See- und Schiffrecht

Bearbeitet von Daniela Bach

Einleitung

(Für diesen Abschnitt stütze ich mich überwiegend auf O’Sullivan.)

Handel über den Seeweg wurde schon seit der Frühzeit betrieben und gehört somit zu den „ältesten Erwerbszweigen der Menschheit“ (O’Sullivan, 5). Im Mittelalter wuchs die Bedeutung des Seewegs für den Handel, und von dieser Regel machte der Nord- und Ostseeraum keine Ausnahme. Als Folge davon wurde die Schifffahrt für viele Hansestädte, darunter auch Hamburg, einer der entscheidenden Faktoren des wirtschaftlichen Aufstiegs. Andererseits war die Schifffahrt auch immer mit besonderen Anforderungen und Gefahren verbunden. Die Gefahren gingen vor allem von zwei Quellen aus: Naturgewalten und Menschenhand. Unwetter, Hunger und Durst, aber auch generell die Schwierigkeit der Navigation mit wenigen Hilfsmitteln bedrohten oft Leib und Leben. Aber auch die menschengemachten Risiken dürfen nicht unterschätzt werden: Kollisionen, Piratenüberfälle, Kriege, Übergriffe fremder Landes- oder Stadtherren (1), sprachliche und kulturelle Hindernisse bei internationalen Mannschaften und Aufruhr in der Besatzung waren nicht weniger bedrohlich als die Naturgewalten. Natürlich kombinierten sich oft mehrere Gefahrenquellen und verschärften sich so oft gegenseitig.
Zu den genannten Gefahren kommen weitere Faktoren, die für die Seefahrt spezifisch sind: Die Arbeitsbedingungen sind hart (das gilt natürlich auch noch für viele andere Berufsfelder) und die lange Zeit der Isolation zeichnet sich unter anderem durch das Fehlen einer schnell erreichbaren Rechtsinstanz aus. Aus all diesen Gründen wurde der Zusammenhalt der Seefahrergemeinschaft wichtig, aber es kam auch leicht zu Spannungen, wobei besonders die später immer stärkere Unterordnung der Mannschaft unter den Schiffsführer (s. Verhältnis der an der Schifffahrt beteiligten Personen) zum Auslöser von Unmut werden konnte.

Daraus folgt, dass „[z]um Erhalt der Ordnung an Bord und zur Sicherung der erfolgreichen Durchführung der Seereisen […] die Entwicklung fester Regeln für das Verhalten der am Seefahrtsunternehmen Beteiligten unerläßlich“ war (O’Sullivan, 2). Zunächst entwickelte sich ein mündlich weitergegebenes Gewohnheitsrecht, das seit dem 13. Jahrhundert aufgrund der hohen Seefahrtsaktivität schriftlich fixiert wurde. Die ersten Seerechte waren „partikulare Seerechte“, die nur regional galten. Diese verbreiteten sich jedoch mit den Handelsgütern überregional und beeinflussten sich gegenseitig, sodass es zu immer stärkeren Verflechtungen der einzelnen Seerechte und der Entstehung eines „gemeinen Seerechts“ kam. Die früheste Quelle von Seerechtssätzen sind die Rôles d'Oléron, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aufgeschrieben und später in der Vonnisse van Damme und der niederländischen Ordinancie übernommen und ergänzt wurden. Eine Kombination aus Vonnisse und Ordinancie, ergänzt um einige lübische Seerechtsartikel, wurde im 15. Jahrhundert zum „Waterrecht bi der zee“ und erlangte hanseweit Bedeutung. Spätestens seit der Übernahme dieser Regeln nach Gotland ins Wisbysche Waterrecht; wurde dieses zum gemeinen Seerecht, das zum Teil bis ins frühe 19. Jahrhundert noch vor den Gerichten Anwendung fand.
Inhaltlich dominierten bei den mittelalterlichen Seerechten noch privatrechtliche Bestimmungen, die Fragen nach der freien Nutzung der Meere oder kriegsrechtlichen Regelungen kamen erst im 16. Jahrhundert auf, als die Nationalstaaten auch nach der Seeherrschaft strebten. (Vgl. Sprandel, 387) Anzumerken ist noch, dass die sich ständig wandelnden technischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen die niedergeschriebenen Gesetze oft überholten, sodass sich neues Gewohnheitsrecht herausbildete, vor dem das geschriebene Gesetz nicht zwangsweise Vorrang hatte.

Verhältnis der an der Schifffahrt beteiligten Personen

Lange Zeit war es üblich, dass Händler ihre Waren auf ihnen gehörenden Schiffen selbst beförderten und zu ihrer Unterstützung frei eine Mannschaft anheuerten. Weil diese Art des Handels sehr teuer und gefährlich war, bildeten sich Gemeinschaften, die gemeinsam das Kapital stellten, sich Risiken und Gewinne teilten und zusammen Beschlüsse fassten.
Um weiteres Kapital zu erhalten, wurden zusätzlich so genannte Befrachter (mnd. „vruchtlude“) aufgenommen, d.h. Kaufleute, die das Schiff oder Teile davon für den Transport ihrer Waren und ihrer selbst mieteten. Später mieteten die Befrachter nicht mehr das Schiff, sondern schlossen nur noch einen Frachtvertrag ab. Sie hatten damit kein Mitspracherecht mehr (höchstens in Notfällen) und begleiteten ihre Waren schließlich auch oft nicht mehr selbst.
Im Laufe der Zeit nahm die Zahl der Reeder (Schiffseigner), d.h. der Personen, die Anteil an einem Schiff hatten, ab, bis es üblich war, dass nur noch ein oder zwei Personen das Eigentumsrecht an einem Schiff hatten. Im nordeuropäischen Raum fuhr einer dieser Reeder immer als Schiffsführer (mnd. „schiphere“ = Schiffsherr; Kapitän) mit (während es in anderen Gegenden üblich wurde, dass die Reeder ihre Schiffe nicht selber begleiteten, sondern jemand anderen als Schiffsführer einsetzten). Die Schiffsführer heuerten die Mannschaft an und vertraten auch die Interessen der Befrachter, wenn diese nicht mit an Bord waren.
Die Mannschaft (mnd. „schipmannen“ oder „schipknapen“) geriet in immer stärkere Abhängigkeit zu Schiffsführern und Befrachtern. Waren sie anfangs noch an Risiken und Gewinn beteiligt und nahmen an Entscheidungsfindungen teil, brachten sie bald nur noch ihre Arbeitskraft (aber kein Eigentum oder Kapital mehr) mit. Als Lohn erhielten sie entweder einen Anteil am Frachtraum, die Führung, (die sie entweder für den Transport eigener Waren nutzen oder an Reeder oder Befrachter verkaufen konnten) oder Heuer, d.h. festen Lohn. Die Führung und die Abhängigkeit der Heuer von der erfolgreichen Ablieferung der Fracht erhielten das Interesse der Mannschaft am Gelingen des Unternehmens aufrecht. Da die Mannschaft aber immer mehr in ein rein dienstrechtliches Verhältnis ohne Mitspracherechte geriet und auch die Führung zunehmend durch Heuer ersetzt wurde, sank ihr Eigeninteresse am Gelingen des Unternehmens. Die starke Abhängigkeit der Mannschaft vom Schiffer war zudem Quelle zahlreicher Unruhen und somit Gegenstand vieler seerechtlicher Regelungen. Innerhalb der Mannschaft trat zunächst der Steuermann, später auch der Bootsmann, hervor.

Anzumerken bleibt noch, dass die Kaufleute und Schiffer nicht nur Mitglieder der ausländischen Hansen, sondern immer auch Bürger ihrer Heimatstadt blieben und oftmals sogar Ratsherren waren. Dadurch blieb die Abhängigkeit von der jeweiligen Heimatstadt stark.

(1) Mit diesem Punkt hatten die Mitglieder der Hanse eher selten Probleme, weil sie an ihren Haupthandelsorten meist umfangreiche Privilegien genossen.

Das Hamburger Seerecht von 1301

Entwicklung

Das Hamburger Seerecht von 1301 ist das älteste schriftlich überlieferte Seerecht im niederdeutschen Bereich (vermutlich mit Ausnahme des nicht genau datierbaren Seerecht Schleswigs). Wie überall wurde auch in Hamburg zunächst bereits bestehendes Gewohnheitsrecht aufgezeichnet.
Hamburgs Seerecht spielte in der Folgezeit eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Seerechten der deutschen Seehandelsstädte, so wurde schon vor der Niederschrift von 1301 Hamburger Seerecht 1294 von Riga und 1299 von Lübeck übernommen (von 42 Artikeln zum Seerecht sind dort 33 dem Hamburger Recht nachgebildet), und Anfang des 14. Jahrhunderts wurde das Hamburger Schiffrecht von 1301 in das Stadtrecht von Bremen übernommen.

In Hamburg wurde vermutlich schon vor 1225 mit der Aufzeichnung eines Stadtrechts begonnen und vielleicht enthielt dieses bereits einige seerechtliche Sätze. Diese Aufzeichnungen sind jedoch nicht erhalten.
Der früheste erhaltene Hinweis auf Hamburger Schiffrecht ist ein Brief des Hamburger Rats an den Lübecker Rat von 1259. In diesem Brief wird das Gewohnheitsrecht in einigen Punkten dargelegt. Im Wesentlichen geht es um

  • die Bergung schiffbrüchiger Güter und die Höhe des Bergelohns
  • Haftung bei Ansegelung eines Schiffes (Kollision)
  • Schadensverteilung und –ausgleich bei Seewurf (d.h. wenn Waren zur Rettung des Schiffs aus Notsituationen über Bord geworfen werden mussten)
    Diese Punkte entsprechen etwa den Artikeln 20, 21 und 22 des Hamburger Schiffrechts von 1301.

1270 wurde das Hamburger Ordelbok veröffentlicht, das der Ratsnotar Jordan von Boizenburg verfasst hatte. Es ist zwar nicht im Original erhalten, enthielt aber mit Sicherheit einige seerechtliche Sätze an letzter Stelle. Reincke (S.169) nimmt an, dass das Hamburger Recht in der Form des Ordelboks Grundlage des Seerechts von Riga 1294 war.
Ebenfalls nach Reincke (S.169) wurde das Hamburger Seerecht vermutlich in den letzten Jahren des 13. Jahrhunderts in mehreren Schritten erweitert und bildete so das Vorbild für das lübische Seerecht von 1299.

Überliefert ist Hamburger Seerecht nun das erste Mal im Roten Stadtbuch. Dies war ein Gesetzesentwurf von 1301/1302, der das Ordelbok von 1270 ersetzen sollte. Aufgrund von Streitigkeiten zwischen Rat und Bürgerschaft wurde dieser Entwurf jedoch nicht veröffentlicht. 1306 wurde nur das Schiffsrecht aus dem Roten Stadtbuch als besonderes Gesetz ratifiziert. In dieser Form wird das Gesetz dann auch für Bremen und seine Tochterstädte maßgeblich.

Reincke (vgl. S.169f) vermutet folgende Reihenfolge für die inhaltliche Entstehung der Artikel des Seerechts von 1301:

  • Älteste, bruchstückhafte Überlieferungen: Artikel 20-23
  • Ordelbok von 1270: Artikel 15, 16, 24-28
  • Ende 13. Jh.: Artikel 1-5, 9-11, später Artikel 7, 8, 12-14, Erweiterung Artikel 16
  • Rotes Stadtbuch: Artikel 6, 17-19, Ergänzungen Artikel 1, 2, 9, 16

Inhalt

Zu den Themen der einzelnen Artikel des Hamburger Seerechts von 1301 siehe Quellenpaket 24.
Der Reglementierungsbereich reichte von Rochelle im Süden bis Gotland (Wisby) im Norden.

Schiff und Besatzung werden als untrennbare Einheit verstanden, sie sind also bis zum Ende der Seereise voneinander abhängig und rechtlich aneinander gebunden. Das Hamburger Seerecht ist dabei weniger „besatzungsfreundlich“ (Friedland, 263) als die Rôles d’Oléron, sondern eher den Befrachtern und der Ladung wohlgesonnen. Den Hansestädten ist es außerdem wichtig, sich die Exekutive und die Entscheidungshoheit im Seerecht zu sichern: Es wird geregelt, wo Klagen und Berufungen eingereicht werden können und wer Entscheidungen fällen darf. Dabei ist der Rat der Stadt letzte Instanz (Art. 5).

Johann Martin Lappenberg war einer der ersten Historiker, die sich mit dem Hamburger Seerecht von 1301 befassten. Er sieht das Ordelbok von 1270 als eine sorgfältige Verschmelzung des Hamburger Gewohnheitsrechts mit den Soest-Lübecker Stadtrechten und dem sächsischen Landrecht, die so erfolgreich war, dass zwei Jahrhunderte keine nennenswerten Änderungen nötig waren und sogar der Einfluss römischen Rechts ferngehalten werden konnte. Anderes gilt seiner Meinung nach jedoch für die seerechtlichen Bestimmungen. Diese wurden zwar vom Hamburger und Lübecker Rat gemeinsam erwogen, sind aber in ihrer ältesten Gestalt mangelhaft: „Gilde- oder Hanse-Statuten von Utrecht und Ostkerken sind mit handelspolizeilichen Tarifen und Beschlüssen, dem eigentlichen Schiffrechte willkürlich vorangestellt oder eingeschaltet.“ (Lappenberg, CXLVIII)

Theodor Kiesselbach widerspricht Lappenberg insoweit, als dass er das Schiffsrecht als von innerer Einheit gekennzeichnet und als entstanden aus einer Satzung der Hanse der hamburgischen Bürger in Flandern (Ostkerken, später Hoke), mit nur wenigen stadtrechtlichen Ergänzungen (z.B. die rote Flagge) sieht. Nach ihm sind in Flandern die Verhältnisse gewesen, die die Entstehung solcher Regeln notwendig machten (dort liefen fast alle Güter zusammen, es waren viele Schiffe auf engem Raum (Kollisionsgefahr) und es wurde mit englischem Geld gezahlt). Die Hansebrüder dort durften sich eigene Satzungen geben, die mit wenigen Ergänzungen nach Hamburg übernommen wurden. Hinzu kamen drei Artikel der Utrechter Hanse (Artikel 17-19). Natürlich war jedoch der Ausgangpunkt aller Gesetzgebung von Hamburger Hansen gewohnheitsmäßig das Hamburger Recht. Kiesselbach führt als weiteres Argument für seine These an, dass das Lübecker Seerecht dem Hamburger so sehr ähnele, weil auch die Lübecker eine Hansegenossenschaft in Flandern hatten. Heute wird diese Ähnlichkeit jedoch im Allgemeinen damit begründet, dass Lübeck das Hamburger Recht übernahm.
Kiesselbach ist wohl darin zuzustimmen, dass zumindest Teile des Hamburger Schiffsrechts von 1301 auf die Satzungen der Hansen in Utrecht und Ostkerken zurückgingen.

Hansisches Seerecht

Neben den Seerechten einzelner Städte wird später hansisches Seerecht zunehmend wichtiger, das für die Seefahrer aller seehandeltreibenden Städte des Nordens und nicht mehr nur für Bürger einer Einzelstadt gilt.
Seit Mitte des 14. Jahrhunderts strebte die Hanse bewusst eine Vereinheitlichung des Seerechts an, seit Anfang des 15. Jahrhunderts erwuchs Seerecht vor allem auf den Hansetagen und ist in den Hanserezessen überliefert. Schon früh gab es Regelungen zur Seefahrt, vor allem Sanktionen. Lübeck war federführend bei hansischer Gesetzgebung.
Relevant sind vor allem die Rezesse von 1378, 1380, 1412, 1417, 1418, 1434, 1435, 1441, und 1447.
Umfassende Bedeutung erlangten hansische Seerechtsbeschlüsse das erste Mal 1418 im Statut der Hansestädte in Lübeck (HR I,6 Nr. 557).
Die erste eigenständige Aufzeichnung hansischen Seerechts war 1482 die Hansische Schiffsordnung (24 Artikel, Rechte und Pflichten der Seeleute). Weitere Veröffentlichungen, die sich jedoch wenig an die Schiffsordnung von 1482 anlehnten, folgten 1530 („Ordnung für Schiffer und Botsleute“), und 1572 (1576 veröffentlicht, 34 Artikel; „Ordnung über Schiffahrt und seefahrendes Volk“). 1591 gab es eine überarbeitete Schiffsordnung mit 58 Artikeln, die alle Normen von 1576 mit einigen von 1482 vereinte.

Mit diesen Ordnungen lag jedoch immer noch kein umfassendes gemeines Seerecht der Hanse vor. Erst 1611 kam es zum Entwurf eines fertigen hansischen Seerechts, der 1614 verabschiedet wurde und 15 Titel mit 103 Artikeln gesamt enthielt. „Der ehrbaren Hanse-Städte Schiffs-Ordnung und See-Recht“ galt verbindlich für alle Hansestädte. In dieser Ordnung waren zwei Drittel der Artikel aus der Ordnung von 1591 übernommen, die auch Hamburg in sein Stadtrecht von 1603 aufnahm, wodurch es zu einer großen Ähnlichkeit zwischen Hanse- und Hamburger Recht kam. „Der ehrbaren Hanse-Städte Schiffs-Ordnung und See-Recht“ war zum Teil bis ins 18. Jahrhundert anerkannt und gilt als letztes großes Gesetzwerk der Hanse.

Was wir schon beim Hamburger Seerecht von 1301 festgestellt haben, nämlich dass das Gut der Kaufleute über der Sicherheit von Schiff und Besatzung steht, gilt auch für hansisches Seerecht. Dieses Phänomen lässt sich folgendermaßen erklären: Da die Hanse nur durch den Handel verbunden ist und die Selbständigkeit der einzelnen Städte erhalten blieb, können im Seerecht sinnvoll nur die Angelegenheiten der Kaufleute und der Ware geregelt werden. Für ihre Bürger (d.h. auch die Besatzungen) bleibt jede Stadt selbst verantwortlich.
Damit ist auch ein Problem des hansischen Seerechts angesprochen: Es beruht „auf freiwilliger Vereinbarung rechtlich vollkommen selbständig bleibender Partner“ (Friedland, 258).
Das hansische Seerecht war im Einklang mit dem zusätzlich existierenden gemeinen Seerecht (s. Wisbysches Waterrecht) und wurde durch dieses ergänzt. Weiterhin galten nebenher die partikularen Seerechte, die Städte übernahmen jedoch zusehends mehr das hansische Seerecht, sei es ganz oder teilweise.

Seerecht im Hamburger Stadtrecht von 1497

Siehe auch Hamburger Stadtrecht von 1497 und das Schiffsrecht des Hamburger Stadtrechts von 1497.

Ende des 15. Jahrhunderts wurde sowohl Hamburgs Stadt- als auch sein Seerecht umfassend überarbeitet. Das Seerecht wurde formal neu geordnet und im Vergleich zu allen anderen Teilen des Stadtrechts am meisten verändert.
Der Abschnitt „Van Schiprechte“ wurde als einer von 15 eigenständigen Teilen in den Kodex von 1497 eingegliedert und umfasst 50 Artikel und eine Bildtafel. Die Hälfte der Bestimmungen des ersten Seerechts wurden übernommen (s. Tabelle unten), aber der Großteil der 50 Artikel beruhte auf einer Teilrezeption des Wisbyschen Waterrechts (18 Artikel) sowie auf der Verarbeitung des „römischen Digestentitels über die Lex Rhodia de iactu (Dig. 14,2) [Rhodisches Seerecht]“ (O’Sullivan 46) (10 Artikel). Damit ist das Hamburger Seerecht von 1497 der erste Hamburger Rechtsbereich, der stärkeren Einfluss von römischem Recht aufweist (aus den anderen Teilen war dieses weitgehend ferngehalten worden).

Der Abschnitt zum Schiffsrecht ist durch Überschriften weiter unterteilt, die einen Überblick über seinen Inhalt vermitteln:

  • Von den Reedern
  • Von den Schiffsführern und ihren Belangen
  • Von den Befrachtern
  • Vom Seewurf
  • Vom Schiffbruch
  • Vom Ansegeln
  • Vom Seeraub

Seerecht im Hamburger Stadtrecht von 1603

Ende des 16. Jhs. erreicht die in Deutschland sich ausbreitende Welle stadt- und landrechtlicher Reformen Hamburg. 1603 wurde das Stadtrecht von 1497 umfassend überarbeitet. Nach einer weiteren, gerade auch das Schiffsrecht betreffenden Revision wurde es 1605 veröffentlicht, aber trotzdem der Titel „Hamburger Stadtrecht von 1603“ (auch „Statut von 1603“) beibehalten.
Das Seerecht war hier aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche übersetzt worden und innerhalb des zweiten von vier Teilen mit sieben Titeln und insgesamt 81 Artikeln vertreten, von denen mehr als die Hälfte dem Stadtrecht von 1497 entstammen. Ein Viertel der Normen war hansischen Ursprungs, einige orientierten sich an lübischem Recht (angelehnt an Wisbysches Waterrecht), einige am dänischen Seerecht von 1561 (basierend auf hansischem, wisbyschem und niederländischem Seerecht). Die verbleibenden Vorschriften wurden ohne Vorbilder aufgenommen (Einteilung nach O’Sullivan, 47). Im vierten Teil (Strafrecht) finden sich zusätzlich drei Normen, die sich den Matrosen und Seeräubern widmen.
In Hamburg behält das Stadtrecht von 1603 (inklusive see- und schiffsrechtliche Normen) bis zur Einführung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB) nach 1861 seine Gültigkeit.

Parallele Regelungen in den Schiffsrechten von 1301, 1497 und 1603

Die untenstehende Tabelle ist übernommen aus Kiesselbach S. 49f und nur in der Reihenfolge verändert.

  1301/06 1497 1603
Über Aufhebung des Dienstvertrages außer Landes 12 16 14,13
Über Fautfracht 15 30 15,5 (letzter Satz)
Über Bergen seetriftigen Guts 20 46 17,5
Über Ansegeln und Kollisionen 21 47 17,6
Über den Seewurf 22; 27 33; 38 16,2
Betreffs Überladung eines Schiffs 23 25 14,24
Über die Reederei 24; 25 2; 1 13,2; 13,1
Über die Flagge 26 4 14,1
Über Bergen beim Schiffbruch 28 42 17,1

Schlussbetrachtungen

Es hat sich gezeigt, dass – bedingt durch die Bedeutung der Seefahrt für die Hansestadt Hamburg – see- und schiffsrechtliche Regelungen zu den ältesten überlieferten Rechtssätzen Hamburgs gehören. Dabei ist das Hamburger Seerecht, wie es uns von 1301 überliefert ist, Vorbild für die Seerechte anderer bedeutender Hansestädte und damit auch hanseweit relevant gewesen.
Inhaltlich ist es vor allem mit der Regelung der Verhältnisse zwischen Schiffsführer, Reeder, Befrachtern und Mannschaft beschäftigt. Im Einklang mit hansischem Seerecht zeigt sich hierbei ein besonderer Fokus auf dem Schutz der Befrachter und ihrer Ware vor der Sicherheit von Schiff und Mannschaft.
Einige Artikel des ersten Schiffsrechts wurden sowohl in das Hamburger Stadtrecht von 1497 als auch in das Statut von 1603 mehr oder weniger unverändert übernommen und waren damit Jahrhunderte in Kraft (s.o.). Im Verhältnis zu anderen Teilen des Stadtrechts unterlag das See- und Schiffsrecht jedoch größeren Veränderungen und ist in seinen späteren Formen auch stärker vom römischen Recht beeinflusst.
Generell lässt sich im 18. Jahrhundert hanseweit eine Ablösung der alten seerechtlichen Bestimmungen beobachten – wohl zum Teil durch den Bedarf der Nationalstaaten zur Klärung anderer Rechtsfragen (Kriegsrecht, Seeherrschaft,…) bedingt – sodass das heutige Seerecht kaum noch Gemeinsamkeiten mit dem spätmittelalterlichen Seerecht aufweist.
Dennoch lässt sich meiner Meinung nach am spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen nordwesteuropäischen Seerechtssystem, innerhalb dessen das Hamburger Recht seinen festen Platz einnimmt, hervorragend erkennen, dass Bemühungen um international gültiges Recht keine Erscheinung erst des 20. Jahrhunderts sind. Vielmehr hat sich schon vor mehr als einem halben Jahrtausend das Streben nach (rechtlich) sicherem Handel als ein Faktor erwiesen, der über alle Ländergrenzen hinweg zur Entstehung einheitlichen Rechts beizutragen vermag.

Literatur

Binder, Beate: Illustriertes Recht. Die Miniaturen des Hamburger Stadtrechts von 1497; Hamburg: Verein f. Hamb. Gesch., 1988 (Veröffentlichungen des Vereins für Hamburgische Geschichte, Bd. XXXII).

Friedland, Klaus: Mensch und Seefahrt zur Hansezeit; Köln/Weimar/Wien: 1995 (Hansischer Geschichtsverein, Bd. XLII); S.256-267.

Kiesselbach, Theodor: Grundlagen und Bestandteile des ältesten Hamburgischen Schiffsrechts; HGBll 9 (1900); S.49-93.

Lappenberg, Johann Martin: Die ältesten Stadt-, Schiff- und Landrechte Hamburgs (Hamburgische Rechtsalthertümer; hrsg.v. J.M. Lappenberg, Bd. 1); Hamburg, 1845 (Neudruck Aalen: 1966); S.CXLVIII-CLII.

O’Sullivan, Carolin: Die Ahndung von Rechtsbrüchen der Seeleute im mittelalterlichen hamburgischen und hansischen Seerecht (1301-1482); Berlin/Bern/New York: Peter Lang, 2004 (Rechtshistorische Reihe, Bd. 305); S.1-174.

Reincke, Heinrich: Die ältesten Formen des hamburgischen Schiffrechts; in: HGBll 63 (1938); S.166-170.

Sprandel, Rolf (Hrsg.): Quellen zur Hanse-Geschichte; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1982; S.387-403.

Wolter, Klaus: Die Schiffrechte der Hansestädte Lübeck und Hamburg und die Entwicklung des Hansischen Seerechts; Hamburg, 1975; S.20-52.