Forschungsgeschichte und Forschungsstand

Roman Czaja, Das Verhältnis der führenden Schichten der preußischen Großstädte zur Landesherrschaft in vergleichender Sicht im 14. und 15. Jahrhundert, in: Der Deutsche Orden in der Zeit der Kalmarer Union 1397-1521, hg. H. Z. Nowak, R. Czaja (Ordines Militares. Colloquia Torunensia Historica, 10), Torun 1999, S.75-89. (Signatur: hil 857 15)

Das Verhältnis der preußischen Städte zum Deutschen Orden erscheint im 14. Jahrhundert ambivalent. „Auf der einen Seite traten sehr deutlich die Bestrebungen des Patriziats nach größerer Selbstständigkeit und Handlungsfreiheit sowohl in den Städten als auch im Rahmen der Landesherrschaft auf. Auf der anderen Seite aber stellen wir auf vielen Ebenen ein Zusammengehen des Patriziats der preußischen Großstädte mit dem Landesherrn fest.“ (76) Bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts musste der Orden auf Grund der wirtschaftlichen Macht der Städte ihre Interessen berücksichtigen. So unterstützte er sie in hansischen Angelegenheiten und richtete auch seine Münzpolitik bis 1410 nach den Fernhandelsinteressen der Städte aus. Er stärkte die städtische Kaufmannsoberschicht gegen die Bürgerschaft und sorgte für die Niederpfründenhoheit sowie die Verwaltung des Kirchenvermögens durch die Stadträte.

Nach der Herausbildung eines städtischen Patriziats aus der breiten Kaufmannsschicht im 14. Jahrhundert begann dieses, nach mehr Autonomie von der Landesherrschaft zu streben. Bis zum Ende des Jahrhunderts verlor der Orden sein Bestätigungsrecht der neu gewählten Stadträte, weshalb er seine Anhänger nicht mehr in das Patriziat heben konnte. Auch beim Erlass von Willküren setzte sich eine größere Selbstständigkeit durch sowohl bei denen, die in Kooperation mit dem Deutschen Orden erlassen wurden, als auch bei denen, die Städte alleine akzeptierten. In der Gerichtsbarkeit erlangten die Städte ebenfalls bis zum Ende des 14. Jahrhunderts eine größere Autonomie. Ihnen oblagen die niedere und die höhere Gerichtsbarkeit sowohl in den Städten als auch in dem ihnen zugehörigen Umland. Das Begnadigungsrecht des Ordens bei Todesstrafen wurde nicht mehr beachtet.

Die Städte versuchten, ihre Privilegien weiter auszubauen und dafür günstige Bedingungen zu nutzen. Nach der Niederlage von Tannenberg versuchten die Städte beispielsweise, von dem polnischen König das Patronats- und Münzrecht zu bekommen. Der Orden hingegen brauchte, um dem entgegenzuwirken, eine Anhängerschaft in dem Patriziat der Städte. Unter anderem auch dafür pflegte der Orden gute Handelsbeziehungen zu den städtischen Kaufleuten. Die mit dem oder für den Orden handelnden Kaufleute gehörten aber nur punktuell und nicht großflächig zum Patriziat der Städte.

Ab 1410 befand sich der Orden in einer wirtschaftlichen Krise, was das Kräfteverhältnis zu Gunsten der städtischen Oberschicht verschob. Dieser versuchte die Autonomie der Städte zu begrenzen und seine Amtsträger mischten sich immer wieder in die Angelegenheiten der Städte ein und verletzten deren Privilegien. Es gelang dem Orden auf lange Sicht nicht mehr, die Besetzung der Räte in seinem Sinne zu beeinflussen. Die Städte selbst strebten stärker nach Autonomie und verstärkten ihr Rechtsbewusstsein. Dies zeigt auch ihre Argumentation gegen den von dem Orden erhobene Pfundzoll. Wurde erst nur die Verletzung hansischer Rechte durch den Pfundzoll beklagt, ging man ab 1437 dazu über, ihn als einen Verstoß der Kulmer Handfeste zu betrachten.

Die Städte wollten jetzt nicht nur ihre eigene Unabhängigkeit, sondern auch Mitwirkungsrecht bei politischen Entscheidungen, bei landesweiten und hansischen Angelegenheiten sowie der Außenpolitik. Dies verdeutlichen auch die radikaleren Forderungen den Ordenshandel betreffend. Beschwerten die Städte sich vor 1410 lediglich gegen die ungerechte Verteilung von Konzessionen und gegen die Ausweitung der Privilegien der Ordensbeamten auf deren Lieger und Diener, wurde ab 1411 gefordert, dass nur noch die Großschäffer Handel treiben sollten und das nur noch zur Versorgung der Ordenskonvente. Handel mit fremden Gütern oder der Verkauf von Gütern durch die lokalen Amtsträger des Ordens wollten sie nicht mehr zulassen.

Vor 1410 zeigte sich folglich bereits ein Streben der Städte nach größerer Autonomie, ihre wirtschaftlichen Interessen wurden aber von dem Orden unterstützt und es herrschte keine Absicht, sich der Oberhoheit des Ordens zu entledigen. Die Städte erreichten in den Bereichen Gerichtsbarkeit und Stadtregiment bedeutende Selbstständigkeit. „Der Vermehrung der Spannungen zwischen dem Orden und den preußischen Großstädten nach 1410 lagen weniger die Eingriffe des Landesherrn in die städtische Selbstständigkeit – mit Ausnahme der Regierungszeit Heinrich von Plauen –, sondern die wachsenden Ansprüche der städtischen Führungsschicht auf politische Autonomie zugrunde.“(84) Dies war zu jener Zeit jedoch keine „preußische Besonderheit“ (84).