Forschungsgeschichte und Forschungsstand

Jürgen Sarnowsky, Die ständische Kritik am Deutschen Orden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Das Preußenland als Forschungsaufgabe. Festschrift für Udo Arnold zum 60. Geburtstag, hrsg. B. Jähnig, G. Michels (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, 20), Lüneburg 2000, S. 403-22. (Signatur: hil 002 arn 1)

Die Bedeutung der Stände im späteren Mittelalter nahm in den Territorien des römisch-deutschen Reiches zu. In Preußen, was unter geistlicher Herrschaft stand und somit bis zur Mitte des 15. Jh. noch keinen Adelsstand besaß, setzten sich die Stände aus den städtischen Bürgern und den Vertretern der freien Landbewohner, den „Ritter[n] und Knechte[n]“ (S. 403) zusammen. Hierbei kam es zu Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Orden. 1440 gründeten die Stände den Preußischen Bund. Dieser wurde 1453 vom Kaiser verboten, was 1454 bis 1466 zum Dreizehnjährigen Krieg führte, bei dem sich die Stände dem polnischen König unterstellten.

Im Zuge der rechtlichen Auseinandersetzung vor dem Kaiser veröffentlichten die Stände 1453 die Orsachen des bundes, in denen sie Klagepunkte gegen den Orden, bis auf das Jahr 1410 zurückgehend, vorbrachten. In der Klageschrift werden u.a. den einzelnen Hochmeistern Ungerechtigkeiten vorgeworfen. So soll beispielsweise Paul von Rusdorf seine Zusagen, dass die Bürger freien Zugang zu Mühlen haben und das Mehl frei verkaufen könnten, nicht eingehalten haben Auch gegen andere Amtsträger wurden Beschwerden erhoben. Diese „reichen vom ungerechtfertigten Einzug von Gütern und von Gerichtsurteilen, die zum Abschlagen der Hände oder vielfach sogar zur Hinrichtung führten, über die Entführung von Jungfrauen und Übergriffe gegen Ehefrauen, bis hin zur gewaltsamen Unterdrückung von Appellationen, zu Mordplänen und Attentaten“ (405). Außerdem habe der Orden sich ungerechtfertig Besitz angeeignet, wie etwa Mühlen, Land und Güter, auch den Besitz von Verstorbenen, selbst wenn es noch lebende Verwandte gab. Des Weiteren habe er widerrechtlich Fischereirechte eingeschränkt, Abgaben zur Kriegsfinanzierung eingeführt und sie nach dessen Ende nicht wieder zurückgenommen. Der Orden habe auch Zollfreiheiten von Bürgern der Städte missachtet, Danziger Ratsherren ermordet und außenpolitische Entscheidungen ohne das Einbeziehen der Stände getroffen, wodurch sich diese in ihrer Ehre geschmälert sahen. Diese Aussagen sind selbstverständlich nicht objektiv und alle berechtigt, fest steht jedoch, dass „es zu zahlreichen Übergriffen von Amtsträgern des Ordens gekommen sein muss“ (406).

Die Kritik der Stände am Orden begann bereits vor 1410. Wichtiger Ausgangspunkt zum Vorbringen von Kritik waren die Huldigungstage für die Hochmeister, die wohl 1352 eingeführt worden waren. Auch die städtischen und ständischen Versammlungen boten die Möglichkeit, Kritik am Orden zu äußern, da bei ihnen auch Mitglieder des Ordens anwesend waren. Die erste „deutliche Kritik“ (407) am Orden wurde vermutlich erst 1388 von den Ständen geäußert. Hierbei wurden mehrere Punkte angesprochen. Zum einen ging es darum, dass die Amtsträger der Großschäffer Handelsverbote zum Wohle des Ordens umgingen. Dies betraf besonders die Ausfuhr von Getreide, für das der Orden immer wieder Ausnahmen erließ und sich diese „zumindest zeitweilig“ (409) sogar bezahlen ließ. Des Weiteren weigerte sich der Orden, den Pfundzoll an die Städte zu entrichten. Diese Beschwerden blieben auch in den folgenden Jahrzehnten aktuell. 1391 war wiederum die Getreideausfuhrpolitik Anlass zur Beschwerde. Der Orden hatte die Getreideausfuhr gestoppt, genehmigte aber wiederum Sondererlaubnisse für die eigenen Amtsträger. Auch bei der Eintreibung von Schulden war der Orden als erster Gläubiger auszuzahlen. 1402 sowie 1406 wurde die Vorzugsstellung der Amtsträger für Handelsgeschäfte und Schuldenregelung erneut beklagt, wie auch in der folgenden Zeit. So forderten die Stände 1450, „der Orden sollte sich für seine Handelsgeschäfte des weltlichen Rechts bedienen“ (409). Sarnowsky weist darauf hin, dass die Stände damit nicht ausdrücken wollten, wie es in der älteren Forschung behauptet wurde, dass die Stände den Handel des Ordens ablehnten und dass dieser somit ein wichtiger Auslöser für die Konflikte war. Sie wollten lediglich „bestimmte Erscheinungsformen und damit zugleich gewisse, aus ihrer Sicht negative Tendenzen des Ordenshandels [einschränken]“ (410). Paul von Rusdorf hatte zwar 1427 bestimmt, dass die Gebietiger nur Handel treiben sollten, wenn dies nicht zum Nachteil des Landes passierte, diese Bestimmung wurde jedoch nur unzureichend ausgeführt, wie die Beschwerden der Stände in den folgenden Jahren zeigen. Dabei waren die Stände sogar bereit, die beiden Großschäffereien auf Grund der schlechten Lage des Ordenshandels davon auszunehmen.

Neben die wirtschaftlichen Kritikpunkte am Deutschen Orden traten rechtliche und politische. 1408, 1411 und 1434 sprachen die Städte an, dass diejenigen, die im Landrecht unterlegen gewesen waren, sich an den Orden wandten und somit das Landrecht unterlaufen wurde. Außerdem erteilte der Orden Schuldnern unberechtigterweise Geleit. Während das Geleitrecht bis 1454 in den Händen des Ordens blieb, änderten sich die Klagen der Stände zum Gerichtswesen. Bedeutender wurde jetzt für die Stände 1440, 1442, 1444 und 1452, dass Klagen zwischen Laien vor einem geistlichen Gericht nicht mehr erlaubt werden sollten. Ebenfalls 1408 wurden zum ersten Mal Beschwerden über die Mühlen- und Fischereiregalien geäußert. Die Stände wollten, dass die Müller außer der Metze keinen zusätzlichen Mahlpfennig fordern sollten und die Ritter und Knechte forderten, dass ihre Fischereirechte nicht auf Grund der ihnen verliehenen Privilegien geschmälert werden sollten. Nachdem der Orden den Danzigern ihre Mühle nach einem Brand wiederaufgebaut hatte, verlangte er beispielsweise die doppelte Metze. Auch die Mühlmeister des Ordens und die anderen Müller des Landes hielten die Abgabenregeln nicht immer ein. Hinzu kam noch, dass die Bürger gezwungen waren, bestimmte Mühlen aufzusuchen. Deshalb forderten die Stände auch, diesen Mahlzwang abzuschaffen. 1440 schaffte Paul von Rusdorf zwar den Mahlpfennig ab, sein Nachfolger Konrad von Erlichshausen führte ihn aber wieder ein. 1411, 1414 und 1422 klagten die Stände über die hohen Abgaben der importierten Waren und Lebensmittel, das als Landeszoll erhobene Pfundgeld. Außerdem sollten die Gebietiger nicht Waren vor Marktöffnung zu billigen Preisen aufkaufen und niemanden dazu zwingen, ihnen ihre Waren abzukaufen. Des Weiteren sollten sie keine konkurrierenden Handwerksbetriebe aufmachen sondern sich nur auf die Versorgung ihrer Häuser konzentrieren. Ebenfalls sollten sie ihre Forderungen nicht mit Gewalt eintreiben. Besonders die Erhebung des Pfundzolls sorgte für große Proteste. Der Pfundzoll wurde von 1421 bis zum Dreizehnjährigen Krieg unter den einzelnen Hochmeistern auf Grund des Drucks der Stände wiederholt abgeschafft, nur um unter ihren Nachfolgern wieder eingeführt zu werden und stellte somit ein ständiges Streitthema dar. Das galt auch für das angeführte wirtschaftliche Gebaren der Gebietiger.

1411 forderten die Stände freie Wahlen der Schöffen, Richter, Ratsherren und Bürgermeister. Allerdings garantierte das den Städten zugrunde liegende Recht keine freien Wahlen. „Die Forderung nach freien Wahlen sollte wohl nicht dazu dienen, die verbrieften Rechte der Städte zu wahren, sondern mit ihrer Hilfe sollte vielmehr die langjährige Praxis weitgehender städtischer Selbstverwaltung gegen die Ansprüche des Ordens verteidigt und rechtlich abgesichert werden.“ (417) Aus diesem Grund war diese Forderung um 1440 obsolet geworden. Im Jahre 1411 bestanden aber offensichtlich auch schon Differenzen zwischen der Landesherrschaft und den Ständen. Die Stände sahen ihre Privilegien verletzt. Die „wichtigste und häufig wiederholte ständische Forderung, das ritter und knechte unde stete unde das gantcze land bi eren rechten bliben und privilegien, unde in keinerleye wys dor von nicht gedrungen werden. Da der Schutz der Untertanen und die Wahrung ihrer Rechte zum Kern mittelalterlicher Herrschaftsvorstellungen gehörten, kann es kaum verwundern, da[ss] kein Vertreter des Ordens darauf ablehnend reagierte.“ (417) Die Stände forderten in diesem Sinne im Laufe der Zeit immer neuere Dinge. So sollten Ritter und Knechte nur noch durch den Hochmeister in Haft genommen werden können. Außerdem sollte dieser für alle Urkunden verdeutlichen, nach welchem Recht sie verliehen wurden. Dies war für Erbfälle von Bedeutung. Es wurde ebenfalls verlangt, dass alle in ihren Rechten belassen würden. Die Stände versuchten jetzt selbst, die Entwicklung Preußens zu beeinflussen. Sie forderten 1430 einen gemeinsamen Rat, in dem auch Prälaten und Ordensbrüder vertreten waren. Daran war die Forderung geknüpft, dass der Hochmeister Auslegungsstreitigkeiten nur gemeinsam mit dem Rat entscheiden dürfte. Paul von Rusdorf lehnte zwar ab, gestand aber jährliche Tagfahrten zu, auf denen Klagen unter Beteiligung der Stände entschieden werden sollten. Da der Orden aber nicht zulassen wollte, dass die Stände eine Möglichkeit bekamen, Privilegien in ihrem Sinne durchzusetzen, wurde diese Forderung nur in den Zeiten von Rusdorfs umgesetzt. Außerdem waren die geistlichen Brüder nicht bereit, sich einer weltlichen Instanz zu beugen, weil es dem Prinzip einer eigenen geistlichen Gerichtsbarkeit zuwiderlief. Daher beschlossen die Stände 1439, ihre Rechte „bis czum ende einzufordern und sich notfalls ohne Zustimmung des Hochmeisters zu versammeln“ (419). Daraus resultierte 1440 der Preußische Bund, der die „Wahrung der ständischen Privilegien, Freiheiten und Rechte zum Ziel“ (420) hatte. Die vier Bischöfe Preußens versuchten, den Bund aufzulösen, weil er angeblich gegen göttliches Recht und Verfügungen von Papst und Kaiser verstoße. In der Folge kam es zu der Mission des Bischofs von Silves als päpstlicher Legat 1450-1451 und zu dem Prozess vor dem Kaiser 1452-1453.

Auf Grund der starken Stellung des Deutschen Ordens hatten die Stände in Preußen einen Rückstand in der Entwicklung ihrer Rechte gegenüber anderen Regionen Europas, „in denen der Landesherr seine Herrschaft erst mit Hilfe der Stände verdichten mu[ss]te“ (422). Die ersten rechtlich-politisch motivierten Klagen erfolgten erst um 1410. Seitdem versuchten die Stände kontinuierlich, ihre Rechte zu wahren und auszubauen. Dabei waren es trotz der wirtschaftlichen Differenzen besonders die rechtlich-politischen Konflikte, die zur Eskalation führten. Diese hätte jedoch verhindert werden können, wenn der Orden bereit gewesen wäre, die Bürger in die Verwaltung des Landes zu integrieren. „Die Aufkündigung des Gehorsams gegenüber dem Deutschen Orden markiert dann den Beginn einer erneuten Stärkung der ständischen Position, im königlichen Preußen wie in dem, dem Orden verbliebenen Gebiet.“ (422)