Forschungsgeschichte und Forschungsstand

Hartmut Boockmann, Ostpreußen und Westpreußen (Deutsche Geschichte im Osten Europas), Berlin 1992, S. 34-74.

Im ausgehenden 18. Jh. war der Deutsche Orden besonders schlecht angesehen, weil er in den Augen der Zeitgenossen, „ein unschuldiges Naturvolk vergewaltigt“ (S. 34) hatte. Diese Einstellung wurde in ‚Preußens ältere Geschichte’ von August von Kotzebue und in der ‚Geschichte Preußens’ von Ludwig von Baczko deutlich. Anfang des 19. Jh. war jedoch durch die französische Revolution ein neues Nationalbewusstsein entstanden. Durch die Herrschaft Napoleons war daraus ein „aggressiver Nationalismus“ (35) geworden. Ein einheitlicher Deutscher Staat wurde angestrebt. Dies führte dazu, dass sich die Wahrnehmung des Deutschen Orden grundlegend wandelte. Auf einmal wurde er nicht mehr als Gegner der eigenen Vorfahren verstanden (bezogen auf den Ständeaufstand von 1454 und den Staatsstreich von 1525), sondern wurde selbst als Vorfahr angesehen und als Teil der Geschichte des Vaterlandes. „Aus der finsteren Kampfgenossenschaft von katholischen Fanatikern, als welche den Aufklärern der Orden erschienen war, aus dem Unterdrücker der eigenen Vorfahren, als den man ihn jahrhundertelang in Preußen verstanden hatte, wurde nun ein Repräsentant vaterländischer Größe und eine Gemeinschaft, die nach einer Idee lebte und damit etwas grundsätzlich anderes verkörperte als jenes monarchische Prinzip, das sich jetzt gegen die Hoffnungen auf einen Verfassungsstaat stellte.“ (36) Hiervon profitierten auch die Burgen des Ordens, welche, nachdem sie vorher von verschiedenen Künstlern gemalt worden waren, wieder ins Bild der Öffentlichkeit rückten und erhalten wurden. Ursprünglich hatten sie zweckentfremdet und umgebaut werden sollen. 1827 bis 1839 veröffentlichte Johannes Voigt, Archivar in Königsberg, neun Bände über die Geschichte Preußens seit Ankunft des Deutschen Ordens bis zu dessen Ende 1525. Hierzu zog er Tausende von Archivalien des Königsberger Archivs heran, was dadurch zu belegen ist, dass diese Anmerkungen in seiner Handschrift enthalten. Diese umfangreiche Darstellung ist zwar in großen Teilen überholt, aber noch durch keine jüngere ersetzt worden. Da ihm nur die Urkunden des Deutschen Ordens und Aktenstücke der mittelalterlichen Kanonisten vorlagen, an denen Voigt sich eng orientierte, gebe es, nach Voigt selbst, „nur Eine Stimme des Lobes und der Verherrlichung“ (39). Dies lag auch an der Ermangelung einer litauischen Historiographie. Voigt relativiert die Aussage der Archivalien, indem er sagt, dass es nach den Maßstäben seiner Zeit bedenklich erscheine, dem Hochmeister „als dem Leiter und Urheber des Hinschlachtens so vieler Tausende [...] den Lob und den Ruhm zu zollen, den frühere Geschlechter über ihn ausgesprochen haben“. (41) Im Gegensatz zu den Aufklärern, die auch diesen Ansatz verfolgten, relativiert Voigt seine Aussage aber dadurch, dass er sagt, dass man in der damaligen Zeit ganz anders gedacht habe und man somit das eigene Urteil relativieren müsse. Vergangenes sei damit laut Voigt auf der Grundlage der damaligen Maßstäbe zu beurteilen.

1862 publizierte Heinrich von Treitschke „-gesinnungsstark, aber kenntnisarm-“ (34) einen Essay über die Geschichte des mittelalterlichen Deutschordensstaates, der sachlich von geringem Wert und überdies noch äußerst fehlerhaft ist. „Man hat in dem Essay Treitschkes ein drastisches Beispiel dafür, dass zwischen der Qualität und der Wirksamkeit eines Historikertextes eine beträchtliche Diskrepanz bestehen kann. Kein anderer Text hat die Vorstellungen von der mittelalterlichen Geschichte Preußens ein Jahrhundert lang so geprägt wie diese Arbeit.“ (41) Treitschke, ein ausgemachter Feind der Slaven, seit 1874 Professor für Geschichte in Berlin und rechter Abgeordneter im Parlament, war für einen Nationalstaat und „der Inbegriff eines politischen Professors“ (42). Der Essay Treitschkes über den deutschen Orden war anlässlich des Erscheinens des ersten Bandes der Quellenedition der ‚Scriptores rerum Prussicarum’ geschrieben worden, wobei Treitschke den Inhalt der Edition gar nicht berücksichtigte. In seinem Essay lobte er die „aggressive Kraft und herrische gemüthlose Härte“ (42), die auch den Deutschen zu seiner Zeit gut zu Gemüte stünde, um den „widernatürlichen Zustand, dass Slaven über Deutsche herrschten“ (42), welcher eine akute Gefahr darstelle, gar nicht erst eintreten zu lassen. Die überlegenen Deutschen seien von Natur aus dazu bestimmt, die unterlegenen Völker im Osten zu deren eigenem Vorteil zu beherrschen. Im Gegensatz zu Voigt, einem gewissenhaften aber nicht unbedingt fesselnd schreibenden Historiker, kam es dem schriftstellerisch talentierten Treitschke auf die Wirkung auf ein breites Publikum an. In den kommenden Jahren wurde Treitschkes Essay immer wieder neu gedruckt und verbreitet, auch weil der Nationalismus, dem Treitschke zu seiner Zeit in dieser Intensität noch voraus war, weiter zunahm. „Treitschkes Urteile [wurden] immer aktueller.“ (43) Aber auch zur Zeit Treitschkes beschäftigte man sich gelehrt mit dem Deutschen Orden. Die fünf Bände der ‚Scriptores rerum Prussicarum’ wurden von Theodor Hirsch, Ernst Strehlke und Max Toeppen bearbeitet. Toeppen brachte anschließend mit den ‚Acten der Ständetage Preußens unter der Herrschaft des Deutschen Ordens’ ein weiteres bedeutendes Quellenwerk heraus, welches es in anderen deutschen Territorien in diesem Ausmaß nicht gab. Bis zum Ende des 19. Jh. wurden auch noch die preußischen Archivalien bis zum 16. Jh. bearbeitet. Das ‚Preußische Urkundenbuch’ und die Urkundenbücher der Bistümer wurden herausgebracht.

Die polnische Auseinandersetzung mit dem Deutschen Orden begann als Antwort auf die vom Nationalismus geprägten deutschen Interpretationen der Vergangenheit. Der katholische kaschubische Kleinadlige Adalbert von Winkler, nahm die polnische Nationalität an und übersetzte seinen Namen ins Polnische: Wojciech Ketrzynski. Er untersuchte alle Urkunden des Deutschen Ordens aus den 20er und 30er Jahren des 13. Jh. auf ihre Echtheit. Bereits 1875 hatte Max Perlbach die Gründungsurkunden des Deutschen Ordens in Preußen untersucht und angebliche Ungereimtheiten entdeckt. Ketrzynski ging soweit, so gut wie alle Urkunden aus der Gründungszeit in Preußen als Fälschungen zu deklarieren. Die Urkundenkritik wurde jetzt in der Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Polen verwendet. Fast bis zur heutigen Zeit wurde die Geschichtswissenschaft für diesen Streit instrumentalisiert. Die deutschen Autoren verteidigten die Echtheit der Urkunden, die polnischen pochten darauf, dass es sich um Fälschungen handelt. Ketrzynski selbst versuchte mit der Kriminalisierung des Ordens einen Beitrag dazu zu leisten, damit Ostpreußen wieder in Polen eingegliedert werden würde. Die deutschen Autoren hingegen wollten nicht, dass auf der Herrschaft der Deutschen über Ostpreußen ein Makel bestünde. Deshalb wurde die für moderne Grenzen unwichtige Frage, ob die Gründungsurkunden des Deutschordensgebietes in Preußen gefälscht waren, für fast ein Jahrhundert lang zum äußerst wichtigen Thema. Die Ergebnisse der Historiker wurden durch zahlreiche Medien in beiden Nationen propagiert. Während die Geschichte des Ordens es nicht in die bedeutende deutsche Literatur schaffte, publizierte mit Henryk Sienkiewicz 1900 ein weltbedeutender Autor einen Roman über die Schlacht zu Tannenberg: ‚Kryzacy’ (Die Kreuzritter). Dieses Werk wurde ein großer Erfolg, spannend geschrieben erklärt es die Schlacht zum „nationalen Schicksal“ (53). „Und nicht nur der verräterische Kreuzritterorden lag jetzt zu Füßen des Königs, sondern die ganze deutsche Macht, die bis jetzt die unglücklichen slavischen Länder überflutet, zerbrach an diesem Erlösungstage an polnischen Brüsten.“ (54)

Nach dem Friedensvertrag von Versailles fiel fast das gesamte Westpreußen an Polen. Der Kampf der Historiker auf beiden Seiten, die sich vielfach ohne Bedenken instrumentalisieren ließen, uferte jetzt auf ganz neue Gebiete aus, wie etwa die alten Siedlungsverhältnisse. Dies ging so weit, dass den beiden Seiten von Publikationsstellen der Staatsarchive vorgeschrieben wurde, was sie zu schreiben hatten. Die Nationalsozialisten stellten Parallelen zwischen sich und dem Deutschen Orden her und versuchten, ihn als Vorbild zu pervertieren. Nicht alle Historiker ließen sich vor den Karren der nationalen Interessen ihres Landes spannen, dennoch gab es immer wieder Berührungspunkte. Auf polnischer Seite veröffentlichten Kazimierz Tymieniecki und Henryk Lowmianski Monographien zum Deutschen Orden, Karol Gorski schrieb 1938 ein Buch über das Gebiet des Deutschen Ordens. Auf deutscher Seite wurde Königsberg, nach der räumlichen Trennung vom übrigen Deutschland, besonders gefördert. Dies führte zu einer eingehenderen Beschäftigung mit der Landeskunde. So veröffentlichte Erich Caspar 1924 das Werk ‚Hermann von Salza und die Gründung des Deutschordensstaates in Preußen’. Dieses Buch, welches sich mit grundsätzlichen Verfassungsproblemen beschäftigt, ist noch heute das wichtigste zu diesem Thema. 1935 publizierte Hans Rothfels eine Monographie mit dem Titel ‚Ostraum, Preußentum und Reichsgedanke’, in welchem er behauptet, dass die Ordensritter ursprünglichen germanischen Siedlungsraum betraten. Rothfels, ein Jude, musste dies zu seinem Schutz schreiben, bevor er 1939 in die USA fliehen konnte. 1939 veröffentlichte Theodor Schieder seine Habilitation ‚Deutscher Geist und ständische Freiheit im Weichsellande’, in welcher es um die politischen Auffassungen der 1466 polnisch gewordenen Gebiete im Ordensland ging. Beachtlich ist, dass er die Geschichte dieser Region nicht, wie es Erich Keyser vor ihm noch getan hatte, nationalistisch propagierte und dass sein Werk auch heute noch von wissenschaftlicher Bedeutung ist. Zur Rechtsgeschichte des Ordens äußerte sich Guido Kirsch, der auch nach seiner Auswanderung weiter zu diesem Thema publizierte. Ein ebenfalls bedeutender Historiker der Zeit, der zu dem Deutschen Orden veröffentlichte, war Erich Maschke. Er hatte, was damals die Ausnahme darstellte, polnisch gelernt und den Kontakt zu den polnischen Kollegen gesucht. Seine Publikationen, obwohl die im Nationalsozialismus erschienenen Werke „zeitbedingte Formulierungen“ (63) enthalten, gehören laut Boockmann zu den besten, die im 20. Jh. über den Orden geschrieben wurden.

Nach 1945 machte die polnische Geschichtswissenschaft so weiter wie vor dem 2. Weltkrieg. Jetzt ging es zwar nicht mehr darum dem polnischen Staat mehr Land zuzuführen, jedoch hatte man das Bedürfnis, die jetzt neu gewonnenen Gebiete historisch zu legitimieren. Hierbei tat sich nach 1945 besonders Karol Gorski hervor. Der Deutsche Orden wurde zu einer „bescheidenen Hilfstruppe eines polnischen Fürsten“ (68) degradiert, die dieser gar nicht wirklich benötigt habe, von der er anschließend betrogen worden sei. Durch die sowjetische Besatzung wurde die deutsche Vorherrschaft nun durch eine sowjetische ersetzt, die von den Polen ebenso verabscheut wurde. Deshalb wurde der polnische Nationalismus in der Geschichtswissenschaft nicht durch den Marxismus abgeschwächt. In Polen ging man weiterhin davon aus, dass Deutschland die neuen Grenzen nicht anerkennen würde und man sie auch weiterhin geschichtlich verteidigen müsste. In Deutschland wurde 1950 der Herder-Rat gegründet, der eine ‚Zeitschrift für Ostforschung’ herausgibt sowie historische Kommissionen finanziert und koordiniert, die an den Themen ostdeutscher Länder arbeiten. Erster Präsident des Herder-Rates wurde Hermann Aubin, der ein Programm verfasste, nach welchem der Rat vorzugehen hatte. Aber anstelle einer objektiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema, wurde nun die Rolle der Deutschen als Verteidiger des westlichen Europas vor dem gesamten Osten Europas propagiert. Dem schloss sich auch Walther Hubatsch 1953 mit seiner Studie ‚Eckpfeiler Europas’ zur Geschichte der preußischen Gebiete an. Dies war das traditionelle deutsch-nationale Programm, jetzt allerdings „europäisch eingefärbt“ (71). Hier zeigte sich das Gedankengut derjenigen, die noch vor dem Anfang des 20. Jh. geboren worden waren. Aubin selbst nannte die Mitglieder des Herder-Rates die „Schar der Ungebrochenen“ (71). Diese hatten ihre Prägung im Volkstumskampf erfahren und mit dem Nationalsozialismus, trotz Übereinstimmungen, Probleme gehabt. Nach 1945 herrschte bei ihnen das Gefühl vor, nicht mit verantwortlich zu sein und sie glaubten, mit diesem Forschungsansatz wieder an den vor 1933 anzuknüpfen. Tatsächlich wurde aber da angesetzt, wo die Forschung durch die Niederlage im zweiten Weltkrieg unterbrochen worden war. Nachdem Walter Schlesinger in einem Vortrag auf einer Sitzung des Herder-Rates laut Boockmann darauf hinwies, dass man „in den Traditionen einer politisch präformierten Wissenschaft verharrte, also letztlich unfrei sei“ (72), tätigte Johannes Papritz die, für das Gedankengut der „Schar der Ungebrochenen“, bezeichnende Äußerung, dass man als Historiker nicht alles publizieren dürfte, was man herausfände, sondern sich vielmehr fragen müsse, ob die Publikation dem Volk nütze. Die Angehörigen der nachfolgenden Generation verhielten sich in ihrer Forschung nicht so programmatisch. Dies wurde auch dadurch begünstigt, dass Mitte der sechziger Jahre das Reisen vom Westen in den Osten ermöglicht wurde. In der anderen Richtung waren Besuche schon vorher erlaubt gewesen. Polnische Wissenschaftler hatten sich schon vorher deutscher Archive bedienen können. Der nun mögliche direkte Gedankenaustausch stieß auf beiderseitiges großes Interesse. Eine weitere Erleichterung brachte 1970 der Abschluss des Grenzvertrages, wodurch den polnischen Historikern der Druck genommen wurde, die Grenzen verteidigen zu müssen. Die danach folgenden Schulbuchgespräche zeigten, dass die Historiker sich untereinander einfacher verständigen konnten, als es angenommen worden war.

In den letzten vier Jahrzehnten hat die Erforschung Preußens große Fortschritte gemacht. Die alten Editionen wurden weiter geführt und neue gestartet. Hinzu kommen auch viele Monographien. Gesamtdarstellungen gibt es allerdings nur von polnischen Historikern. Beide Seiten sind sich einig, dass sie für die weitere Erforschung die gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit benötigten. „Die deutschen Historiker brauchen die Hilfe derer, die im Lande tätig sind. Die polnischen Historiker aber sind auf ihre deutschen Kollegen angewiesen, weil es sich hier um die Geschichte von Ländern handelt, die jahrhundertelang in die deutsche Geschichte eingebunden waren.“ (74)

Anmerkung von Beck: Besonders hervorzuheben, als fruchtbare Zusammenarbeit zwischen polnischen und deutschen Historikern, ist hierbei die Reihe der publizierten Sammelbände ‚Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica’ zu den regelmäßig stattfindenden Kolloquien an der Universität Torun, an denen bedeutende Historiker beider Nationen teilnehmen. Herausgegeben werden sie von Hubert Zenon Nowak in Zusammenarbeit mit Jürgen Sarnowsky und Roman Czaja.