Das geistliche Leben in Hamburg im Spätmittelalter
Bearbeitet von Jan Cordes
Einleitung
In diesem Abschnitt soll das Geistliche Leben in Hamburg im Spätmittelalter nachgezeichnet werden. Dieses war von einer heutzutage fremd anmutenden Frömmigkeitspraxis geprägt, die jedoch hier näher zubringen versucht werden wird. Zunächst werden die Kirchen der Stadt vorgestellt, gefolgt von der Geistlichkeit, die in ihnen tätig war. Dem kirchenrechtlichen Stand der Kleriker stand der Stand der Laien, die Einwohner der Stadt den Berufsgeistlichen, gegenüber. Durch die Laien wurde das kirchliche Leben getragen und versorgt, wobei die zunehmend intensivierte Frömmigkeit besonders im Spätmittelalter in Bruderschaften und Stiftungen ihren Ausdruck fand. Auch wurde der Klerus nicht mehr nur als Heilsmittler gesehen, sondern stand zunehmend in der Kritik, seinen göttlichen Auftrag zu vernachlässigen. Besonders im 15.Jahrhundert kam es daher zur starken Zunahme der mittelalterlichen Kleruskritik, die schließlich in der Reformation mündete.
Die Kirchen
Die Religion und damit auch die Kirche hatten im Leben und Bewusstsein des Menschen des späten Mittelalters eine zentrale Bedeutung. Die wird allein durch einen Blick auf das Stadtbild des spätmittelalterlichen Hamburgs deutlich: es wird dominiert durch die weithin sichtbaren Türme der Kathedrale, der Kirchspiel-, Kloster- und Hospitalskirchen. Auch wenn diese erst im Laufe des 16.Jahrhundert ihre Turmspitzen erhielten, hoben sie sich doch durch ihre Größe und reiche Ausstattung von den übrigen Gebäuden der Stadt ab. Besonders monumental, ehrwürdig und prächtig war, wie in anderen Städten, der Hamburger Dom (der jedoch im 19.Jahrhundert endgültig abgerissen wurde). Die Anfänge der Kirchenbauten lagen im hohen Mittelalter, und seit dem 13.Jahrhundert waren viele Gotteshäuser durch zahlreiche Um- und Erweiterungsbauten zu geräumigen Hallenkirchen umgestaltet worden, durchweg in der nüchternen monumentalen Backsteingotik. Die Kirchen im norddeutschen Ostseeraum glichen sich nicht nur in ihrem Bau, sondern auch die Patrozinien (das Patrozinum bezeichnet die Schutzherrschaft eines Heiligen für eine Kirche) waren oftmals die gleichen. Neben den Marienkirchen (in Hamburg war der Dom der Maria geweiht) finden sich in den Küstenstädten Petri- und Nikolaikirchen, der Schutzheiligen der Schiffer-, Fischer- und Kaufleute, und Jakobikirchen, des Patrons der Pilger und Fremden. Die vierte Hamburger Kirchspielkirche war der Hlg. Katharina aus Alexandria geweiht, eine der 14 katholischen Nothelfer bei Alltagsproblemen.(1) Daneben gab es die Kirchen der Bettelordenkonvente, St.Johannis (Dominikaner) und Marien-Magdalenen (Franziskaner), sowie als größere Kapellen die Kapelle des Heiligen-Geist-Hospitals, sowie die Schartor- und St.Gertud Kapellen (2),und das außerhalb der Stadt gelegene Zisterzienserfrauenkloster Harvestehude,. Zudem gab es, ohne größere Kirchenbauten, das St.Georgs-,(3) St.Elisabeth- und Hiob Hospital.(4) Die Kirche war nicht nur ein religiöser, sondern auch ein sozialer und politischer Ort. Sie diente als Versammlungsort der Bürger, als Mitteilungsort für Verordnungen und Mandate des Rates, als Alarmgeber bei Gefahr für die Stadt, aber auch als Ort, um seinen sozialen Status durch Stiftungen, Sitzplatz oder Grabstellen deutlich zu machen. Andererseits war die Bedeutung christlicher Religiösität auch außerhalb der Kirchen sichtbar, Darstellungen Mariae und der Heiligen zierten nicht nur Münz- und Siegelbilder vieler Städte, sondern flankierten als Standbilder Stadttore, Brücken und Rathausportale, neben so manchem Privathaus. Abbildungen des Jüngsten Gerichts mahnten unter anderem in Rathaussälen oder dem Stadtrecht vorangestellt die irdischen Richter und Herren an ihre Verantwortung, und gaben ihnen zugleich eine sakrale Weihe.(5) Daneben waren die Kirchspiele, an deren Verwaltung Laien beteiligt wurden, auch politische Bezirke, da sie über eigene Verwaltungen und Repräsentanzen in den Kirchgeschworenenkreisen verfügten, die in ihrer Gesamtheit als Gegenüber und Gegengewichte zum Rat dienten.(6) Die Kirchspielversammlungen bildeten also vier Körperschaften der Bürger, die über das Kirchwesen hinaus im gesamten öffentlichen Leben, in der Gerichtsbarkeit, im Wehrwesen, in der Sozialfürsorge und im Wirtschaftsbetrieb beträchtlichen Einfluß ausübten. In den von den Versammlungen gewählten Kirchengeschworenen- oder Juratenkreisen waren vor allem die Vorsteher und die Meister der exportgewerblichen Handwerkerämter tonangebend, während der Rat vornehmlich aus ratsfähigen Familien der Fernhändler sowie führender Schiffer und Brauer bestand, allerdings jederzeit auch aufstrebende ‚homines novi’ aufgenommen werden konnten. Auch gab es natürlicherweise Querverbindungen zwischen Rats- und Juratenfamilien.(7)Der Klerus
Die vier Hamburger Pfarrkirchen waren dem Domkapitel inkorporiert, somit gehörte ihr Besitz dem Kapitel, die Pfarrwahl und Gerichtshoheit oblag ebenso dem Kapitel wie auch das Schulwesen der Stadt,(8) auch wenn sie einem gewissen Umfang bürgerlicher Selbstverwaltung unterlagen.(9) Das Domkapitel bestimmte das religiöse Leben der Bevölkerung. Die oberstes Stellung in der kirchlichen Verwaltung nahm also das Domkapitel ein. Da der Sitz des Bischofs schon früh nach Bremen verlegt worden war, besaß das Kapitel große Selbstständigkeit. An der Spitze der zumeist studierten Domherren, die vorwiegend aus Hamburger Bürgerfamilien stammten, stand der Probst. Ihm oblag die geistliche Gerichtsbarkeit in seinem Sprengel, der weit über die Stadtgrenzen hinausreichte, und zog auch trotz Proteste viele weltliche Streitigkeiten vor seinen Richterstuhl. In der öffentlichen Rangordnung stand er vor den Bürgermeistern und vor den Bischöfen von Lübeck, Ratzeburg und Schwerin, die ebenfalls zum Erzbistum Bremen gehörten. Der Einfluß des Probstes wurde jedoch dadurch beschränkt, dass die Inhaber dieses Amtes oft noch andere hohe Würden auswärts innehatten, und daher ihre Rechte und Pflichten in Hamburg häufig nur durch Stellvertreter wahrnahmen. Der Dekan übte neben dem Probst einen großen Einfluß aus, ihm unterstand die gesamte Geistlichkeit in rechtlicher und seelsorgerischer Hinsicht. Für deren geistliche Aus- und Fortbildung war der Domlektor zuständig, der Domscholastikus war für die Schulen verantwortlich, die sämtlich unter kirchlicher Aufsicht standen, und musste sich häufig Einwirkungsversuchen des Rates auf das Schulwesen erwehren. Der Thesaurius verwaltete das Vermögen, der Strukturarius das Bauwesen, und der Kustos hatte die Aufsicht über die Altargeräte, das Glockenwesen und die Beschaffung der Mittel für die Gottesdienste. Diese Mitglieder nahmen den obersten Rang im Kapitel ein, andere waren als Kirchherren an den Pfarrkirchen tätig, wobei nicht alle dortigen Rektoren dem Domkapitel angehörten. Die Zahl der Domherren schwankte zwischen 16 und 23 Mitgliedern. Sie alle bezogen erhebliche Einnahmen, aus den kirchlich gebotenen Abgaben für Stadt und Land und persönlichen Stiftungen der Gläubigen (die nicht selten zum Unterhalt von Familienangehörigen bestimmt waren).Neben dieser hohen Geistlichkeit gab es eine sehr große Anzahl von niederen Geistlichen. Dies waren die Vikare und Kommendisten, welche die Domherren in ihren geistlichen Ämtern vertraten. 1508 waren von ihnen 360 allein in der Stadt vorhanden (zum Vergleich zur gleichen Zeit: in Lübeck waren es über 200 Vikare, in Lüneburg über 100 Kommendisten.(10) Rechnet man die Ordensleute der Stadt dazu, war jeder 40. der schätzungsweise 15.000 Einwohner Hamburgs geistlichen Standes (in Lüneburg jeder 45. bei ungefähr ebenso vielen Einwohnern, in Lübeck jeder 60. bei cirka 25.000 Einwohnern.(11) Sie bezogen ihren Unterhalt aus Geldern für ihre geistlichen Verrichtungen, für Seelenmessen zu Gunsten von Verstorbenen, und aus Zuwendungen, die dem Domkapitel oder der gesamten Geistlichkeit von Laien gemacht wurden.(12) Die geweihten Priester stehen als Verwalter der Sakramente über allen Ständen und sind durch ihr Amt Gott näher als die normalen Gläubigen, und sind als Mittler für die Laien unverzichtbar.(13)
Laienfrömmigkeit
Im christlichen Glauben war zwar manches schon früh zur Konvention erstarrt, und auch das kirchliche Leben nicht frei von profanen Interessen, doch besaß die Bevölkerung im Spätmittelalter eine aufrichtige, sogar noch zunehmende Frömmigkeit. Diese fand ihren Ausdruck in vermehrter Bau- und Umbautätigkeit an den Kirchen, einem florierenden Bruderschafts- und Stiftungswesen, sowie eines zunehmenden Einflusswillens der Laien auf das Kirchwesen, vor allem das Einflussnehmen auf die Verwaltung von Kirchen, Klöstern und Hospitälern als weltliche Kirchenpfleger. Verbunden war dies mit Klagen über Missstände in Klerus und Kirche.(14) Die Religion war keine Privatangelegenheit, sondern integrativer Bestandteil der mittelalterlichen Kommune und damit auch Garant der gesellschaftlichen Ordnung. Der spirituelle und weltliche Bereich war eng miteinander in der Ausrichtung auf Fegefeuer, göttliches Gericht, Himmel und Hölle verwoben. Die sogenannte Volksfrömmigkeit umfasste ein Spektrum von ernster, besorgter Spiritualität bis zu (schon zeitgenössisch kritisiertem) heidnischen Aberglauben aller Art, in Hamburg etwa der üblichen Form des Ablasskaufens, Wallfahrtens, Rosenkranzbetens, Verbreitung zweifelhafter Heldenlegenden, und damit auch des Reliquienverehrens usw.(15) Der Kern der mittelalterlichen Frömmigkeit war das Streben nach Heilsgewissheit, welche durch eine möglichst große Anzahl von Fürbitten und Fürbittern zu erlangen gesucht wurde. Die Sorge um das eigene und der lebenden wie toten Anverwandten Seelenheil bewirkte, dass sich Lebende und Verstorbene solidarisch als eine bis ans Ende der Zeiten reichende, wechselseitig fürbittende Gemeinschaft verstanden. Die Lebenden baten für die Toten, die Toten für die Lebenden, ebenso wie die zur Vermittlung herangezogenen Heiligen. Hierdurch sollte die Zeit im Fegefeuer, die für die lässlichen Sünden abzuleisten war, verkürzt bzw. Sünden vergeben werden. Die gegenseitige Fürbitte konnte auch in Gemeinschaften vollzogen werden, welche eine Verstärkung und Vermehrung der Fürbittetätigkeit ermöglichten.
Bruderschaften
Die geistlichen Bruderschaften sind typisch mittelalterliche Verbindungsform, auf dem Gemeinschaftsgedanken gegründet. Ihr Ursprung liegt in den mittelalterlichen Verbrüderungen von Geistlichen (den Kalanden), wobei Laienbruderschaften seit dem 12.Jahrhundert nachzuweisen sind. Ihre Blütezeit liegt im 14. und 15.Jahrhundert, in einer Zeit, in der nach neuen Formen der Frömmigkeit verlangt wurde. Doch wurde die kirchliche Führung der Laienbruderschaften dadurch gesichert, dass sie einem kirchlichen Institut angeschlossen wurde, das ihnen unter Umständen den Priester stellte und einen Altar einräumte.(16) In den Bruderschaften schlossen sich Bürger und Kleriker, Berufs- und andere Gruppierungen unter dem Patronat bestimmter Heiliger zusammen. Um 1500 gab es in Bremen und Lüneburg jeweils etwa 30, in Lübeck über 70 und in Hamburg zeitweilig über 100 Fraternitäten.(17)Die Bruderschaften hatten vor allem religiöse, oft auch caritative Aktivitäten, und boten den Laien die Gelegenheit, religiös zu sein, ohne in ein Kloster einzutreten, und gesellschaftlich aktiv zu bleiben. In den Bruderschaften wurden verschiedene Formen der Sorge für das Seelenheil von Einzelpersonen und Gruppen vorgenommen, wie etwa das Wahrnehmen der kirchlichen Totengedenktage (der dreissigste Tag nach dem Tode, welcher die Periode der Trauerzeit für die Hinterbliebenen und der Leidenszeit für die Verstorbenen beendet; ebenso der Jahrestag des Todes) für Einzelpersonen, aber auch von Gedenktagen für Gruppen von Verstorbenen (etwa an Fronleichnam und Allerseelen, wie auch an den ein- bis mehrmals im Jahr stattfindenden Bruderschaftstagen). Die Mitglieder vieler Bruderschaften versammelten sich jeweils an den Montagen zu Vigilien (Nachtwachen mit Gebeten) und an den folgenden Tagen zu den Messfeiern: nach verbreiteter Vorstellung beginnt am Montag nach der sonntäglichen Ruhe wieder im Fegefeuer die Leidenszeit der Seelen, weshalb ihnen an diesem Tage besonders mit Gebeten und Messen zu helfen sei. Einige Elemente des Bruderschaftswesens, wie etwa die Grableite verstorbener Mitglieder oder das Bestücken eines Altars mit Kerzen finden sich jedoch auch bei den Handwerksämtern (so etwa in §.9 bzw. §.1 der Hamburger Leinenweberordnung.(18)
Eine weitere Möglichkeit christlich zu handeln sahen die Bruderschaften vielfach auch in der Armenfürsorge. Bis zum ausgehenden Mittelalter wurde von weltlichen und kirchlichen Institutionen keine regelmäßige und geordnete Armenpflege betrieben, so dass sich hier ein weites Betätigungsfeld bot. Die Finanzkraft vieler Bruderschaften erschöpfte sich jedoch bereits in der Unterstützung erkrankter eigener Mitglieder, wobei für diese zumeist Geld gesammelt wurde. Stiegen die Vermögenswerte der Bruderschaft an, konnte sie sich eine kontinuierliche Armenpflege leisten, wie etwa die Verteilung von Lebensmittelrationen, und Spitäler unterstützen oder erbauen. Bevorzugt wurden arme Geistliche unterstützt, welche als Mittler zwischen Gott und Menschen dienen, zur göttlichen Gnade, der Erlösung durch Christi und der Fürbitte durch Heilige. Finanziert wurden die Bruderschaften durch Mitgliederbeiträge, Stiftungen und religiöse Dienste, wie etwa Memoriengelder, die auf Leibrentenbasis angelegt waren (hierdurch konnte der Anleger zu Lebzeiten von den Zinsen seiner Stiftung leben und nach dem Tode in Gedenkgebeten sichere Fürsorge für sein Seelenheil erreichen). Um das eingenommene Kapitel zu sichern, mussten die Vorsteher der Bruderschaft dieses sicher, dauerhaft und ertragreich anlegen, um die Leibrenten und die Seelengedächtnisse zu gewährleisten. Hierdurch wurden die Bruderschaften auch ein wirtschaftlicher Faktor in der Stadt, indem sie entweder Landbesitz erwarben, im städtischen Kreditwesen, auf dem Gewerbesektor oder im Handel investierten.(19) Doch die Bruderschaften besaßen auch weiter berufliche, geschäftliche und politische Funktionen. Im 15.Jahrhundert bildeten Kaufleute und Handwerker neben ihren Genossenschaften und Ämtern Bruderschaften mit kultischen Aufgaben, die eben deshalb mehr Autonomie von der Obrigkeit gewinnen konnten. Sie konnten sich ohne Kontrolle versammeln und im Rahmen von Feierlichkeiten berufliche und geschäftliche Kontakte knüpfen. Auch konnten Bruderschaften Mitglieder in mehreren Städten haben, und so übergreifende Netzwerke bilden.(20)
Im Mittelalter ist die geistliche Bruderschaft eine freie Vereinigung von Männern und Frauen, die sich als christliche Nächste fühlen und im Gedenken brüderlicher Liebe unter geistlicher Anleitung leben wollen. Bezeichnend für sie ist, dass, besonders wenn sie eng verbunden mit Gewerbsgenossenschaften, zugleich die gewerbliche, gesellschaftliche und religiöse Seite, somit fast das ganze Leben des mittelalterlichen Menschen umfassten.(21) Auch boten sie bisher unorganisierten Berufsgruppen die Möglichkeit, sich in einer bruderschaftlichen Gründung zu versammeln, und höhere gesellschaftliche und kirchliche Akzeptanz anzustreben (da nun auch sozial Höherstehende in ihre Vereinigungen streben konnten).(22) Ein gutes Beispiel für eine solche Bruderschaft ist die St.Vinzenz-Bruderschaft der Brauerknechte. Auch wenn das Brauereigewerbe für den Exporthandel Hamburgs bis 1400 eine große Rolle gespielt hatte, war es auch zuvor nur eine kleinteilige Produktion mit vielen kleineren Brauhäusern gewesen, in dem es zudem keine Brauermeister und damit auch keine Brauerzunft gab, nur die Besitzmöglichkeit von Brauhäusern als Brauherr. Durch diese Reglementierung des Brauereirechts wurde den Brauerknechten der Aufstieg zur Selbstständigkeit fast unmöglich gemacht. Ihnen bot nun die Gründung ihrer Bruderschaft die Möglichkeit, nicht nur religiös sondern auch gesellschaftlich aktiv zu werden, wobei sie damit eine Vorreiterrolle bei den Gesellenvereinigungen spielten.(23) Es folgt nun die Quelle der Gründungsurkunde im Mittelniederdeutschen, gefolgt von einer hochdeutschen Übersetzung mitsamt einer Kommentierung.
Quelle: Gründung der Brauerknechtsbruderschaft
Quelle: Original in Mittelniederdeutsch
Fundation der Bruwerknechte Broederschafft.
In den Jahren na der Borth Christi, so men schref Dusent Veerhundert Soeven und Veertich uppe den Dach S. Vincentii des hiligen Martelers begunde wi, Lüthke van Ermessen, Johann van den Hagen, ene Broederschap mit den Bruwerknechten to Hamborg, in de Ere des Allmächtigen Gades, Marien der hemmelcken konikinnen, sünderlichen Bynahmen an der Ere des hiligen Märtelers S. Vincentii und Willkorden dazu lost dat dar Veer Auer-Olderlude scholen wesen, to der Broederschop wegen und scholen hier ock blevende Tidt ihres Levendes und scholen deßer Broederschop truwe syn unde ere beste weten. Se scholen to sick VI van goden truwen Bruwknechten kesen, de scholen dat Boldick unde Boemlichte dregen to denjennigen dede da starven ute diese Broederschop, welcher VI Knechte wy alle Jahre moegen unde scholen aff unde ankesen, na Wyse unde Wamheit düßer Broederschop schall me alle Jahr twye begahn mit Villigen unde Seelmessen des Sommers Sondags na S. Johannis Dage, des Winters des sechsten Sondags na S. Vincentii Dage.
- | Item Een jewelck Süster offte Broeder schall des Jahres 2 Witte gewen to Pflichtgelde, dat scholen de jungen Olderlude sammeln na Gede und Gewohnheit der Broederschop und bidden de Knechte dat se mede offeren allse men de Broederschop begehret.
- | Item Welch Olderman dede Kost deit de schall hebben eene gode Tonne Hamburger Beers unde sovele Kost darto na redlicker wohnlicker Wyse, dat schall de Broederschop sämtlicken betalen.
- | Item Woll da will gahn an düße Broederschop, de schall dem Prester geven en Blaffert, vor dat inscrivent.
- | Item Des Sommers, wenn de Broederschop des Dages begahn iß, so schall des namiddages ein ißlich bringen ein Plicht-Gelt an en Huess dat darto geschicket weret, unde de Older lude, jung und old scholen den Systern unde Broeder twe Tonnen Hamburger Beeres, 1 Wegge unde 1 Stück Keses hebben.
- | Item Den jungen Olderluden welkeren den to gerecht wert, de scholen bringen Boldick und Bomlichte toi den broeder oder systern dede verstorven is, welckere dat nichten deith, unde iß nich by der Lichten, wenn dat lyck is gedragen aver dem ronsteen, de schall VI Pen: gebracken hebben.
- | Item De Olderlude deden Almissen geven, welcker de dar nicht is in de bede des Sondags, wenn me dat wyge water gifft, de schall ock VI pen: gebracken hebben, düße Broder schall sunder Gades weßen.
- | Item Welck Oldermann sine Schloetel mit Wrevel von sick deith, de schall nich mehr werdich wesen to enen Oldermann, sunder de Auer-Olderlude belenen ene wedder
- | Item Wenner de Olderlude tosamen sin so scholen se fredesam wesen, he sy Olde off de Junge.
- | Item Nemand schall den annern nödigen mit Beren, mehr so unse Gerechtigkeit uthwiset.
- | Item Wenner dat me düße Broederschop begahn schall, so schall me dat deme Kerkheren VIII dag to vorn seggenn unde laten de Begencknisse in alle Carspel-Kercken
- | Item So scholen de Auer-Olderlude dem Kerck-Heren lonen vor dem Seel-breff III ß Lübsch.
- | Item Des Sondages na des hiligen Lichnames Dage, wenn de Knechte de Lichte gedragen hebben, so schollen de Auer-Olderlude em geven en verendel Beeres unde en grapenbraden.
- | Item Offte jennich Oldermann Rente van düsser Broederschop wegen an sin huß lethe vor de rente so dat de Broederschop ere Rente daranne verlore so scholen unde moegen de annern Auer-Olderlude mit den jungen eren Hoevestol mit der verdagenden rente manen van des Oldermanns Güdern wor he sinen güder hefft binnen der Stadt offte buten, se sin bewchlich offte undbewechlich. Düth hevt wy Auer-olderlude ales Lütke van Emersen, Lüthke Breyde, Hans Hase unde mit all den jüngsten Olderluden willkoret, so dat wy unde alle unse nakommlingendat willen undescholen holden, vor en willkoret Recht.
- | Item De Auer-Olderlude schallen to ewigen tiden de Macht hebben und beholden dat se de COMMENDEN mogen vorlenen, wenn idt vom Dodes vorfällt, enen Ehrlicken Prester tim Godes willen offte enem Dogendhafftigen Schoeler dede nocht afftige is, binnen dem sülvesten Jahre Prester to werden, unde Schall ok anders neen Lehen hebben, wanner dat COMMENDE vorlehnet wert.
- | Item Offte de Auer-Olderlude welcke were, de enem Sohne hebbe dede Prester were offte noch en Schoeler, und binnen enem Jahre mochte Prester werden, wo he is von enem Dogendhaftigen Levende, de schall nechst to düssem Lene offte COMMENDEN wesen, anners scholen de Auer-Olderlude düsse COMMENDEN enen erlicken Prester offte Schoeler deme de Broederschop togedan is, unde de ock düsser Broederschap nutte togedan is, hier havwen mach Herr Gerd Stötebrock de erste Besitzer düsser COMMENDEN to besitten unde bruckede. Na Heren Gerdes Dode, De tidt sines levendes, düsse bede hebbe wy Auer-Olderlude em mi guden Willen unde in eintracht getwiedet.
- | Item De Auer-Olderlude de scholen enen Heren uth dem Rade kesen, de dar zu S.Catharinen Carspel wohnet unde de der Broederschop jenigerlei Anval qeme, van Ghestlicken unde weltlicken Persohnen, so scholen se sines Rates darto bruken
- | Item Wenner men schall effte will ene Almissen vorlehnen, dar scholen de Auer- Olderlude, mid den jungen Olderluden endrachtliken don, unde verkranket offte verarmet darjennicht Bruwerknecht, de schall nehtst to der Almissen wesen.
- | Item De Prester de düsse COMMENDEN hefft, de schall alle Sonntag, wenn dar amme hoff gegahn is, ene Misse lesen, efter en ander Prester vom sinetwegen, jedoch dem VICARIO nicht to vorfangen, unde he schall des Montages unde des Middeweckens ock Missen lesen offte up twe andere Tage inde Wecken, wenn eme God de gnade gifft unde vor de Levendige unde Dode düsser Broederschop.
- | Item Wenner dat men schall Olderlude Kesen, so scholen de jungen Olderlude den Auer- Olderluden to vorn to seggen, und scholen se sambtlicken mit guden Rade eren aller kesen. So iß Herr Gerdt Stötbrock de erste Besitter düsser COMMENDEN aver ingekamen mit den Auer-Olderluden und ock mut den jungen dat he und sine Nachkommlingen alle Jahr sind na der pasch Wecken, den Auer-Olderluden mit den Jungen schall geven en Verendel Beers, und eene Mahltid darto darumme darto, darumme dat se ehne und sinen Nakommlingen sine Renge up twe tide an dem Jahre alse na der Paschwecken XV Marck unde vorth na S. Michaelis desto viletiger scholen geven unde bringen.
Quelle: Kommentierte Übersetzung
Gründung der Brauerknechte Bruderschaft
In dem Jahr nach Christi Geburt, man schreibt Tausendvierhundertsiebenundvierzig, auf dem Tage St. Vinzenz, des heiligen Märtyrers, begründen wir, Lüthke van Ermessen und Johann van den Hagen, eine Bruderschaft mit den Brauerknechten zu Hamburg, in der Ehre des Allmächtigen Gottes, der himmlischen Königin Maria, in besonderer Weise an der Ehre des heiligen Märtyrers St. Vinzenz. Und geloben, dass es vier Oberälterleute geben soll, wegen der Bruderschaft, welche dieses auch Zeit ihres Lebens bleiben sollen, dieser Bruderschaft treu und nach ihrem Besten bestrebt. Sie sollen zu sich VI gute treue Brauerknechte wählen, welche das Bahrtuch und das Baumlicht zu demjenigen tragen sollen, welcher aus dieser Bruderschaft gestorben ist. Diese VI Knechte mögen und sollen wir jedes Jahr neu ab- und einsetzen. Nach Weise und Gewohnheit dieser Bruderschaft soll man diese jedes Jahr zwei -mal begehen mit Vigilien und Seelenmessen, des Sommers am Sonntag nach dem St. Johannestag, des Winters am sechsten Sonntag nach dem St. Vinzentag. Die Bruderschaft hat den heiligen Vinzenz von Saragossa als Fürbitter ausgewählt. Dieser spanische Märtyrer, der 304 in der diokletianischen Verfolgung gestorben ist, ist der Patron der Holzfäller und Winzer, und damit wohl auch der Brauer. St. Vincentius wurde im Dom und in St.Katharinen an einem Altar, zusammen mit Papst Silvester (Keyser (Verehrung), S.112.) oder zusammen mit dem Heiligen Kreuz (Vollmers, S.575) verehrt. In St.Katharinen befanden sich auch ein großes silbernes Vincentiusbild und in einer Reliquienmonstranz der Arm des Heiligen (Keyser (Ausstattung), S.253.). Dort bestand auch schon die eine Bruderschaft der Brauer, die den oberen Ständen angehörten, die Katharinenbruderschaft (Brandes, I S.92). Zu besonderer Ehre der Märtyrers wird die Brauerknechte Bruderschaft am St.Vinzenztag (22.Januar) 1447 geschlossen, wobei neben Gott auch die traditionelle christliche Fürsprecherin Maria angerufen wird. Zur Leitung der Bruderschaftsaktivitäten sollen vier Oberälterleute auf Lebenszeit gewählt werden, welche wiederum jährlich sechs Brauerknechte, die jungen Älterleute, bestimmen, die beim Totengeleit für Brüder vorangehen sollen. Die Abhängigkeit der Brauerknechte von ihren Brotgebern würde hier deutlich, da die Oberälterleute aus dem Brauerkreise gewählt worden sein sollen (Brandes, I S.100). Neben den Älterleuten stehen die normalen Brüder und Schwestern. Es sollen järhlich zwei Bruderschaftsfeiern begangen werden, am Sonntag nach St.Johannis (24.Juni) und am sechsten Sonntag nach St.Vinzenz (22.Januar), mit Nachtwachen und Seelenmessen für die Verstorbenen.
- | Auch Eine jeweilige Schwester oder Bruder sollen des Jahres 2 Weißpfennige als Pflichtgeld geben, welches die jungen Älterleute nach Güte und Gewohnheit der Bruderschaft einsammeln, und die Knechte bitten, dass sie mitspenden, wie es die Bruderschaft begehrt. Hier wird deutlich, dass sowohl Männer als auch Frauen für ein jährliches Pflichtgeld Mitglieder der Bruderschaft sein konnten. Nicht selten waren über die Hälfte der bruderschaftlichen Mitgliedschaft Frauen, doch auch wenn sie an den geselligen und religiösen Ereignisse des Bruderschaftslebens teilnahmen, das gemeinsame Mahl assen und bei Gottesdiensten mitfeierten, sowie Altar- und Lehensstiftungen tätigten, konnten sie nicht in die Führungsorgane gewählt werden und besaßen kein Wahlrecht, konnten die Wahlen also nur indirekt beeinflussen (Rahn, S.173).
- | Auch Welcher Ältermann Hunger litte, der soll eine gute Tonne Hamburger Bier und ausreichend Kost nach redlicher gewohnter Weise haben. Das soll die Bruderschaft alles bezahlen. Dies ist der Fürsorgeaspekt der Bruderschaft, ein leitendes Mitglied in der Not wird mit ausreichender Nahrung versorgt.
- | Auch Will da einer in diese Bruderschaft eintreten, der soll dem Priester einen Blaffert geben, für das Einschreiben. Für das Einschreiben in die Bruderschaftsliste soll dem Priester eine Bezahlung angedeihen, da mit dieser Teilhabe an der Bruderschaft nun schon das erste Heil erlangt wurde. Zudem war es niemals verkehrt, einem Geistlichen Geld angedeihen zu lassen.
- | Auch Des Sommers, wenn die Bruderschaft für diesen Tag begangen wird, so soll nachmittags ein jeder sein Pflichtgeld in ein dafür bestimmtes Haus bringen. Und die jungen und alten Älterleute sollen den Schwestern und Brüdern zwei Tonnen Hamburger Bieres, 1 Brot und 1 Stück Käse geben. Wieder eine praktische Anweisung: für das Bruderschaftsessen im Sommer soll das Geld gesammelt werden, damit die Älterleute für die Brüder und Schwestern Bier, Brot und Käse kaufen können. Das gemeinsame Mahl war ein wichtiges Merkmal der Bruderschaftsversammlung, um sich der Zusammengehörigkeit zu versichern. Viele Bruderschaften scheuten keine Kosten und Mühen, um das Mahl angemessen zu feiern. (Rahn, S.170.) Hierbei tauchte auch immer wieder der Vorwurf der Verschwendung und Rauschsucht auf.
- | Auch Die jungen Älterleute, welche dazu bestimmt werden, sollen das Bahrtuch und das Baumlicht zu dem Bruder oder Schwester tragen, welche verstorben sind. Welcher das nicht tut und nicht bei dem Lichte ist, wenn die Leiche über den Rinnstein getragen wird, der soll VI Pfennig Strafgeld geben. Bei der Beerdigung sind die dazu bestimmten jungen Älterleute bei Strafe verpflichtet mit Bahrtuch und Baumlicht anwesend zu sein, wenn die Verstorbenen aus dem Hause auf die Straße getragen werden. Vielleicht ist hier sogar eine allgemeine Anwesenheitsverpflichtung für alle Mitglieder ausgesprochen. Den gestorbenen Mitgliedern soll in der Grableite Ehre erwiesen und deren Mitgliedschaft auch über das Leben hinaus bekräftigt werden.
- | Auch Die Älterleute geben Almissen (Anm.: kleinere geistliche Stiftung), und welcher beim Gebet am Sonntag, wenn man das Weihewasser gibt, nicht dabei ist, der soll auch VI Pfennig Strafgeld geben, und dieser Bruder soll außerhalb Gottes sein. Die Älterleute haben die Verpflichtung Almosen zu verteilen, und beim Gebet am Sonntag, wenn das Weihwasser ausgegeben wird, daran teilzuhaben. Wer dieses versäumt, der bezahlt nicht nur Strafe, sondern wird auch außerhalb Gottes gestellt, aus der Bruderschaft und der gesamten christlichen Gemeinschaft zumindest zeitweilig ausgeschlossen. Durch die Almosen und die Teilnahme am Gebet, soll nicht nur die Frömmigkeit bewiesen werden, sondern konkret Heil für sich selbst und die Bruderschaft gesammelt werden, indem gottgefällig der Arme versorgt und an der Messe teilgenommen wird.
- | Auch Welcher Ältermann seine Aufgaben mit Frevel von sich täte, der soll nicht mehr würdig zu einem Ältermann sein, sondern die Oberälterleute bestimmen einen neuen. Für Älterleute, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen und ihres Amtes nicht würdig sind, besteht die Möglichkeit der Absetzung und der Neubestimmung von Nachfolgern.
- | Auch Wenn die Ältereleute zusammen sind, so sollen sie friedsam sein, seien sie Alte oder Junge. Dies ist die Aufforderung zur Friedsamkeit bei Bruderschaftsversammlungen,
- | Auch Niemand soll den anderen mit Bier_trinken_ nötigen, gerade weil es unsere Gerechtigkeit so ausweist. daneben soll bei Treffen niemand zum übermäßigen Biertrinken genötigt werden. Dies ist ein Hinweis, dass die Versammlungen der Brauerknechte, wie generell Gemeinschaftsveranstaltungen, auch mal aus dem Ruder laufen konnten.
- | Auch Wenn man diese Bruderschaft begehen will, so soll man das dem Kirchherren VIII Tage im voraus sagen, und die Memorienfeiern in allen Kirchspielkirchen lassen. Sobald ein Bruderschaftstreffen mit Totengedenken stattfinden soll, so ist dies dem Kirchherren (von St.Katharinen) acht Tage im Voraus mitzuteilen, und für Totengedenkfeiern in allen vier Kirchspielkirchen sorgen,
- | Auch So sollen die Oberälterleute dem Kirchherren für den Seelenbrief mit III lübschen Schilling entlohnen. wofür dem Kirchherren für die Fürbitte eine Bezahlung zusteht.
- | Auch Des Sonntages nach Fronleichnam, wenn die Knechte das Licht getragen haben, sollen die Oberälterleute ihnen ein Viertel Bier und einen Grapenbraten geben. Für die sechs Brauerknechte, die das Licht am Sonntag nach Fronleichnam getragen haben, sollen die Oberälterleute ein Essen mit Bier veranstalten.
- | Auch Falls irgendein Ältermann eine Rente von dieser Bruderschaft an sein Haus ließe für die Rente, so daß die Bruderschaft ihre Rente daran verlöre, so sollen und mögen die anderen Ober-Älterleute mit den jungen ihren Hauptstuhl mit der aufgeschobenen Rente einziehen von den Gütern des Ältermannes, habe er seine Güter binnen der Stadt oder außerhalb, sie seien beweglich oder unbeweglich. Dies haben wir, also Lütke van Emersen (sic!), Lüthke Breyde, Hans Hase und mit allen jüngeren Älter-Leuten, bestimmt, so dass wir und alle unsere Nachfolger das einhalten wollen und sollen als ein bestimmtes Recht. Wenn ein Ältermann Bruderschaftsvermögen veruntreute, so können die anderen Oberälterleute an seinem Besitz Schadensansprüche geltend machen.
- | Auch Die Ober-Älterleute sollen auf ewige Zeit die Macht haben und behalten, die Commende zu belehnen, wenn sie wegen des Todes verfällt, einem ehrlichen Priester im göttlichen Willen oder einem tugendhaften Schüler, welcher dabei ist noch im selben Jahr Priester zu werden. Und dieser soll auch kein anderes Lehen haben, wenn er mit der Commende belehnt wird. Die Brauerknechts Bruderschaft verfügte über die Mittel, einen niederen Geistlichen (der nebenher trotz des Verbotes noch andere Verpflichtungen hatte, etwa als nichtresidierender Kirchherr anderswo (Vollmers, S.578)) als Kommendisten zu bezahlen, als Inhaber einer der Altarstiftungen am Vinzentaltar in St.Katharinen. Das Recht zur Bestimmung des Geistlichen nehmen die Oberälterleute wahr, und natürlich soll es sich bei ihm um einen tugendhaften und gottgefälligen Menschen handeln.
- | Auch Oder unter den Ober-Älterleuten welche wären, die einen Sohn haben, welcher Priester oder noch ein Schüler wäre, und binnen eines Jahres Priester würde, und er von einem tugendhaften Lebenswandel ist, der soll als nächstes dieses Lehen oder Commende erhalten. Wenn nicht, sollten die Oberälterleute für diese Commende einen ehrlichen Priester oder Schüler, dem die Bruderschaft zugetan, und der auch dieser Bruderschaft nützlich zugetan ist, hier haben, das macht Herrn Gerd Stötebrock zum ersten Besitzer dieser Commenden, diese zu besitzen und zu gebrauchen. Bis zum Tode des Herrn Gerdes, die Zeit seines Lebens, haben wir Oberälterleute ihm diese Unterstützung mit gutem Willen und in Eintracht zugewidmet. Hier wird vorgeschlagen, einen Sohn der Oberälterleute mit der Kommende zu belehnen, falls er Priester sei oder bald würde. Da dies nicht der Fall ist, wird der der Bruderschaft freundlich verbundene Gert Stötebrock bis zu seinem Tode Inhaber der Kommende.
- | Auch Die Oberälterleute sollen einen Ratsherren wählen, der im St. Katharinen Kirchspiel wohnt. Und die Bruderschaft bei jederlei Angelegenheit, käme sie von geistlichen oder weltlichen Personen, soll seinen Rat hinzuziehen. Der soziale und politische Aspekt dieser Bruderschaft der aufstrebenden Brauerknechte wird darin deutlich, dass ein Ratsherr bestimmt werden soll, der die Bruderschaft in weltlichen oder geistlichen Dingen als Patron vertreten soll.
- | Auch Falls man ein Almosen zuteilen soll oder will, sollen das die Ober-Älterleute mit den jungen Älterleuten einträchtig tun, und erkrankte oder verarmte irgendein Brauerknecht, der soll nächst Almosen empfangen. In diesem Punkt wird nocheinmal auf die Fürsorgetätigkeit eingegangen. Nachdem zuvor bereits die Versorgung von Älterleuten in Not geregelt wurde, wird hier bestimmt, dass zunächst erkrankte oder verarmte Brauerknechet versorgt werden sollten, bevor gemeinsam bestimmt wird, wer sonst ein Almosen erwarten kann.
- | Auch Der Priester, der diese Commende innehat, der soll jeden Sonntag, wenn er an den Kirch- hof gegangen ist, eine Messe lesen, oder ein anderer Priester für ihn, jedoch dem Vikar nicht zum Nachteil. Ebenso soll er des Montags und des Mittwochs auch Messen lesen, oder an zwei anderen Tagen in der Woche, wenn ihm Gott die Gnade gibt, für die Lebenden und Toten dieser Bruderschaft. Der Kommendist soll jeden Sonntag nach der Prozession eine Messe lesen, oder in Vertretung lesen lassen, ohne den Vikar, der sonst am Altar tätig ist, zu stören. Ebenso soll dies möglichst auch Montags und Mittwochs geschehen, für die Toten und Lebenden der Bruderschaft. Hier wird der Gedanke der Gemeinschaft der Lebenden und der Toten sehr deutlich, zu deren Heil in den Gebetsmaschinen des Mittelalters Messen gelesen und Fürbitte geleistet wurde.
- |Auch Falls man Älterleute wählen sollte, so sollen die jungen Älterleute den Ober-Älterleuten zuvor zusagen, und sie sollen sie sämtlich mit ihrer aller gutem Rate wählen. So ist Herr Gerdt Stötebrock, der erste Besitzer dieser Commende, übereingekommen mit den Ober-Älterleuten und auch mit den jungen, dass er und seine Nachfolger jedes Jahr nach der Osterwoche, den Ober-Älterleuten und den jungen ein Viertel Bier und eine Mahlzeit geben darum dazu, dass sie ihm und seinen Nachfolgern seine Rente zu zwei Zeiten im Jahr, nämlich nach der Osterwoche 15 Mark und genauso nach St. Michaelis, desto fleißiger bringen und geben sollen. Neue Älterleute sollen einstimmig gewählt werden, wobei die jungen Älterleute bereits zuvor den Oberälterleuten ihre Zustimmung geben sollen. Als letzte Bestimmung, wohl noch hinten an die Urkunde herangehängt, verpflichtet sich der Inhaber der Kommendenstiftung mit seinen Nachfolgern jedes Jahr den Älterleuten nach der Osterwoche mit Bier und Essen zu bewirten, damit sie ihm die Rente, seinen Lohn für die Tätigkeit in der Kommende, umso bereitwilliger geben sollen. Der Lohn dieser Kommende ist mit 30 Mark im Jahr deutlich über dem Durchschnittseinnahmen eines Geistlichen in St.Katharinen von 20 Mark, doch einige andere Stellen in dieser Kirche waren noch besser dotiert (Keyser (Einkünfte), S.217.). Gerd Stötebrock hatte die Kommende wohl bis 1508 als erster Besitzer inne, für seinen Nachfolger Nikolaus Meyer sind Zahlungen noch für 1525 nachweisbar. (Vollmers, S.578)
[Anmerkung: Im Text kursiv Geschriebenes ist entweder unsicher (so nur Anfang Punkt 13 und das Baumlicht), Anmerkung oder Ergänzung.]
Stiftungen
Die gesteigerte Frömmigkeit der Stadtbewohner gegen Ende des Mittelalters fand seinen Ausdruck nicht nur in der verstärkten kirchlichen Bautätigkeit an den Kirchen und ihre immer reicher werdende Ausstattung mit Bildern, Epitaphien, Fenstern, Altären und Altargerät durch private Einzelpersonen aber auch durch Gruppen wie Handwerksämter, Gilden und Bruderschaften. Auch fand ein vermehrter Erwerb von Sitzplätzen und Grabstellen in den Kirchen statt. Besonders seit der Mitte des 15.Jahrhunderts kam es zu seiner starken Zunahme der kirchlichen und karitativen Stiftungen. Diese dienten als Altarstiftungen (Messen, Vikarien, Kommenden, Stundengebeten, Marienzeiten usw.) oder als mildtätige Gaben, die den Bedürftigen oft nur symbolisch und unzulänglich halfen, zunächst dem Stifter selbst. Ebenso wie das florierende Ablasswesen diente eine solche Spendentätigkeit zunächst dem Stifter (oder den ihm verbundenen Personen) selbst, um Vorsorge für sein Seelenheil im Jenseits, zumal in der Zeit im Reinigungs-, Straf- und Bußort des Fegefeuers, zu treffen. Die Menschen sicherten sich derart schon zu Lebzeiten, vor allem jedoch in Testamenten, für das nachirdische Leben ab.(24) Es folgen nun beispielhaft vier Testamente in Abschrift, die darauf kurz kommentiert werden.Quellen: Testamente
Testament des Heinrich Uppenperde (um 1336-38)
"Im Namen des Herrn, amen. Ich, Eler Steding, obwohl ich am Körper krank bin, dennoch gesund und teilhaftig meiner Vernunft, da ich nicht ohne Testament sterben und meine Güter ungeordnet zurücklassen will, wenn ich in dieser Krankheit vom Tode überrasch werde, verfüge mein Testament auf diese Weise: Erstens bin ich verpflichtet, Herrn Heinrich von Stendal und seinem Sohn Winand 20 Mark zu zahlen, Keno von Stade 15(1/2) Mark, Bernhard, dem Schwiegervater Diliges', 3 Mark, Diliges 10 Pfund Wachs zu 22 Pfennig. Außerdem schulde ich Ludekin Nannen 28 Schilling, Ludekin Rodenborch 13(1/2) und 1 Mark für Grauwerk, [...] St. Katharinen 4 Schilling ohne Rente und 3 Schilling von einer alten Rente, Papendorp 6 Schilling [...], dem Heiligen Geist, 1 Pfund zum Osterfest und 1Pfund zum Fest St. Johannis, und diese zwei Pfunde werden in der Badestube beim Heiligen Geist in Empfang genommen. Außerdem habe ich den Herrn eine Pilgerfahrt nach Rom für mich und meine Ehefrau gelobt; diese zu vollbringen, wird einer gemietet werden.Dieses wird mir zu zahlen geschuldet: Erstens aus der Badestube beim Heiligen Geist 3 Pfund und 3 Schilling als Miete zum Osterfest und 2(1/2) Schilling als Miete; aber von diesen drei Pfunden wird 1 Pfund zum Osterfest geschuldet. [...] Schipbeke 3 Last Tonnen und 3 Tonnen, Ringstede 13 Tonnen und eine Last halber Tonnen, Meister Johannes, Böttcher, 2 Tonnen, der Sohn Kedinges 1 Pfund von den drei obengeschriebenen Pfunden. Außerdem habe ich an dem Schiff Johann Sasses 1 Pfund, das ich von ihm rechtmäßig erworben habe.
Testament des Eler Steding (1350)
Ich vermache aber für den Bau St. Nikolai 4 Schilling, dem Pfarrer 4 Schilling für das Schreiben der Memorie in eine Urkunde. Außerdem vermache ich den Minderbrüdern 8 Schilling. Für den Bau St. Petri 4 Schilling und dem Pfarrer 4 Schilling für das Halten der Memorie; für den Bau St. Jakobi 4 Schilling und dem Pfarrer 4 Schilling für das Halten der Memorie, St. Georg 4 Schilling für den Bau, St. Katharinen 4 Schilling, dem Pfarrer 4 Schilling für das Halten der Memorie während eines Jahres. Außerdem vermache ich meiner Magd ein blaues Unterkleid. Außerdem vermache ich den Minderbrüdern ein Pfund. Außerdem vermache ich meiner Schwester 2 Mark Einkünfte als Leibgedinge. Außerdem vermache ich ihr 5 Mark, damit sie 8 Schilling Einkünfte kauft. Außerdem vermache ich dem Konvent in Harvestehude 2 Mark. Außerdem vermache ich Helmic, nämlich meinem Schreiber, 4 Schilling.
[Es folgt die Einsetzung der Testamentvollstrecker.`]"
Testament der Magd Tybbeke (1328/45)
"Tybbeke, ehemals Magd des Johann Rode (Rufus), hat vermacht: St. Katharinen 1 Mark und einen grünen Mantel, und sie will dort begraben werden; und hat Herrn Johann Drehus 1 Mark gegeben, St. Nikolai 8 Schilling, St. Petri 8 Schilling, St. Jakobi 8 Schilling, dem Pfarrer der Kirche St. Jakobi 4 Schilling, dem Pfarrer der Kirche St. Katharinen 4 Schilling. Außerdem hat sie ihrer Schwester all ihrer Hausrat gegeben außer drei Kissen und einem Paar Bettüchern und zwei Töpfen; diese Kissen, Töpfe und Bettücher wird Hasso, ihr Ehemann, mit allen anderen Gütern erhalten, die dieselbe Tybbeke hinterläßt; denn es sind erworbene Güter. Außerdem hat sie Herrn Johann, Kaplan an St. Jakobi, 2 Schilling gegeben"
Testament der Alheit Wolders (1390)
"Im Namen der heiligen und einigen Dreifaltigkeit; amen. Die nichts Gewisseres ist als der Tod und nichts Ungewisseres als die Stunde des Todes, beabsichtige ich, Alheit Wolders, Bürgerin zu Hamburg, zu den heiligen Stätten zu wandern. Für den Fall, daß ich auf der Reise, was Gott verhütet möge, sterbe, mache ich in dieser Wiese mein Testament, derart, daß ich zuvor in gutem Glauben bekunde, daß ich von meinen Verwandten kein Erbe, kein Gut empfangen habe, sondern, was ich habe und besitze, mit meiner sauren Arbeit erworben habe. Darum gebe ich zuerst für die Seligkeit meiner Seele um Gottes willen für den Bau der Kirche unserer lieben Frau. 1 Mark lübisch, für St. Katharinen 1 Mark, für St. Nikolai 1 Mark, für den Heiligen Geist 1 Mark, für St. Marien Magdalenen 2 Mark, für St. Johannis 1 Mark, für St. Petri 1 Mark, für St. Jakobi 1 Mark, für St. Gertruden, wenn man dort zu bauen beginnt, 3 Mark, der Brüderschaft von Jerusalem 1 Mark, der Brüderschaft St. Petri 1 Mark. Außerdem gebe ich Mettike, Abele und Wybeke, einer jeden 5 Mark, Falls sie ausgesteuert werden. Für St. Georg 1 Mark. Außerdem gebe ich vier Klosterfrauen, nämlich Gheseke, Metteke und zwei Alleken, meinen Muhmen, meine besten Kleider, Mantel und Oberkleid. Auch soll man 3 Meßgewänder zum Gottesdienst machen von der gebleichten Leinwand, die in meiner Truhe ist. Wulf, der Schuhmacher, ist mir 4 Mark lübisch schuldig. Clawes Nypert wird mir auf St. Peterstag in der Fastenzeit 1 Pfund für meine Pfanne schuldig. Außerdem gebe ich alles andere Gut, das nicht vergeben ist, meinen rechten Erben. [Es folgen die Namen der Testamentsvollstrecker, der Zeugen und das Datum.]"
Quellen: Kommentar
Wenn man die Testamente miteinander vergleicht, wird deutlich, dass neben den auch heute noch üblichen Vermachungen an die Erben, Freunde und Verwandte, noch geschuldetes Geld zurückgezahlt bzw. verliehenes zurückgefordert, ein reiner Tisch gemacht wird, und zudem ein nicht geringer Teil der Erbmasse in irgendeiner Form an die Kirche ging. Dies diente, wie bereits zuvor beschrieben, nach dem mittelalterlichen Frömmigkeitsverständnis als gute Geldanlage für die Zeit im Jenseits, die derart abgesichert einigen Schrecken verlieren konnte. Heinrich Uppenperde etwa wählt seinen Begräbnisplatz bei den Armen Brüdern der Franziskaner, die ob ihrer gottgefälligen Lebensführung als Fürbitter besonders geeignet waren. Ihnen hinterlässt Uppenperde Geld und seine neue Handglocke, ihrem Lektor Geld. Zusätzlich spendet er wohl St.Katharinen seinen neuen Rock (aus dem man z.B. Zeremonialgewänder für die Priester oder Altartücher machen konnte), wie er auch dem dortigen Kirchherren Geld zukommen lässt. Seine Kinder erhalten auch Geld aus Rentenzahlungen, zudem wahrscheinlich damit sie als Mönche Fürbitte leisten können.Eler Steding dagegen lässt St.Katharinen und wohl dem Heiligen Geist Hospital Geld- und Sachwerte zukommen. Zudem stiftet er für die Kirchenfabrik an St.Nikolai, St.Petri, St.Jakobi, St.Katharinen und St.Georg, und lässt Seelenmessen an allen Kirchen bis auf die St.Georg Kapelle für eine bestimmte Zeit vom Kirchherren lesen. Auch die Frankziskaner und die Zisterzienserfrauen in Harvestehude werden bedacht, die für Stiftungen mit ihrem Armutsideal beide hervorragend geeignet waren. Interessant bei diesem Testament ist, dass der Erblasser eine gottversprochene Pilgerfahrt nach Rom nicht selber mehr leisten kann, jedoch einen Stellvertreter dorthin schickt, um dieses Versprechen einzulösen. Zudem dürfte eine Reise nach Rom noch zusätzlich Heil gebracht haben. Während die Herren Uppenperde und vor allem Steding sich durch ihre umfangreichen Absicherungszahlungen an die Geistlichkeit einigermaßen gut auf die Zeit nach dem Tode abgesichert gefühlt haben könnten, waren jedoch nicht alle Menschen mit einem solchen Vermögen gesegnet. Doch selbst dann waren sie bereit, einiges von ihrem wenigen, für den besten Zweck herzugeben.
Die Magd Tybbeke etwa hinterlässt den größten Betrag mitsamt ihres grünen Mantels St.Katharinen, um dort auch begraben zu werden. Und ebenso wie die Wohlhabenderen versicherte sie sich der Fürbitte in den Kirchen der Stadt: St.Nikolai, St.Petri und St.Jakobi erhalten Geld (wohl ebenfalls für die Kirchenfabrik), zudem erhalten die Pfarrer von St.Jakobi und St.Katharinen Zahlungen (wohl für Seelenmessen), wie auch der Kaplan zu St.Jakobi.
Mit mehr Vermögen ausgestattet war wieder Alheit Wolders, die dieses auch heilbringend einzusetzen wusste. Sie beabsichtigte eine Pilgerfahrt ins Heilige Land, und machte vorsorglich ihr Testament. Darin stiftet sie für den Bau am Dom, ebenso wie für die für Kirchspielkirchen, die Kapelle des Heiligen Geist Hospitals, die Klosterkirchen St.Marien Magdalenen und St.Johannes, für den Bau St.Gertrudens, wie auch für die Bruderschaften von Jerusalem und St.Petri und das St.Georgs Hospital insgesamt nicht wenig Geld. Ihr verwandte vier Nonnen erhalten ihre besten Kleidungsstücke, und sie stiftet Tuch für Messgewänder. Die Wolders schaffte es, bei allen Kirchen sowie den wichtigsten sonstigen kirchlichen Einrichtungen der Stadt, und zudem noch bei Bruderschaften und Nonnen, Stiftungen zu tätigen, welches ihre quasi die Fürbitte der gesamten Stadt im Todesfall sichern sollte.
Altarausstattung
Im 14. und 15.Jahrhundert erreichte die sakrale Möblierung der Hamburger Kirchen ihren Höhepunkt, die Kirchenbauten wurden fortgesetzt mit Altären bestückt. Jede dieser Altarstiftungen bedeutete nicht nur eine Einnahmequelle für die Kirche, in welcher der Altar stand, sondern beinhaltete auch die Ausstattung des Altars und des an ihm tätigen Klerus. Die Geistlichen wurden mit Gewändern zu verschiedenen Anlässen ausgestattet, auch der Altar war mit kostbar bestickten Behängen versehen. Zudem waren zur Vollziehung der Kulthandlung, vor allem der mittelalterlichen Messe als Opferfeier für das Seelenheil der Lebenden und Verstorbenen, geheiligte Utensilien wie Kelche, Patenen, Weihrauchgefäße und Monstranzen für die Darbietung der gewandelten Hostie (die nun das Fleisch Christi war) notwendig, wie auch das Besitzen einer entsprechenden Reliquie nicht das Schlechteste war.(25)Jeder der 154 Altäre in der in den Kirchen der Stadt (ausgenommen die Klosterkirchen St.Johannis und Marien-Magdalenen) war einem oder einer Gruppe von Heiligen geweiht, jedoch nicht unbedingt mit einem geschnitzten oder bemalten Altarbild versehen. Der gerade im Spätmittelalter ausgeprägte Heiligenkult, in dem auf die Wirksamkeit der Fürbitte der Heiligen bei Gott stark vertraut wurde, bewirkte diese große Anzahl der Heiligen gewidmeten Altäre. Im Dom wurden an den Altären 48 Heilige verehrt, in St.Petri 26, in St.Nikolai und St.Katharinen je 20 und 19 in St.Jacobi. Hinzu kamen noch die Heiligen, die an den Altären nur mitverehrt wurden.(26) Herausgehoben ist die Mutter Gottes Maria, der besonders viele Zuwendungen und Widmungen gemacht wurden, da ihr eine besondere Vermittlerposition zu ihrem Sohn zugestanden wurde. Von den 360 Vikaren und Kommendisten, die 1508 am Dom und an den Pfarr- und Spitalkirchen beschäftigt waren, waren am Dom 85, an den Pfarrkirchen St.Petri 68, Sti.Nikolai und St.Katharinen je 64 und St.Jacobi 39, sowie an den Spitalkirchen und Kapellen Heiligen Geist 16, St.Clemes 6, St.Gertrud 4 und St.Georg 14 anzufinden.(27)
Die Altäre wurden durch Donationen (einmaligen Schenkungen mit nur einmaligem Nutzen für das Seelenheil des Stifters oder der bedachten Person) mit Kunst- und Gebrauchsgegenständen versehen, wohingegen sie durch Stiftungen mit einer finanziellen Grundlage ausgestattet wurden. Eine Stiftung konnte auch Donationen umfassen, bestand selbst aber aus einer angelegten Summe Geldes oder überschriebenem Grundbesitz an einen bestimmten Altar einer Kirche, der Pfründe. Deren Einnahmen wurden hauptsächlich verwendet, um einen oder mehrere Priester zu bezahlen, welche für den Stifter an dem mit der Stiftung bedachten Altar täglich oder in bestimmten Abständen Seelenmessen lasen. Die Stiftungen waren bis zum Jüngsten Tag gedacht, weswegen eine sichere Verwaltung des Pfründekapitals für eine möglichst langwährende Wirksamkeit der Fürsprache notwendig war. Hierdurch wurden die Stiftungen profan ein maßgeblicher wirtschaftlicher Faktor für die Kirche und die Stadt.(28) Neben den Rentezahlungen, die als Zinsen sechs bis neun Prozent der gestifteten Darlehensumme bzw. des Grundstückswertes betrugen, bestanden die Versorgungsleistungen für die Altäre auch aus Naturalien, vor allem Getreide, aber auch an mehrere Vikarien erhielten erhebliche Lieferungen Salz aus der Lüneburger Saline. Dreiviertel der Einnahmen kamen aus Hamburg, der Rest vor allem aus der näheren Umgebung der Stadt (Vierlande, Stormarner Gebiet, Kremper Marsch, Wilster Marsch, Dithmarschen, Alteland, Land Kehdingen und Hadeln), wobei einige Vikare auch Anteile aus Zöllen des Grafen von Holstein in Oldesloe und einigen Domvikaren Geldleistungen des Kapitels erhielten. Hieraus ist ersichtlich, dass die niederen Geistlichen, je nach Kirche und Altar, an dem sie beschäftigt waren, mit unterschiedlich hohen Einnahmen rechnen konnten, wobei die Domvikare die beste Bezahlung bekamen. Auch wird deutlich, dass der kirchliche Lebensraum Hamburgs weit über die Mauern der Stadt herausreichte, und ebenso das Umland umfasste. Die Zinsen und die Abgaben wurden als Ausdruck der persönlichen Frömmigkeit der Kaufleute, Handwerker und Bauern den Heiligen für das eigene Seelenheil teils über Generationen dargeboten.(29) Doch die Kirche schien immer weniger in der Lage zu sein, diesem gut bezahlten Anspruch gerecht zu werden.
Kleruskritik bis zur Reformation
Die dürftige Dotierung der Stellen der großen Mehrheit der Niedergeistlichkeit und dazu wohl auch handfester Erwerbssinn bewirkte bei vielen Kleriker ein stattliche Pfründeaufhäufung, das Ansammeln von Meß- und Gebetsverpflichtungen verschiedener Stifter.(30) Immer wieder wurden (schon seit dem 14.Jahrhundert) gegen den höheren und niederen Klerus in Hamburg Vorwürfe laut. Diese beanstandeten eben Ämterhäufung, Pfründenschacher, Unterschlagung von Stiftungsgeld und Stiftungsgut, aber auch Amtsunfähigkeit, religiöser Oberflächlichkeit,(31) Ungebildetheit (Nichtfähigkeit zur Predigt und ungenügende Lateinkenntnisse),(32) Sittenlosigkeit, die sich besonders in der Missachtung des Zölibats äußerte (auch nach kanonischen Recht eine Todsünde,(33) sowie steuerliche Privilegien (der weitreichenden Freiheit von Abgaben und bürgerlichen Lasten) und besondere Befugnisse bei der kirchlichen Verwaltung einschließlich des schulischen Bereichs. Hinzu kam die Freiheit auch von weltlicher Justiz und die Ansprüche geistlicher Gerichtsbarkeit, die bereits Bann und Interdikt selbst in Bagatellsachen verhängte, und damit die Betroffenen vom gesamten kirchlichen Leben ausschloß. Die Kirchenkritik und der Ansehensverlust des Klerus hatte im Spätmittelalter konkrete Folgen. In den 1520er Jahren wurde die Kirche geschwächt, da die Zinseinkünfte, frommen Stiftungen und Opfergaben empfindlich zurückgingen, teilweise gänzlich abrissen, und die Obrigkeiten mit neuen Steuerforderungen an sie herantraten. Doch betraf die Kritik Einzelerscheinungen in der Kirche, nicht diese selbst. Die Frömmigkeit geriet in einen wachsenden Gegensatz zum inneren Verfall der Anstaltskirche.(34)Bereits seit dem 14.Jahrhundert war durch die Spendierfreudigkeit der Bürger ein nicht kleiner Teil des städtischen Grundbesitzes an das Domkapitel gegangen, wodurch es dem Zugriff des Rates entzogen wurde.(35) In den letzten Jahrzehnten des 15.Jahrhunderts mehrten sich die Beschwerden des Rates und der Bürgerschaft gegen die kirchenrechtliche Stellung und die Maßnahmen des Domkapitels. Der Rat wandte sich gegen die Steuerfreiheit der Geistlichen, die Erhöhung des Schulgeldes, den persönlichen Besitz von Geistlichen an Grundstücken und ihr Betrieb von Brauhäusern, und forderte die Beteiligung der Kirchgeschworenen an der Besetzung der Pfarrstellen und die Unterstellung der Geistlichen unter die ordentliche Gerichtsbarkeit. Dies wurde 1498 in 60 Klagepunkten zusammengefasst, und wandte sich auch gegen den Bann, den das Kapitel über einige Ratsherren verhängt hatte, wie gegen das Interdikt, das von 1499 bis 1508 über die ganze Stadt verhängt wurde. Durch einen Papstlegaten konnte die Ordnung 1503 im kirchlichen Leben zumindest teilweise wiederhergestellt werden.(36)
Auch versuchte die Kirche der Kritik zu begegnen, indem sie etwa Maßnahmen zur strengeren Sittenzucht unter den Klerikern oder zur Verbesserung der Ausbildung traf. Ein gutes Beispiel für diesen Reformwillen in der Kirche ist der Hamburger Bürgersohn Albert Krantz (1448-1517), der nicht nur als humanistischer Gelehrter einige Geschichts- und andere literarische Werke verfasste, als Ratssyndikus Lübecks Verhandlungen mit dem Papst, mit England und Flandern führte, sondern seit 1508 auch Domdekan in Hamburg war. Unverzüglich veranlasste er eine Visitation der dem Kapitel unterstellten Kirchen (die 1521 und 1525 von seinen Nachfolgern wiederholt wurden), um das unter Schwund leidende Inventar zu erfassen und zu bewahren, ebenso wie er auch gegen ungelehrte und ungeeignete, sowie unkeusche Priester agitierte.(37)
Doch der Wandel der bürgerlichen Frömmigkeit, hin zu einer neuen Wortbezogenheit des Glaubens, die nach evangelischer Predigt verlangte, wurde durch die Lehren des Wittenbergers Martin Luther besser angesprochen, als es durch die verharrende alte Kirche. Um 1519 gelangten die ersten Schriften Luthers nach Hamburg, immer mehr Studenten gingen nach Wittenberg, um dort zu lernen, und seit 1521 wurde in der Katharinenkirche im neuen Geiste gepredigt. 1522 wurden lutherische Schriften gedruckt, unter denen sich 1523 eine niederdeutsche Übersetzung der hochdeutschen Übertragung des Neuen Testament durch Luther befand.(38) Nachgewiesener Weise fiel Luthers Botschaft auf verständnisreichen und fruchtbaren Boden,(39) seine Lieder und Psalmübersetzungen wurden wie anderswo zum Kampfmittel gegen den alten Gottesdienst verwandt.(40) Hatte der Hamburger Rat noch 1525 auf einem Hansetag antilutherische Artikel mitgetragen, so gab er 1528 der reformatorischen Bewegung nach, und zeigte der Wahl lutherischer Pastoren durch die jeweiligen Kirchgeschworenengremien wenig Widerstand. Mit einer Disputation im April 1528 setzte sich die Reformation endgültig durch.(41) Durch Johannes Bugenhagen (1485-1558), einem Wittenberger Mitstreiter Luthers, der 1524 als von den Bürgern gewählter Pfarrer zu St.Nikolai vom Rat noch nicht zugelassen worden war, erhielt die Hamburgische Kirche ihre neue Form. Ebenso wie Bugenhagen zuvor schon in seinem Sendbrief an die Stadt Hamburg die Gotteskastenordnung von St.Nikolai (1527) beeinflusst hatte, und der Stadt Braunschweig 1528 eine Kirchenordnung schrieb, welche das Predigt-, Schul- und Fürsorgewesen der Stadt neu ordnete, verfasste er eine solche auch für Hamburg, welche 1529 angenommen wurde.(42) Mit dieser Kirchenordnung wurde das mittelalterliche Kirchenwesen Hamburgs beendet und die reformatorische Kirche eingeführt. Die städtischen Obrigkeiten hatten die Kontrolle über die Kirche, wenn auch mit der Beteiligung von Bürgerausschüßen, gewonnen.
Anmerkungen
(1) Postel (Kirche), S.426.(2) Vollmers, S.273ff.
(3) Sarnowsky, S.100.
(4) Vollmers, S.315ff.
(5) Postel (Kirche), S.426f.
(6) Stueben, S.30.
(7) Stoob (Rat), S.361.
(8) Sarnowsky, S.99.
(9) Stueben, S.27.
(10) Keyser (Verwaltung), S.204ff.
(11) Postel (Kirche), S.427.
(12) Keyser (Verwaltung), S.204ff.
(13) Rahn, S.172.
(14) Postel (Kirche), S.427).
(15) Stueben, S.34f.
(16) Brandes, I S.77ff.
(17) Postel (Kirche), S.427.
(18) Ketschi, S.176f bzw. Rüdiger, S.160ff.
(19) Rahn, S.166-180.
(20) Rahn, S.176.
(21) Brandes, I S.76.
(22) Rahn, S.174.
(23) Sarnowsky, S.106.
(24) Postel (Kirche), S.427.
(25) Für einen Überblick über die bunte Vielfalt der Ausstattungsstücke vgl. Keyser (Ausstattung).
(26) Hierzu als Überblick: Keyser (Verehrung).
(27) Keyser (Einkünfte), S.215.
(28) Roeder, S.122ff.
(29) Keyser (Einkünfte), S.214ff.
(30) Postel (Kirche), S.427.
(31) Stueben, S.39.
(32) Postel (Theologenausbildung), S.51ff.
(33) Postel (Horenjegers), S.225.
(34) Postel (Kirche), S.428.
(35) Sarnowsky, S.99.
(36) Keyser (Verwaltung), S.208f.
(37) Vgl. Stoob (Krantz).
(38) Keyser (Verwaltung), S.210.
(39) Brecht, S.45ff.
(40) Postel (Kirche), S.428.
(41) Postel (Niedergang), S.125f.
(42) Vgl. Hauschild.
Quellen- und Literaturliste
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- Ordnung der Hamburger Leinenweber von 1373, in: Peter Ketschi (Hrsg.): Frauen im Mittelalter, Düsseldorf 1983, S.176ff.
- Ordnung der Hamburger Leinenweber von 1373 (niederdt.) mit Zusätzen vom 2.Februar 1458, in: Otto Rüdiger (Hrsg.): Die ältesten Hamburgischen Zunftrollen und Bruderschaftsstatuten, Hamburg 1874, S.160ff.
- Testament Heinrich Uppenperde, in: Rolf Sprandel (Hrsg.): Quellen zur Hanse-Geschichte (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 36), Darmstadt 1982, S.100f.
- Testament Eler Steding, Magd Tybbeke, Alheit Wolders, in: Gerhard Theuerkauf (Hrsg. & Übers.): Quellen zur Geschichte Hamburgs, in: Geschichte und Politik in der Schule 24,2 (1988), S.25-27.
- Gertrud Brandes: Die geistlichen Brüderschaften in Hamburg während des Mittelalters, in: ZHG 34 (1934), S.76-177; ZHG 35 (1936), S.57-98; ZHG 36 (1937), S.65-110.
- Martin Brecht: „Tosaginge“ und „geloven“. Neue Einsichten in die frühe Lutherrezeption in Hamburg, in: ARG 85 (1994), S.45-67.
- Wolf-Dieter Hauschild: Biblische Theologie und kirchliche Praxis. Die Kirchenordnungen 1528-1543 in Johannes Bugenhagens Gesamtwerk, in: Karlheinz Stoll (Hrsg.): Kirchenreform als Gottesdienst. Der Reformator Johannes Bugenhagen 1485-1558, Hannover 1985, S.44-91.
- Erich Keyser: Die Einkünfte der niederen Geistlichkeit an den Hamburger Kirchen am Anfang des 16.Jahrhunderts, in: ZGH 41 (1951), S.214-226.
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- Heinz Stoob: Albert Krantz (1448-1517) – Ein Gelehrter, Geistlicher Syndikus zwischen den Zeiten, in: (Von der Christianisierung), S.351-379.
- Joachim Stüben: Einleitung. Zur mittelalterlichen Kirchengeschichte Hamburgs, in: (Von der Christianisierung), S.11-41.
- Peter Vollmers: Die Hamburger Pfarreien im Mittelalter. Die Parochialorganisation der Hansestadt bis zur Reformation, Hamburg 2005.