Quellenpaket 7

Bearbeitet von Lars Pischke

Vertrag Lübeck-Hamburg (1241)

Text:

Vorbemerkung:

Diese Quelle ist ein aus dem Lateinischen übersetzter Vertrag zwischen Hamburg und Lübeck von 1241. Es handelt sich hierbei um das Vertragsexemplar aus Lübeck, wie aus dem vorgeschobenem Teil deutlich wird.

Die Städte Hamburg und Lübeck hatten bis 1226 ihre jeweils eigene politische Lage durch EchtePrivelegien bzw. Gefälschte Privelegien gesichert. Die Beziehungen zwischen den Staaten wurden dann nach und nach durch bilaterale Abkommen geregelt. Diese Verträge umfassten insbesonders die schon vorhandenen sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen, die sich zwischen den Städten im Laufe der Zeit herausgebildet hatten. Diese sind nun schriftlich fixiert worden. Der ErsteVertrag (zwischen 1226 und 1232 abgeschlossen) regelte für die Bürger beider Städte die Handelsfreiheit und Fragen des Friedens und der Sicherheit. In dem ZweitenVertrag von 1241 versuchten die beiden Staaten, Regelungen für die Sicherheit ihrer Bürger vor Angriffen von außen zu finden. Hierbei war vor allem an den Schutz vor Übergriffen durch Adlige und Bauern, die den Verkehr an den Handelsstraßen zwischen Hamburg und Lübeck und an der Elbe und der Trave durch Überfälle behinderten. Daneben wurden Fragen der Strafverfolgung geregelt.

Quelle (übersetzt):

"Der Vogt, der Rat und die Gemeinde der Stadt Lübeck bekunden im Jahre 1241: (1)"daß wir mit unseren lieben Freunden, den Bürgern Hamburgs, auf diese Weise übereingekommen sind, daß, wenn etwa Räuber oder andere Missetäter sich gegen unsere oder ihre Bürger erheben, von jenem Ort, wo der Fluß, der Trave genannt wird, in das Meer mündet, bis Hamburg und so durch die ganze Elbe bis in das Meer, und unsere oder ihre Bürger feindlich angreifen, sollen wir alles, was an Aufwendungen oder Kosten entsteht, um die Räuber zu vernichten und auszurotten, mit ihnen und umgekehrt sie mit uns gleichermaßen tragen. (2) Außerdem, wenn etwa jemand, der außerhalb der Stadt sich aufhält, im Übermut einen angeklagten Bürger Hamburgs oder Lübecks tötet, verwundet, prügelt oder auf irgendeine Weise, was unterbleiben möge, mißhandelt, sollen wir alles, was an Kosten entsteht, um das wiederzuerlangen und zu strafen, mit ihnen und sie mit uns gleichermaßen tragen, und zwar unter der zusätzlichen Bedingung, daß alles, was ihren Bürgern in der Umgebung ihrer Stadt und unseren Bürgern in der Umgebung unserer Stadt geschieht, sie mit ihren und wir mit unseren Mitbürgern auf gemeinsame Kosten strafen. (3) Weiterhin, wenn irgendwelche ihrer Bürger nahe unserer Stadt Lübeck oder unsere Bürger nahe der Stadt Hamburg mißhandelt werden, sollen wir ihren Kläger oder ihre Kläger fördern, Strafe für diese Tat zu suchen und zu erlangen, und sie sollen unseren Kläger oder unsere Kläger auf gemeinsame Kosten gleichermaßen fördern.""

übertragen aus Quellen zur Geschichte Hamburgs, übers. Gerhard THEUERKAUF, in: Geschichte und Politik in der Schule 21, 2 (1986), S. 31-44 [I]; 22, 1 (1987), S. 31-46 [II]; 24, 2 (1988), S. 14-53 [III-IV].

Quelle (original):


Erläuterungen:

(1) Schutz vor Überfällen

Dieser Vertrag regelt im ersten Teil den Schutz vor Übergriffen auf Kaufleute. Es wird bestimmt, dass die Vertragspartner Lübeck und Hamburg die Kosten der Verfolgung von Räubern gemeinsam zu gleichen Teilen tragen sollen. Diese Regelung gilt nur für Überfälle auf Bürger der Städte in dem Bereich von der Elbmündung bis zur Travemündung. Es geht inhaltlich wohl um umfangreichere, eher militärische Aktionen und nicht um normale Strafverfolgungsmaßnahmen, denn diese sind in (3) anders geregelt worden. Insbesondere taucht der Begriff "Kläger" hier nicht auf.

Außerdem bezieht sich der räumliche Geltungsbereich nicht nur auf das direkte Umfeld der beiden Städte wie in (2) und (3), sondern der Bereich umfasst auch andere Ländereien, durch die die Handelsrouten führten. Dieses ist auffallend, denn dort hatten die dortigen Landesfürsten eigentlich die Staatsmacht inne. Die beiden Städte hatten also kein Vertrauen in diese, sondern wollten die Sicherung dieser für sie sehr wichtigen Routen selbst übernehmen.

Es sind keine gemeinsamen Aktionen der beiden Städte zur Verfolgung der Täter vorgesehen, sondern es geht lediglich um eine Kostenerstattung nach der Durchführung von Maßnahmen durch eine Stadt.

Die Kostenerstattung soll auch nur nach Überfällen auf Bürger aus den beiden Städten greifen. Für den Schutz anderer Kaufleute, die die Handelszentren Hamburg und Lübeck ansteuerten, fühlten sich die Städte nicht in derselben Weise verantwortlich.

Durch diese Kostenerstattung wird aber natürlich auch noch das Signal ausgestrahlt, dass die beiden Städte in dieser Frage zusammen stehen.

(2) Schutz vor Lynchjustiz

Im zweiten Teil wird die Verfolgung von Lynchjustiz an Bürgern der beiden Städte geregelt. Dabei geht es eindeutig nur um Übergriffe gegen Personen, die eines Verbrechens angeklagt sind. Für andere Körperverletzungen gilt ja (3). Der räumliche Geltungsbereich bezieht sich hier auf die Umgebung der Städte, wobei sich wieder die Fage stellt, inwieweit die Städte dort die Staatsmacht inne hatten, oder ob sie sich in die Rechte von Landesherren einmischten.

Interessant ist das Lynchjustiz hier extra erwähnt wird. Denn normalerweise würden solche Übergriffe ja unter (3) fallen. Dieses spricht dafür, dass Lynchjustiz durchaus etwas Normales war, denn ansonsten hätte es zur Klärung ja nicht extra erwähnt werden müssen.

Zur Abschreckung ist eine Bestrafung nach dem "Auge um Auge"-Prinzip vorgesehen. HIerdurch soll sichergestellt werden, dass die Bürger in der Fremden Stadt genauso gut wie die eigenen Mitbürger in der anderen Stadt behandelt werden.

Wiederum ist eine gemeinsame kostenteilung für die Verfolgung von Lynchjustiz vorgesehen.

(3) Strafverfolgung

Im dritten Teil wurde die Verfolgung von Tätern, die Bürger der beiden Städte in deren Umfeld mißhandelt haben, geregelt. Die Strafverfolgungsbehörden der Stadt, aus der der Geschädigte kam, sollten bei ihrer Arbeit in der fremden Stadt von dieser unterstützt werden. Die Kosten sollten wieder geteilt werden. Interessant ist wieder, dass dieses nur für Misshandlungen in der Nähe der Städte und nicht in den beiden Städten gilt. Nur für Körperverletzung, nicht für Raub/Diebstahl, denn da gilt ja (1)

Interessant ist, dass jede Stadt die Verbrechen an ihren Bürgern selbst ahnden soll, auch wenn diese in der Nähe der anderen Stadt geschehen sind. Es wäre eigentlich ja sinnvoller, wenn die Stadt, die in der Nähe des Tatorts liegt, die Strafermittlungen durchführen würde.


Bewertung / Einordnung:

An diesem Vertrag wird deutlich, dass die Handelsrouten ziemlich gefährlich gewesen sein müssen, denn ansonsten hätte man keinen Anlass gehabt, einen solchen Vertrag zu schließen.

Daneben wird einiges über die Strafverfolgung deutlich, die sich in Teilen auf einem relativ hohen Niveau befand. Denn es sollten gewisse rechtsstaatliche Standards, wie ein ordentliches Strafverfahren eingehalten werden.

Lübeck und Hamburg müssen aber diese Handelsrouten als ihren eigenen Einflussbereich angesehen haben, in dem sie unabhängig von den Landesherren für Sicherheit sorgen mussten bzw. durften. Diese Handelsrouten müssen deshalb für sie existenziell wichtig gewesen sein, denn ansonsten wäre man sicher solche Verpflichtungen nicht eingegangen.

Didaktische Anmerkungen:

Diese Quelle ist nach meiner Meinung gut für eine Lerngruppe in der Mittelstufe geeignet, da sie von der Wortwahl, Struktur und Thematik nicht besonders komplex ist. Sie lässt sich in ein Unterrichtsthema "Hanse" gut einbinden. Es ergeben sich sehr viele thematische Anknüpfungspunke. So kann das Verhältnis Hamburg/Lübeck, der Handel, Räuber und Seeräber etc. behandelt werden. Als Fragestellung bietes sich an, wie sich die hanse durch bilaterale Beziehungen entwickelt hat. Anknüpfungen zur heutigen Zeit sind möglich. Allerdings kann man von normalen Aufgabendreiklang (Fasse die Quelle zusammen.-Ordne die Quelle ein.-Nimm Stellung zu der Quelle) die dritte Aufgabe iegentlich nicht bearbeitet werden kann, da sie doch dafür zu wenig inhaltliche Substanz hat.

Stichworte:

Handel-Transport-Straßen

Erster Vertrag Hamburg/Lübeck

Überfälle-Piraten

Strafrechtssystem


Erbgesessenheit nach Hamburger und Stader Recht (1270)

Texte:

Vorbemerkung:

Bei dieser Quelle handelt es sich um übersetzte Auszüge aus den in niederdeutsch verfassten Hamburger Stadtrecht von 1270 und Stader Stadtrecht von 1279.

Das Hamburger Stadtrecht von 1270 hat sich aus dem Gewohnheitsrecht[1] entwickelt. Es umfasste einige zivilrechtliche Themen, die besonders regelungsbedürftig erschienen, so dass sie nicht dem nicht kodifizierten Gewohnheitsrecht überlassen werden konnten. Ansonsten galt das Gewohnheitsrecht bei Lücken weiter fort (?). Das Hamburger Stadtrecht von 1270 lag dem Stader Stadtrecht von 1279 zu Grunde. Es wurde in großen Teilen wörtlich übernommen. In dem ersten Buch dieser Gesetze wurde das Eigentumsrecht geregelt, das in Verbindung mit dem Erbrecht im ..... Buch zu sehen ist. In den hier relevanten Artikeln geht es um den Verkauf und die Eigentumsübertragung von Sachen, die geerbt wurden. Das Hamburger Stadtrecht von 1270 war ein Vorläufer von dem Hamburger Stadtrecht von 1497, in dem es sehr viele ähnliche Regelungen gab. Das Eigentumsrecht im Hamburger Stadtrecht von 1270 ähnelt in Teilen auch dem im Sachsenspiegel und dem im anderen Landrecht[2].


Übersetzung aus dem Stader Stadtrecht von 1279:

Da das Hamburger Stadtrecht von 1270 nur lückenhaft überliefert ist, wird hier auch ein Auszug aus dem Stader Stadtrecht von 1279, der fast identisch ist zum Vergleich herangezogen. Es handelt sich hier um die ersten Artikel, da es keinen ersten Teil mit Vorschriften des öffentlichen Rechts wie das Hamburger Stadtrecht von 1270 enthält. Die folgenden Artikel entsprechen den Artikeln I 5 b, 6 und 8 in dem Hamburger Stadtrecht von 1270. In ihnen geht es um den Verkauf und die Eigentumsübertragung von Sachen, die geerbt wurden.

(1) I 1 "Wer sein Erbe verkaufen will, das in dieser Stadt und diesem Weichbild gelegen ist, der soll es seinem nächstem Verwandten anbieten, auf die sein Erbe fallen kann. Und will es von ihnen keiner kaufen, so darf er sein Erbe wohl verkaufen demjenigen, dem er es am liebsten geben will."

(2) I 2 "Wer sein Erbe verkauft, der soll das dem anderen auflassen vor dem Rat und dem Vogt, wenn es ihm bezahlt ist. Und stürbe er, sollen seine Erben auflassen; und (der Käufer) soll sich damit (in das Erbebuch der Stadt) einschreiben lassen. Und wem Erbe aufgelassen wird, der soll immer Bürgen nehmen, so daß ihm Jahr und Tag Gewährschaft geleistet wird. Und gebräche (dem Käufer) etwas während der Gewährschaft, das soll der Bürge ersetzen. Und wenn dem Mann Jahr und Tag Gewährschaft geleistet worden ist, so ist er näher daran, sein Erbe mit seiner eigenen Hand auf den Reliquien zu behaupten, als es ihm irgendjemand abgewinnen kann. Welcher Mann es auch gewinnen will, der soll es binnen Jahr und Tag gewinnen oder verlieren; es sei denn, daß ein Mann außer Landes wäre, der gegen das Gut rechtmäßig sprechen könnte. Und könnte er das beweisen, so hat er seine Klage nicht verloren."

(3) I 4 "Wenn ein Ehemann und eine Ehefrau Erbe kaufen, sind sie befugt, es zu geben und zu verkaufen, wem sie wollen, solange sie beide leben. Wenn aber von ihnen einer stirbt, so heißt es Erbgut. Jederart Erbe und Gut, das an einem Mann fallen kann und fällt von seinen Eltern und von seinen Verwandten, das heißt Erbgut. Solches Erbe, wie es hier bestimmt ist, das darf niemand verpfänden oder verkaufen ohne Erbenlaub, es sei denn, daß es für den nötig sei, dem das Erbe gehört. Und die Not soll er beweisen mit erbeingesessenen Bürgern?, und er verkaufe es, wem er will."

übertragen aus Quellen zur Geschichte Hamburgs, übers. Gerhard THEUERKAUF, in: Geschichte und Politik in der Schule 21, 2 (1986), S. 31-44 [I]; 22, 1 (1987), S. 31-46 [II]; 24, 2 (1988), S. 14-53 [III-IV].

Anmerkungen

1. Das Gewohnheitsrecht umfasst Rechtssätze, die sich durch die alltägliche Übung herausgebildet haben. Es hat sich also aus dem Verhalten und der mündlichen Überlieferung herausgebildet. Es war nicht kodifiziert. Im Mittelalter war das Rechtsystem zunächst vollkommen auf Rechtssätzen des Gewohnheitsrechts aufgebaut, die sich so aus Sitten und praktischen Übungen herausgebildet hatte. Ab Beginn des 13. Jahrh. kam es dann nach und nach zu vielen schriftlich fixierten Gesetzessammlungen, dadurch wurde das Gewohnheitsrecht zurückgedrängt. In den ersten Sammlungen wurden einfach Rechtssätze aus dem Gewohnheitsrecht zusammengefasst. Die bedeutenste ist der Sachsenspiegel. Das Gewohnheitsrecht war auch danach die Grundlage für viele Rechtsbücher des Mittelalters, wie z.B. für das Hamburger Stadtrecht von 1270 und das daraus entstandene Stader Stadtrecht von 1279.

2. Das Landrecht im Mittelalter galt in einem deutschen Land. In den Städten galt aber zumeist ein Stadtrecht. Dieses ging für deren Bereich dem Landrecht vor, da es spezieller war. Das Landrecht umfasste in etwa das heutige Zivilrecht, das Strafrecht und das Lehensrecht, sowie teilweise auch das öffentliche Recht. Bei Lücken wurde das Gewohnheitsrecht, teilweise in Form des Sachsenspiegel angewandt.


Original-Quelle aus dem Hamburger Stadtrecht von 1270:

In den ersten Artikeln des 1. Buches des Hamburger Stadtrecht von 1270 geht es um einzelne Fragen des öffentlichen Rechts, die sich mit den Ratsmitgliedern beschäftigen. Danach folgen die Artikel, die sich mit dem Eigentumsrecht beschäftigen.

I 5. b Dat nement syn erue verkopen schal, he ne bede id erst synen negesten.

So we syn erue vorkopen wil, dat bynnen desser stad vnde bynnen dessem wiebelde belegen is, de schal id beden twen synen negesten vrunden, dar syn erue vp vallen mach, vnde wil it erer nen kopen, so mot he syn erue wol vorkopen deme, de eme dar vmme allermest geuen wil.

I 6. Van uplatinge eruen de vorkoft syn.

So we syn erue vorkoft, de schal id deme anderen uplaten vor deme rade up deme hus, so wanne id eme vorgulden is; vnde storue he, syne vrunt ofte syne eruen scholen id vplaten, vnde me schal id ok in der stad erue bock scyruen laten. Vnde so weme erue vp gelaten wert, de schal iummer borgen nemen, dat he waret werde iar vnde dach. Vnde vnbreke eme wat in der warschop, dat schal de borge vprichten. Vnde so wanne de man waret is iar vnde dach, so is he syn erue mit synes sulues hand vp den hilgen nager to beholdene, den id em ienich man af to winnende sy. So welk man it ok wynnen wil, de schal it bynnen iare vnde dage wynnen ofte vorlesen. It ne were also, dat de man buten landes were, de wedder dat gud to rechte wedder spreken mochte. Vnde mochte he dat bewisen, so ne hadde he sine clage nicht vorloren.

I 7. Van vorsettinge vnde vorkopinge eruen.

So wor een man vordinget oftevorkoft ofte to weddeschatte set wedder wegene syn erue enen manne edder twen, ofte so welker hande gud it sy, ofte se twedrachtich darymme worden, so we danne den ersten kop edder den ersten weddeschat tugen mach, de schal den kop edder den weddeschat beholden.

I 8. Dat weldich schal syn vrouwe vnde man erue to vorkopende.

So wor een man vnde een vrouwe in desser stad erue kopet, des synt se weldich to geuende vnde to sellende so weme se willet, de wile dat se beide leuet. Men were dat erer een storue, so het ist eruegud. Aller hande erue, dat enen manne edder ener vrouwen an vallen mach van eren elderen ofte van eren vrunden, dat hetet eruegud. Alsodan erue also hyr bescreuen is, dat ne mach nen man wedder setten ofte sellen ane erue loff, it ne sy also, dat it eme not do des dat erue syn is, vnde he de not bewisen moge mit erfhaftigen luden, vnde vorkopen it dar he wil.

Übertragen aus:

J. M. Lappenberg (Hrsg.): Hamburgische Rechtsalterthümer, Band I / Die ältesten Stadt-, Schiff- und Landrechte Hamburgs; Hamburg 1845, S. 2 ff.


Anmerkungen:

(1) Vorkaufsrecht

In dem Artikel I 1 wird ein Vorkaufsrecht für die Verwandten bzgl. des Erbes geregelt. Wenn jemand einen Teil seines Vermögens verkaufen will, so muss er es zunächst denen zum Kauf anbieten, die es erben würden. Erst wenn es von denen keiner kaufen will, kann er es an einen Dritten verkaufen. Mit "Erbe" ist hierbei Vermögen im Sinne von "potentielles Erbe im Todesfall" gemeint (="erve" (niederdeutsch)). Dieses gilt nur für Vermögen in Hamburg oder der näheren Umgebung, denn mit "Weichbild" ist ein Gebiet gemeint, das über die Stadtbefestigung hinausgeht. Daraus folgt auch, dass es sich bei dem Vermögen um Grundstücke handelt, denn nur für diese kann eine solche Ortsbestimmung erfolgen, weil sie nicht beweglich sind. Es handelt sich hierbei um eine Vorschrift, die sicherstellen soll, dass das Vermögen / die Grundstücke innerhalb der Familie bleiben. Diese Vorschrift ist in Zusammenhang mit den Vorschriften über die Gesetzliche Erbfolge zu sehen, nach denen die Nachkommen Erben sind . Außerdem ist es mit den strengen Vorschriften über die Enterbung zu sehen, nach denen ein Übergehen der Nachkommen praktisch nicht möglich ist. Der Artikel I 1 soll eine zusätzliche Sicherung sein, denn so kann das Vermögen auch nicht zu Lebzeiten durch irgendwelche Geschäfte den Nachkommen entzogen werden. Wertmäßig ist so ein Verkauf möglich, aber ein "Verschleudern" wird verhindert. Grundstücke müssen auf alle Fälle weiterhin in Familienhand bleiben. Das Verbot der Veräußerung ist eine sehr drastische Maßnahme, da so der noch lebende Eigentümer über sein Eigentum nicht frei verfügen kann. Zur Rechtfertigung dieser Vorschrift kann aber herangeführt werden, dass dieser zumeist selbst durch eine Erbschaft an das Grundstück gekommen ist, es also in Familienbesitz war und weiterhin bleiben soll. Grundstücke waren damals die wesentlichen Vermögenswerte, die jemand besaß, so das es hier auch um eine Sicherung praktisch des ganzen Vermögens für die Nachfahren bzw. um eine Verfügungsbeschränkung für praktisch das ganze Vermögen geht. Natürlich galt diese Regelung somit nur für eine bestimmte Oberschicht. Daneben lässt sich nur vermuten, ob noch andere Ziele verfolgt werden sollten, denn so konnte verhindert werden, dass sich Auswärtige in die Stadt einkaufen und das Gefüge der Stadt durcheinanderbringen konnten. Denn mit dem Erwerb von grundeigentum war normalerweise die Erlangung von Bürgerrechten in einer mittelalterlichen Stadt verbunden.

(2) Auflassung

In Artikel I 2 Satz 1 wird die sachenrechtliche Übertragung des verkauften "Erbes" geregelt. Nach dem Verkauf eines Grundstückes muss noch eine Auflassung zur Eigentumsübertragung erfolgen. Diese hat nach der Bezahlung -es gab also eine Pflicht zur Vorkasse und keinen Austausch Zug um Zug- vor dem Rat und Vogt der Stadt zu erfolgen. Hier wird deutlich, dass das Hamburger Stadtrecht von 1270 wie das heutige BGB eine Trennung von schuldrechtlichen und sachenrechtlichen Geschäft kannte (das sogenannte Trennungsprinzip). Hierbei gibt es z.B.einen Kaufvertrag, der eine Verpflichtung zu einer Eigentumsübertragung vorsieht, und daneben muss dann noch eine Eigentumsübertragung durch eine Auflassung (vgl. ...BGB) geschehen.

Diese musste in diesem Fall vor dem Rat? und Vogt? der Stadt als offizielle Legitimierung erfolgen, wie sie heute vor einem Notar erfolgen muss. Dieses hat den Grund darin, dass es sich bei einem Grundstück um einen wesentlichen Vermögenswert handelt. So soll es eine besondere Kontrolle der Rechtmäßigkeit und einen Schutz des Veräußerers geben. Dieses gilt hier insbesondere, da auch die Nachfahren so besonders vor einer Entziehung der Vermögenswerte geschützt werden.

Die Eintragung in das Grundbuch (="Erbebuch") hat auch eine Schutzfunktion, so soll eine erhöhte Beweismöglichkeit des Eigentumserwerb geschaffen werden. Hierbei wird also der Käufer geschützt.

Sollte der Veräußerer nach dem Kauf, aber vor der Eigentumsübertragung sterben, trifft die Erben eine Verpflichtung zur Eigentumsüberlassung. Hier ist der Aspekt geregelt, dass der Erbe in die schuldrechtlichen Verpflichtungen des Erblassers eintritt.

Der Erwerber des Eigentums hat bei diesem Eigentumserwerb Gewährsleute beizubringen, die ihm ein Jahr und sechs Wochen und drei Tagen(= "Jahr und Tag") diesen Eigentumsübergang zu bezeugen haben. Sollte etwas schieflaufen, wären diese Gewährsleute zu Schadenersatz verpflichtet.

Nach diesem Zeitraum von einem Jahr und sechs Wochen kann der Erwerber in einem Gerichtsverfahren auf Gott schwören, dass er der Eigentümer ist. Dieses muss er alleine ohne Eideshelfer machen. Diese rechtliche Konstruktion ist vollkommen anders, als wir sie aus dem heutigen Recht kennen. Es wird durch den Schwur in einem Prozess ein unerschütterlicher Beweis des Eigentumerwerbs geschaffen, was zur Folge hat, das der eventuelle Kläger schon deshalb den Prozess verliert. Es handelt sich hierbei um einen eigenhändigen Schwur, der selbst ohne Eideshelfer geleistet werden musste. Dieser Zeitraum entspricht von ihrer Wirkung her also einer heutigen Verjährungs- oder Präklusionsfrist, da ein eventuell bestehender Anspruch eines Dritten auf Herausgabe des Grundstücks nicht mehr besteht bzw. nicht mehr durchsetzbar ist. Der Sinn einer solchen Vorschrift ist, dass irgendwann Rechtsfrieden einkehren soll. Diese Frist ist hier mit etwas über einem Jahr sehr kurz bemessen.

Interessant ist dabei, dass man einerseits davon ausgeht, dass man nicht lügen würde, wenn man auf die Reliquien schwört, denn deshalb reicht der Schwur als Beweismittel aus. Andererseits ist dieses aber erst nach Ablauf der Frist möglich. Dieses wäre ja eigentlich nicht notwendig, wenn man fest davon ausginge, dass nicht gelogen wird, denn dann würde das ja vorher auch zur Wahrheitsfindung ausreichen. Es geht hier letztlich also nur um eine Verjährungsfrist und der Schwur hat wohl nur noch symbolische Aussagekraft.

Aber es wird hierbei noch eine Verbindung zwischen dem Staat und dem Rechtssystem zu dem katholischen Christentum mit der Verehrung von Reliquien deutlich. Unser heutiges Rechtssystem kennt auch noch einen Schwur mit Gottesformel ("so war mir Gott helfe") z. B. bei der Vereidigung von dem Bundespräsidenten (vgl. Art. 56 Abs. 1 GG) oder in Zivilprozessverfahren (s. § 481 Abs. 1 ZPO. Aber diese kann weggelassen werden (Art. 56 Abs. 2 GG; § 481 Abs. 2 ZPO). Unsere Zivilprozessordnung (ZPO) sieht heute unter Umständen auch noch eine Parteivernehmung vor (§§ 445 ff ZPO), die beeidet werden kann, aber es ist grundsätzlich anders angelegt, denn die Gegenseite muss zustimmen (§ 447 ZPO). Damit hat dieses Beweismittel praktisch keine Bedeutung. Auch ist die Wirkung anders, denn eine solche Vernehmung ist ein normales Beweismittel, was durch andere Beweismittel erschüttert werden kann.

Diese in Art. I 2 genannte Frist kann sich aber verlängern, wenn der Dritte nicht in Hamburg war, da er dann ja seine Ansprüche nicht geltend machen konnte bzw. von den Ansprüchen nichts wusste. Hierbei erscheint merkwürdig, dass es keine Frist gibt, die dieses begrenzt. So kann ein Dritter auch noch nach Jahrzenten gegen die Eigentumübertragung vorgehen. (Eventuell steht es woanders!)


(3) Verhältnis Ehe / Erbgut

In Art. I 4 wird geregelt, dass Eheleute alles, was sie gekauft haben, auch wieder verkaufen können. Und zwar -im Gegensatz zum Art. I 1- auch an wen sie wollen. Hier ist kein Vorkaufsrecht für die Erbberechtigten geregelt worden, weil es ja auch nicht um Werte geht, die von den Generationen davor angehäuft worden sind, sondern um solche, die in dieser Ehe angeschafft wurden.

Sollte einer der Ehepartner sterben, so ist dieses nicht mehr möglich. Dann darf das Vermögen von dem überlebenden Ehepartner nicht mehr verkauft oder verpfändet werden, es sei denn, er befindet sich in wirtschaftlicher Not. Dadurch soll das während der Ehe angesammelte Vermögen für den späteren Erben gesichert werden, wobei die Nachkommen aber nicht Eigentümer werden. Es soll verhindert werden, dass es an jemanden außerhalb der Famiie fällt.

Wenn beide Ehepartner noch leben, wird wohl angenommen, dass sie auch gemeinsam Entscheidungen über die Vergabe von diesen Werten treffen. Wenn nur noch einer lebt, kann es durch erneute Heiraten etc. relativ schnell zu einem Verlust der Vermögenswerte kommen, der verhindert werden soll. Ein Vekauf ist aber mit Erlaubnis der Erbberechtigten ("Erbenlaub")möglich im Gegensatz zu Art. I 1. Daneben ist ein Verkauf zulässig, wenn sich der überlebende Ehepartner in wirtschaftlicher Not befindet. Allerdings muss dieses durch das Zeugnis bewiesen werden. Dieses müssen "erbeingesessene Bürger" leisten. Dann ist ein Verkauf an jeden möglich, es gibt kein Vorkaufsrecht wie in Art. I 1 für die Erbberechtigten. Dieses erklärt sich damit, dass es sich hierbei ja um erworbenes und nicht ererbtes Gut handelt. Auffallend ist hier die Erwähnung des Begriffs "erbeingesessene Bürger?", es wurde also eine Unterscheidung zu den "normalen" Bürgern getroffen, denen man in dieser Frage nicht so ein zuverlässiges Zeugnis zutraute. Dieses muss man aber auch im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Struktur sehen. Denn es geht hier ja auch um erbeingesessene Bürger und ihre Erbstreitigkeiten, also sollten nicht "normale Bürger" mit ihren Zeugnissen darüber entscheiden. Hierbei ist zu bedenken, das nur ein geringer Teil der Einwohner der Stadt überhaupt Bürger der Stadt war. (Bürger= Voraussetzung Grundbesitz etc.)

Außerdem wird in diesem Artikel eine Abgrenzung zwischen "Erbe" und "Erbgut" vorgenommen, wobei unter "Erbe" die Werte verstanden werden, solange beide Eheleute leben, wogegen bei dem Tod eines der beiden es zu "Erbgut" wird. Mit "Erbgut" ist also eher Erbe nach unserem heutigen Verständnis gemeint.


Bewertung / Einordnung:

Dieser Vertrag bindet sich in das damalige Erb- und Eigentumsrecht ein. Wobei die Unterscheidung der Begriffe Erbe und Eigentum zum heutigen Sprachgebrauch auffällt. Das Grundstück muss eine existenzielle Bedeutung gehabt haben. denn es sollte als oftmals einziger Wertgegenstnd nicht der Familie entzogen werden.

Daneben wird deutlich, dass die soziale und politische Struktur in der Stadt nicht von Fremden, die Grundstäücke kaufen, aus dem Gleichgewicht gebracht werden soll.

Didaktische Anmerkungen:

Diese Quelle erscheint mir für den Schulunterricht zu komplex, denn es werden Aspekte behandelt, die in Schulfächern eher nicht behandelt werden. So sind eigentlich gute Kenntnisse des heutigen Zivilrechts notwendig, um die Unterschiede und Besonderheiten zu verstehen. Diese haben selbst Oberstufenschüler, die Rechtskunde hatten, nicht. Auch stellt sich die Frage, welche Asüekte anhand dieser Quelle erläutert werden können, die sich in größere Themenkomplexe einbinden lassen. Denn die Rechtsfragen sind so speziell, dass sie eigentlich keine weiterverwertbaren Erkenntnisse ergeben.

Stichworte:

Erbrecht

Soziale Struktur der Stadt (Bürger Einwohner)

Hamburger Stadtrecht von 1497

Zivilrechtssystem/Verfassung (Rat und Vogt)

Politische Situation (Macht der Grundstücksbesitzer)