dass sie, wie sie es verlangen, zu ihrem Herrn gehen und mit ihm über ihre Lage sich besprechen mögen. Allein sie sollen wissen, dass sie, wenn sie nach ihrer Rückkehr uns die Stadt nicht öffnen, dann wegen dieses Verzuges eine um so schwerere Züchtigung zu gewärtigen haben. - Wenn ihr aber sagt, wir möchten doch Geduld haben mit unserm Vetter, dem Herzoge, so wisset, daß wir gegen ihn stets wunderbare Geduld und Milde geübt haben. Dadurch mit Hochmut erfüllt, hat er die Gnade, die er fand, für nichts geachtet, ja er hat selbst nicht einmal Gottes  überschwängliche Gnade gegen ihn erkannt, wie er sollte. Deshalb müsst ihr wissen, ist er von Gott gedemütigt; denn eines so übermächtigen Mannes Sturz ist nicht durch unsere Macht bewirkt, sondern vielmehr eine Vergeltung aus der Hand des allmächtigen Gottes."
Der Bischof also kehrte in die Stadt zurück und berichtete den Bürgern, was er gehört hatte. Diese nahmen unverzüglich das freie Geleit an und begaben sich nach Stade, wo der Herzog war. Der Kaiser aber sandte in Berücksichtigung der Kränklichkeit des Bischofs, der häufig an einem hitzigen Fieber litt, welches ihn auch sein ganzes Leben hindurch nicht  verließ, seinen Arzt zu demselben, um ihn durch seine Tränke von der Krankheit zu heilen. Einige Tage nachher aber kamen die Bürger mit dem Grafen Gunzelin zurück und überlieferten dem Kaiser auf Befehl des Herzogs die Stadt. Bevor sie ihm dieselbe jedoch öffneten, kamen sie zu ihm hinaus und baten ihn, doch die Freiheit, welche der Herzog ihnen einst verliehen habe, behalten und die Vorrechte, welche sie in Freibriefen aufgezeichnet besaßen, nach dem Soester Rechte, so wie die Grenzen ihres Gebietes, was Wiesen, Wälder und Flüsse anlange, unverkürzt und vom Kaiser kraft seiner Oberherrlichkeit in Gnaden bestätigt erhalten zu dürfen. Der Kaiser bewilligte ihr Gesuch und bestätigte nicht allein das Genannte, sondern er erklärte auch, dass es mit dem Anteile vom Zoll, welcher zum Unterhalte der Domherren in Lübeck und Ratzeburg vom Herzoge ausgesetzt war, bleiben solle wie bisher. Dem Grafen Adolf aber gab er die Hälfte von dem, was die ganze Stadt von Zöllen, Mühlen und den Wechselbänken eintrug, zu Lehen, teils weil er dem Reiche große Dienste geleistet hatte, teils weil er um des Kaisers willen eine Zeitlang vertrieben gewesen war. So hielt denn der Kaiser seinen Einzug in die Stadt und wurde mit Hymnen und Liedern zum Lobe Gottes unter dem Jubel der Geistlichkeit und des ganzen Volkes prächtig empfangen. Der Abt des Klosters der heiligen Mutter Gottes Maria und des heiligen Johannes des Evangelisten erschien vor ihm und empfing aus seinen Händen die Belehnung mit den Höfen, die er in der Stadt hatte, nebst einigen Äckern auf dem  Landgebiete dortselbst, durch Vermittlung des Bischofs Heinrich, der eben diese Höfe und Äcker aus eigenen Mitteln gekauft und sie der heiligen Mutter Gottes und Jungfrau Maria und dem heiligen Johannes dem Evangelisten zum Besten des Klosters dargebracht hatte.

Liber II, 21. De obsidione civitatis ab imperatore.

Imperator autem transito flumine venit Lubeke, et occurrit ei exercitus Sclavorum et Holtsatorum.  Waldemarus quoque rex Danorum cum multa classe venit ad ostium Travene, et obsessa est civitas terra marique. In civitate vero erant Simon comes de Tekeneburg et Bernardus comes de Aldenburg et equivocus eius comes de Wilepe cum Marcrado prefecto  Holzatorum et Emecone de Nemore cum quibusdam  Holzatis strenuissimis et multitudine infinita civium. Rex vero Waldemarus cum multo comitatu veniens in presentiam imperatoris, cum magna iactantia glorie sue ei se exhibuit et filiam suam filio ipsius, duci videlicet Suevie, desponsavit, et episcoporum iuramentis firmata sunt sacramenta coniugalia.
In ipso autem tempore obsidionis domnus Heinricus episcopus in civitate constitutus erat, quem adierunt burgenses dicentes: Rogamus sanctitatem tuam,  reverendissime patrum, ut ad domnum imperatorem  exeatis et ei verbis nostris dicatis: "Domine, servi vestri sumus, imperatorie maiestati vestre servire parati  sumus; sed quid commisimus, quod tanta obsidione a vobis conclusi sumus? Civitatem istam hactenus ex munificentia domini nostri Heinrici ducis possidemus, quam etiam ad honorem Dei et robur christianitatis in loco hoc horroris et vaste solitudinis edificavimus, in qua ut speramus nunc habitatio Dei, sed prius per  errorem gentilitatis sedes Sathane fuit. Hanc igitur in manus vestras non trademus, sed eius libertatem  viribus et armis, quantum possumus, constantissime  tuebimur. Hoc tamen rogamus apud magnificentiam  vestram, ut data occasione pacis, eamus ad dominum nostrum ducem, percunctaturi ab eo, quid sit   faciendum, qualiter vel nobis vel civitati nostre in presenti necessitate sit consulendum. Qui si liberationem nobis promiserit, iustum est, ut civitatem ei servemus; sin autem, quod placitum est in oculis vestris faciemus. Quod si facere nolueritis, sciatis, omnes nos pro  defensione civitatis nostre magis optare honeste mori, quam fidei violatores inhoneste vivere."
Episcopus ergo veniens ad imperatorem hec diligentissime  peroravit. Monuit etiam imperatorem, ut memor  consanguinitatis et servitii, quod sepius ei dux magnifice exhibuerat, patientiam haberet in nepotem suum ducem. Imperator vero, gaudens de adventu domni episcopi, quia pro fama bone opinionis eum diligebat et libenter audiebat, sic ait ad ipsum: Multum quidem gaudemus de adventu vestro, episcoporum  amantissime, et admodum gratum habemus vestro frui adspectu simul et colloquio. Sed quod cives vestri arrogantiam verborum nobis offerunt et quod civitatem nostram ultro nobis non aperiunt, credimus, quod nec vobis, nec alicui, qui sane mentis esse dinoscitur, iustum videatur. Fatemur quidem, hanc largitate nostre  munificentie quandoque nepotis nostri fuisse; sed ex quo ille propter suam contumaciam decreto omnium  principum publicam proscriptionem meruit, iustissime hec nostro possidetur titulo, cum etiam quivis pontificum sua receperit, que idem stabili tenuerat beneficio. Et nunc quidem valet manus nostra eis reddere, quod meruerunt. Sed quia nos censura iustitie omnibus  magis patientiam exhibere oportet quam vindictam, ecce in hoc etiam eis consentimus, ut, sicut postulant, eant ad dominum suum et cum eo de statu suo conferant, unum scientes, si in redeundo civitatem nobis non aperuerint, graviorem de hac mora sentient ultionem. Quod autem dicitis, ut patientiam habeamus nepotis nostri ducis, sciatis, quod mira patientia et multa  clementia erga illum semper usi fuimus. Unde in  superbiam elatus, gratiam quam invenerat in vacuum recepit, immo nec ipsam Dei gratiam circa se exuberantem,  ut debuit, recognovit. Quapropter sciatis eum a Deo humiliatum, quia tam prepotentis viri deiectio non nostre virtutis est operatio, sed magis Dei omnipotentis dispensatio.
Episcopus ergo reversus in civitatem, civibus que audierat nunciavit. Qui sine mora, accepto conductu, abierunt Stadium, ubi erat dux. Imperator vero  considerans invaletudinem episcopi, quia crebris  accendebatur febribus, quibus etiam usque in finem  laborabat, misit ad eum physicum suum, ut potionibus suis debilitati eius corporis subveniret. Post aliquot  autem dies burgenses reversi cum Gunzelino comite, ex precepto ducis civitatem in manu eius  tradiderunt. Verum priusquam ei civitatem aperuissent, exierunt ad eum rogantes, ut libertatem civitatis, quam a duce prius traditam habuerant, obtinerent et iustitias, quas in privilegiis scriptas habebant,  secundum iura Sosatie et terminos quos in pascuis, silvis, fluviis possederant ipsius auctoritate et munificentia possiderent. Imperator vero annuit petitioni eorum et non solum ista confirmavit, verum etiam  quicquid a duce de theloneo ad stipendia canonicorum in Lubeka vel in Racesburg deputatum fuerat ratum iudicavit; comiti autem Adolfo edietatem  tributorum totius civitatis de theloneis, de molendinis, de trapezetis in beneficio dedit, tum quia multum  imperio servierat, tum quia propter ipsum ad tempus exulaverat. Et ita ingrediens civitatem magnifice susceptus est cum hymnis et laudibus Dei,  tripudiante clero et omni populo. Abbas autem  monasterii sancte Dei genitricis Marie sanctique Iohannis ewangeliste, veniens in presentiam ipsius, suscepit de manu eius curtes quas in civitate habebat et agros quosdam in campo eiusdem civitatis, mediante domno Heinrico episcopo, qui easdem curtes et agros denariis suis emerat et beate Dei genitrici Marie sanctoque Ioanni ewangeliste in eodem monasterio optulerat.